"Geflüchtete":Streit ums Wort

Soll man nun von "Flüchtlingen" reden oder von "Geflüchteten"? Diese Frage wurde kürzlich in der SZ aufgeworfen. Leserinnen und Leser sehen das durchaus kontrovers. Einen Leser aber treibt in diesem Zusammenhang eine ganz andere Frage um.

"Partizipien für Menschen" vom 2./3. September:

Falsch verwendetes Etikett

Glückwunsch der SZ und der Autorin Britta Jünemann zu ihrer kritischen Betrachtung des modischen Begriffs "Geflüchteter" anstelle des bisher üblichen Wortes "Flüchtling"! Wichtiger und gesellschaftspolitisch bedeutender als diese semantische Untersuchung ist allerdings die sich seit zwei Jahren in Politik und Medien epidemisch ausbreitende, unreflektierte und undifferenzierte Nutzung dieser Begriffe für alle Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Heil in Europa - in der Regel in Deutschland - suchen. Alle diese Menschen werden flugs "Flüchtling" genannt, obwohl doch ein Heer von Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Monate benötigt, um deren wahren Status herauszufinden.

Was alle diese Menschen verbindet, ist ihre Hoffnung - bzw. Smartphone- gesteuerte Illusion - auf ein besseres Leben im reichen Europa. Die Gründe für den Aufbruch aus ihrer Heimat sind oftmals völlig unterschiedlicher Art. Und ein nicht unerheblicher Teil wird am Ende nicht als Flüchtling anerkannt. Wieso also werden alle von Politik und Presse als "Flüchtlinge" etikettiert? Warum hat man eine so große Angst, die derzeitige Wanderungsbewegung "Einwanderung" zu nennen? Der juristisch korrekte Begriff "Illegale Grenzüberschreitung" wird erst recht tunlichst vermieden. Konsequenterweise müsste man Amerika und Australien nicht mehr Einwanderungsländer, sondern ab sofort "Geflüchtetenländer" nennen.

Winfried Langner, München

Nichts Ehrenrühriges

Zu dem Artikel wäre anzumerken: Ein Partizip lässt sich substantivieren und kann jedes Geschlecht annehmen, "das Rettende", "eine Lernende", "der weit Gereiste". Das steht nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit politisch korrekter, geschlechtsneutraler Sprache. Das Partizip Perfekt "Geflüchtete" geht dabei von einem Abschluss des Flüchtens aus, während "Flüchtlinge" - eher einem Partizip Präsens entsprechend - dessen Andauern zum Ausdruck bringt. Das ist also eine Frage der zeitlichen Perspektive auf das Geschehen, anders gesagt: Partizipien für Menschen zu verwenden, hat nichts Ehrenrühriges.

Stefan Fromholzer, Regen

Zynische Bemerkung

Menschen, die alles verlassen haben, was ihnen vertraut war, "Geflüchtete" zu nennen statt "Flüchtlinge", ist keine ärgerliche Modeerscheinung. Es ist Ergebnis eines Bewusstseinsprozesses, in dem klar geworden ist, welche Geringschätzung in der Wortform liegt, die auf -ling endet. Es gibt den Säugling, den Lehrling, den Häftling, den Däumling - die Bedeutung ist immer: ein Wesen, das klein, unselbständig, abhängig ist, der belehrt werden muss, gefangen gehalten wird. Die Autorin meint, das Wort "Flüchtling" klinge "frisch und dynamisch", "Flüchtling" sei "ein wunderbares Wort", so schön wie das Wort "Schmetterling". Ich finde das eine zynische Bemerkung.

Marlies Buchholz, Hamburg

Flüchtling bleibt man lebenslang

Danke, Britta Jünemann, für ihr kluges Plädoyer gegen die Verhunzung und Verfälschung der deutschen Sprache mittels krampfhafter Partizipialkonstruktionen für einfache und klar verständliche Begriffe. Flüchtling bleibt man lebenslang, geflüchtet ist man, wenn das Ziel der Flucht erreicht ist. Student und Studentin bleibt man, solange man an einer Hochschule immatrikuliert ist, studierend muss man trotzdem nicht sein. Mitarbeiter und Mitarbeiterin bleibt man, auch wenn man nicht mitarbeitend ist, zum Beispiel im Urlaub.

Stefan Kampmann, Köln

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