Gesellschaft:Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen

Kardinal Reinhard Marx hat beim SZ-Wirtschaftsgipfel das bedingungslose Grundeinkommen als Ende der Demokratie bezeichnet. Leser widersprechen ihm vehement.

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Also wenn keiner mehr arbeiten müsste - wer soll dann die Kirchensteuer zahlen? SZ-Zeichnung: Jan Rieckhoff

"Der Kardinal und die Arbeit" und "Deutschland ganz unten" vom 21. November, "Das ist das Ende der Demokratie" vom 20. November sowie "Eine schöne Utopie" vom 15. November:

Infame Gleichung

Kardinal Reinhard Marx hat recht, wenn er den menschlichen Wert der Arbeit betont und hervorhebt, dass Almosen die Empfänger entwürdigen. Aber warum sagt er das in Bezug auf das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) und nicht auf unser Hartz-IV-System, das meines Erachtens schlicht gegen Art. 1 GG verstößt? Ist das Menschenbild, das Hartz IV zugrunde liegt, etwa besser als das, das Marx und viele andere leider dem BGE unterstellen? Denn eine Unterstellung ist es, das BGE und das Loslassen auf die Unterhaltungsindustrie so miteinander zu verquicken, wie Marx das tut. Allein schon viele existierende Umfragen, sowie Erfahrungen mit BGE-Experimenten, etwa aus Kanada, sprechen sehr deutlich gegen so eine Verquickung. Gerade weil, wie Marx richtig zitiert, der Mensch sich auch über seine Arbeit definiert, muss diese infame Gleichung BGE = "mit Geld und digitalen Gadgets ruhiggestellt werden und sich wertlos fühlen" aus den Köpfen entfernt werden. Sie muss ersetzt werden durch BGE = "Befreiung zu erfüllter Arbeit", was das momentane System weder für Jobbesitzer noch für Hartzer erfüllt.

Dr. Peter Hiltner, Autengrün

Kardinal spricht nicht für KAB

Mit einem mächtigen Wort kassiert der Münchner Kardinal und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ein: Das sei das Ende der Demokratie. Dafür bekommt er zwar Aufmerksamkeit auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, doch er spricht hauptsächlich für sich. Er nimmt nicht zur Kenntnis, dass einer der ganz großen Sozialverbände in der katholischen Kirche, die Arbeitnehmerbewegung KAB, schon seit Jahren ein Grundeinkommen fordert. Vor wenigen Tagen erst hat der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der 660 000 Kinder und Jugendliche vertritt, in einem "Sozialwort der Jugend" auch ein von den Erwachsenen unabhängiges Kinder- und Jugendgrundeinkommen gefordert.

Die Kritik des Kardinals an der Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens geht an der Sache vorbei. Er verkürzt nämlich Arbeit auf Erwerbsarbeit. Das Sozialwort von 1997 stellt klar: "Menschliche Arbeit ist nicht notwendigerweise Erwerbsarbeit. ... Deshalb kann die Gesellschaft dadurch humaner und zukunftsfähiger werden, dass auch unabhängig von der Erwerbsarbeit die Chancen für einen gesicherten Lebensunterhalt, für soziale Kontakte und persönliche Entfaltung erhöht werden."

Ein Grundeinkommen schiebt nicht Menschen ab, beseitigt auch nicht die Demokratie. Vielmehr macht es aus dem Staatsbürger einen wirklich freien Wirtschaftsbürger, der das Recht auf ein Leben in Würde auch unabhängig von Erwerbsarbeit hat. Jeder wird gebraucht, auch wenn die Unternehmen ihm keine Erwerbsarbeit geben. Ein Grundeinkommen verbindet den menschenrechtlichen Anspruch auf ein Leben in Würde mit dem Recht auf soziale Sicherheit. Denn auch dann, wenn der Bürger Empfänger von staatlichen Leistungen ist, bleibt er Bürger. Am Horizont steht nicht eine Gesellschaft, die jedem irgendeine Erwerbsarbeit zu jedem Preis anbietet, sondern eine Tätigkeitsgesellschaft, in der alle Tätigkeiten gleich wertgeschätzt werden: Die Erwerbsarbeit genauso wie die Arbeiten zum Wohl der Gesellschaft und der Menschen, die einen anderen brauchen - ob in der Pflege oder Erziehung. Diese Wertschätzung muss materiell mit einem Grundeinkommen unterlegt sein. Daran zeigt sich die Humanität einer Gesellschaft und nicht daran, dass sie alle Tätigkeiten in Erwerbsarbeit umwandelt und alle Menschen zu Erwerbsarbeitern macht.

Prof. Franz Segbers, Kelkheim

Würdelose Kontrolle

Manche Gegner des Grundeinkommens, wie zum Beispiel Kardinal Marx, kritisieren, dass damit Arbeitslose aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden, indem man sie für überflüssig erklärt. Tatsächlich gibt es schon eine Art Grundeinkommen. Hartz-IV-Leistungen werden an jene ausbezahlt, die kein eigenes Arbeitseinkommen haben. Der Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen (über dessen Realisierbarkeit man streiten kann) wird sichtbar im Artikel "Deutschland ganz unten" über einen Bettler, dessen Einnahmen auf die Sozialleistung angerechnet werden. Weitere Unterschiede: Überprüfung familiärer und partnerschaftlicher Verhältnisse sowie Zwang zu Arbeit und Gesprächsterminen. Und darin soll der Schutz der Menschenwürde bestehen? Die Parolen aus George Orwells Roman "1984" - Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei - kann man ergänzen durch: "Kontrolle ist Würde".

Henning Fritsches, Rothenburg

Kirche mit Niedriglohnsektor

Im Gespräch mit Reinhard Marx taucht zwar Gott beziehungsweise Jesus als Begriff auf, aber substanziell geistige, spirituelle Aspekte zu Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen liest man nicht. Weshalb war denn der Repräsentant der katholischen Kirche zu einem Wirtschaftsgipfel eingeladen, ist er der Experte für Smartphones und Populismus?

Auch wenn man Marxens Hinweis auf den Wert der Arbeit folgen kann, ist das kein Argument gegen ein Grundeinkommen. Und damit das Ende der Demokratie zu beschwören, ist nicht nachvollziehbar. Diesbezüglich muss man wohl im Bewusstsein haben, dass die Kirche und damit Marx auch Arbeitgeber ist für sehr viele Menschen, vor allem in sozialen, also eher niedrig bezahlten Berufen. Da ist ein Grundeinkommen eine Gefahr, weil es den Menschen Freiraum schafft, Arbeit zu schlechten oder zu niedrigen Löhnen nicht anzunehmen - ohne unmittelbare Existenzgefährdung.

Freiheit der Menschen zu fördern, vor allem mit unorthodoxen Methoden, war leider noch nie die Kernkompetenz der Kirche.

Dr. Gerhard Herz, Gröbenzell

Kulturimpuls für neues Denken

Kardinal Marx beschreibt in seinem Interview ein Bild vom Menschen, wie es es unser heutiges System hervorgebracht hat. Wer Hartz IV bekommt, fühlt sich leicht abgestellt und resigniert lieber vor dem Fernseher, anstatt sich mit unserer Demokratie zu beschäftigen. Bedeutet aber ein bedingungsloses Grundeinkommen deshalb das Ende der Demokratie? Es wäre wahrscheinlich im Gegenteil ein Schritt hin zum freien Menschen. Ein freier Mensch interessiert sich eher auch für die Belange eines Staates, der ihn für so wertvoll hält, dass er sein Auskommen bereitstellt. Er setzt sich möglicherweise dann gerne für die Gesellschaft ein, und vor allem hat er dann auch Zeit dafür. Wer hat das im heutigen Überlebenskampf noch?

Leider, das muss an dieser Stelle auch gesagt werden, haben es die Kirchen mit dem freien Menschen auch nicht leicht. Der will sich letzten Endes nicht von einer Autorität, sei es auch ein so großartiger Mensch wie der Papst, bestimmen lassen.

Mit dem Christentum hat allerdings der freie Mensch meiner Ansicht nach sehr viel zu tun, im Sinne des Paulinischen: "Christus in euch." So muss eine Soziallehre nicht mehr nur verkündet werden, wie es Marx heute berechtigterweise anregt, so kann sie nach und nach gelebt werden. Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine neue Sozialversicherung, sondern ein Kulturimpuls, der ein neues Denken, ein neues Miteinander anregen will.

Gabriele von Moers, München

Skepsis gegenüber Kaeser & Co.

Mit Regelmäßigkeit wird in Ihrer Zeitung mit Faszination von Initiativen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen berichtet, zum Beispiel im Artikel "Eine schöne Utopie". Die Befreiung vom Mühsal der Arbeit - das Paradies auf Erden. So wie ein Lotteriespieler vom Knacken des Jackpots träumt. Überraschenderweise - so der Tenor - würden sich ja Vorstände von Konzernen auch dafür aussprechen. Etwa zum wiederholten Male nun Joe Kaeser von Siemens, einem Unternehmen, das gerade Massenentlassungen einleitet.

Nichts daran ist überraschend. Im Kapitalismus versuchen die Unternehmen seit jeher, die Gewinne zu privatisieren und die Kosten zu sozialisieren: Nichts ist ja praktischer, als eine Gesellschaft, in der aus dem allgemeinen Steueraufkommen ein bedingungsloses Grundeinkommen für all diejenigen finanziert wird, die als Humanressource (so nennt man Menschen in Wirtschaftsdeutsch) nicht produktiv genug, also wertlos sind. Da kann dann kein politischer oder moralischer Druck mehr auf die Arbeitgeber ausgeübt werden, Arbeitsplätze zu schaffen - als Gegenleistung für die Rahmenbedingungen, mit denen die Gesellschaft unternehmerisches Handeln überhaupt erst ermöglicht (Rechtssicherheit, Eigentumsschutz, Patentrechte, öffentliche Infrastruktur usw.).

Dreist wird es, wenn jene Unternehmer ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, die jede Möglichkeit zur Steuervermeidung nutzen. (Vielen Dank für die Paradise Papers!) Kein Wunder, dass es ihnen dann so leichtfällt, neue gigantische Aufgaben für die Steuerzahler einzufordern. Kurzum: Das Lob von unternehmerischer Seite macht mich hellwach und skeptisch.

Dr. Rolf Schmachtenberg, Berlin

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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