Gesellschaft:Verlierer, die gewinnen

Andreas Zielcke hat in "Erniedrigte und Beleidigte" die Schattenseiten der Leistungsgesellschaft beschrieben. Ein Leser widerspricht in einem Punkt. Ein anderer schreibt über die Kehrseiten der Automatisierung.

"Erniedrigte und Beleidigte" vom 3. Dezember:

Laut Andreas Zielcke erhält in unserer Gesellschaft nur Ansehen und gesellschaftliche Integration, wer durch Leistung erfolgreich ist. Wer in der "Auslese- und Evolutionsarena" zurückbleibt, gehöre zu den "Abgehängten". Diese seien nicht mehr "Subjekte und Mitgestalter des Leistungswettkampfs", sondern nur noch "Objekte der Sozialpolitik". Innerhalb des Leistungssystems gebe es für die Leistungsschwachen keinen "würdevollen Ausweg".

Diesem Gedankengang möchte ich widersprechen. Wer durch Leistung zum Erfolg kommt, wird, wenn er klug ist, eingestehen, dass bei seiner Karriere auch Zufälle eine Rolle gespielt haben. Welchen Menschen ist er begegnet? Welchen für ihn wichtigen Hinweis hat er erhalten, und welches Erlebnis ist ihm zugestoßen, um in die Lage versetzt zu werden, bei der Wahl seines Berufs die für ihn richtige Entscheidung zu treffen? Mit großer Wahrscheinlichkeit wird in seinem Beruf erfolgreich sein, wer in sich seine (oft zunächst verborgenen) speziellen Neigungen und Fähigkeiten zur Entfaltung bringen kann. Und dieser Erfolg lässt sich nicht an der Höhe des Einkommens messen, sondern daran, ob sich der Einzelne mit seiner Arbeit identifizieren kann. Wer seiner beruflichen Tätigkeit gern nachgeht und mit ihr ein hinreichendes Einkommen erzielt, der sieht weder sich selbst als "Loser", noch sehen ihn so seine Mitmenschen, auch wenn er nicht zu den Besserverdienenden, sondern zu den Geringverdienern zählt.

Dr. Hans-Joachim Schemel, München

Kollektiver Ausschluss

Danke für den Artikel "Erniedrigte und Beleidigte", der den Angehörigen der "Bildungsaristokratie" einen Aspekt ins Bewusstsein bringt, den sie gerne wegschieben: wie sehr sie begünstigt sind von der Entwicklung zur Wissensgesellschaft.

Wir sehen hier aber auch die Kehrseite der Automatisierung. Natürlich nimmt sie der Menschheit harte, schwere, unwürdige Tätigkeiten ab. Aber denen, die nicht mithalten können in der Wissensgesellschaft, nimmt sie damit eben auch die einzige Arbeit weg, die sie tun konnten - und damit auch ihre Geltung, Anerkennung und Würde in der Arbeitsgesellschaft. Solange weniger gebildete Menschen in der Schwerindustrie, in der Forstindustrie, in der Seefahrt und anderen Bereichen ihr Auskommen finden konnten, fühlten sie sich nicht kollektiv ausgeschlossen. Das ist heute anders. Die von schlauen Köpfen ersonnenen Maschinen und Roboter bedrohen damit mittelbar auch das Leben, in dem sich ihre Erfinder und Besitzer eingerichtet haben.

Dr. Oliver Thomas Domzalski, Hamburg

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