Garten:Grün ist out

Wo früher die Blumen wuchsen, steht heute die Schotterhalde. Und Mücken, die nachts die Scheiben verkleben, gibt's auch nicht mehr.

"Kies statt Paradies" vom 14. August:

Fantasie bis zur Hecke

Der Text von Gerhard Matzig spricht mir aus der Seele. Dazu einige Beobachtungen aus der südniedersächsischen Provinz: Für einen schönen Garten mangelt es oft weniger an Geld oder Fläche als vielmehr an Bewusstsein, gutem Willen und Vorstellungskraft. Seltsamerweise scheint die Begeisterung für die Natur mit wachsender Nähe zu ihr abzunehmen, denn während in Großstädten oftmals Innenhöfe liebevoll begrünt werden und in Balkonkästen bienenfreundliche Pflanzen wachsen, benimmt sich der Landbewohner, als müsste er seine mühsam kultivierte Parzelle ständig gegen die wild wuchernde Natur verteidigen. Da kommt ihm jegliches schwere Gerät gerade recht. An schönen Sommertagen auf der Terrasse lesen? Unmöglich bei dem Getöse der vielen Benzinmäher, Heckenscheren, Motorsensen und Rasentrimmern. Wem es dann immer noch zu grün ist, der schwingt die Giftspritze, denn was nicht eigenhändig gepflanzt wurde, gehört ausgemerzt. Es versteht sich von selbst, dass auch der 50-Quadratmeter-Rasen mit einem Benzinmäher bearbeitet werden muss. Als wir vor zehn Jahren am Rand eines Dorfes neu gebaut haben, war es für uns selbstverständlich, einen Garten anzulegen, der diesen Namen verdient und der Natur möglichst viel Raum zu geben. Wir haben in kurzer Zeit mit wenig Aufwand eine Oase geschaffen, in der sich Igel, Fledermäuse, viele Singvogelarten (auch die brütenden) und unzählige Arten von Käfern, Spinnen, Wildbienen, Hornissen, Hummeln tummeln. Und das alles nur, indem wir Holunder, Weißdorn sowie viele Blütenstauden gepflanzt haben und ansonsten auch einfach mal wachsen ließen, was von selbst entsteht. Jeden Tag gibt es neue Tiere und Pflanzen zu entdecken, und wir staunen immer wieder, wie durch bloßes Nichtstun so viel entstehen kann und sich auf relativ kleinem Raum (knapp 800 Quadratmeter) solch eine unglaubliche Artenvielfalt entwickeln konnte. Leider ist das Wort "Oase" wörtlich zu verstehen, denn rechts und links sieht es ganz anders aus. Die Fantasie der meisten frischgebackenen Hausbesitzer erschöpft sich in Kies, Stein und Rasen mit wahlweise Thuja- oder Kirschlorbeerhecke. Das ist umso trauriger, weil man ja sieht, was alles möglich wäre. So aber ist wieder ein Stück Land für die Natur verloren gegangen. Dabei sind die privaten Gärten die letzten Refugien für viele Tier- und Pflanzenarten, nachdem man die heutigen landwirtschaftlichen Flächen wohl kaum als Lebensräume bezeichnen kann. Wundert sich noch jemand über das allgemeine Insekten- und Singvogelsterben? Ich nicht. Sylvia Sievers, Northeim

Die Mücken fehlen

Seit mehreren Jahren springt jedem, der es wissen will, die naturfeindliche Entwicklung ins Auge. Allerorts verwandeln sich Vorgärten in Autoabstellplätze, die mit Knochensteinen gepflastert sind. Vor- und Hausgärten mit ihren Blumen und Schmetterlingen und dem fruchtbaren Boden verschwinden unter dicken Schotterhalden, wie man sie bisher nur von Güterbahnhöfen oder Steinbrüchen kannte. Die Leute finden das schön. Gärten als Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanze haben ausgedient. Zu teuer, zu anstrengend oder eben einfach out. Da passen diese Meldungen ganz gut dazu: Innerhalb von 20 Jahren ist in Europa die Hälfte der Wiesen-Schmetterlinge verschwunden (EUA). Etwa 80 Prozent der Schmetterlingsarten sind bedroht. Das Bundesumweltministerium warnt vor einem fortschreitenden Insektensterben in Deutschland. In Teilen des Landes habe sich der Bestand von Insekten seit dem Jahr 1982 um bis zu 80 Prozent verringert. Ältere Mitbürger kennen noch die mit Insektenleibern verklebten Autoscheiben, insbesondere in warmen Sommernächten. Heute bleiben die Scheiben nahezu sauber. Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass urbane Landschaften im Gegensatz zu den heutigen Agrarsteppen zu den artenreichsten Biotopen überhaupt zählen. Das alles hat dazu geführt, dass von den Umweltverbänden die Naturgartenidee gefördert wurde. Immerhin übersteigt die Fläche der Haus- und Kleingärten die der Naturschutzgebiete erheblich. Ein Potenzial, das die Gartenbesitzer zur Erhaltung der Tier- und Pflanzenarten nutzen könnten. Leider spielt das Thema Umwelt im derzeitigen Wahlkampf keine Rolle. Und das Laisser-faire infolge jahrzehntelanger neoliberaler Politik stellt die Egoismen und das Geld über Gemeinnützigkeit und Wohlfahrt. Dabei sollten wir nicht zuschauen, wie unsere Lebenswelt vor die Hunde geht. Conrad Fink, Freiberg am Neckar

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