Süddeutsche Zeitung

Fukushima und die Folgen:Ein Atomstreit, der nicht verjährt

Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie bleibt auch zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe in Japan umstritten. Ob der Klimaproblematik sind Befürworter der Atomkraft im Aufwind, die Kosten des Ausstiegs sind hoch. Und das Müllproblem bleibt ungelöst.

Zu "Was für ein Irrtum" und "Stirb langsam", beide vom 11. März sowie zu "Bund zahlt Milliarden an Atomkraftbetreiber" und "Die Märzrevolution" vom 6./7. März:

Teure Hauruck-Aktion

Der Atomausstieg begann im Kabinett Gerhard Schröder mit der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000". 2002 wurde der Vertrag ("Atomkonsens") durch Novellierung des Atomgesetzes rechtlich abgesichert. Feste Abschalttermine wurden nicht vereinbart, die Strommengen waren so bemessen, dass ein Betrieb der letzten Kraftwerke etwa bis in die Jahre 2015-2020 möglich gewesen wäre. Die rot-grüne Bundesregierung und die Stromkonzerne haben den historischen Vertrag zum Atomkonsens rechtskräftig unterzeichnet.

Das Kabinett von Angela Merkel hat im Oktober 2010 das Atomgesetz durch eine Laufzeitverlängerung für deutsche Kernkraftwerke im Sinne der Atomwirtschaft rückgängig gemacht. Und ein halbes Jahr später, im März 2011 wurde der Atomausstieg erneut beschlossen, aber dieses Mal nicht in Kooperation mit den vier großen Energieunternehmen. Das Ergebnis kennen wir: zehn Jahre lang Prozesse, und am Ende bekommen die Energieversorger EnBW, Eon, RWE und Vattenfall noch einmal mehr als zwei Milliarden Euro Entschädigung für eine Hauruckaktion der Bundesregierung.

Christa Tast, Stuttgart

Haftungsfrage entscheidend

Ausgerechnet zehn Jahre nach der Havarie in Fukushima wird in deutschen Zeitungen begeistert von einer Wende für die "klimafreundliche" Kernenergie berichtet. Da Trends gemacht werden, könnte die Atomlobby am Werke sein. Inzwischen hat es schwerwiegende Havarien in Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima und anderswo gegeben. In Deutschland wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Endlager zur Verfügung stehen, die über Generationen streng bewacht werden müssen. Die Zwischenlager füllen sich. Durch "Freimessung" erhält KKW-Bauschutt die Freigabe und darf ohne Überwachung auf Hausmüll-Deponien landen. Da die Akzeptanz gering ist, wird dieser Abfall zwangsweise zugewiesen.

Wollte man überall kleine Reaktoren installieren, um lediglich die stillgelegten Atommeiler zu ersetzen, würden sich die Grundstrahlung und das Risiko der Weitergabe spaltbaren Materials an Schurken erhöhen. Will die Lobby einen solchen Retro-Wahn mit zu erwartenden Opfern und einen Überwachungsstaat verantworten? Wer haftet bei Umweltschäden und Erkrankungen von der Uran-Mine bis zum Endlager?

Rolf Sintram, Lübeck

Ganze Technologie abgeschaltet

Frankreich lächelt über die hiesige Energiewende. Deren CO₂-Bilanz ist in einer anderen Liga - dank Kernenergie. Dazu Strompreise halb so hoch wie bei uns. Aber die Risiken beschwören die Ausstiegsenthusiasten. Bisher hat es in Europa noch keine nennenswerte Havarie gegeben. Und selbst wenn, das Fanal Fukushima hat durch Strahlung fast keine Opfer gefordert. Das war der Tsunami. Bleibt die Endlagerfrage. Leider weitgehend ungeklärt. Aber was ändert das am Status quo? Ein Alibi-Argument , denn diese Frage hätte zu Anfang gestellt werden müssen. Wo die AKWs in Betrieb sind, ist das ein rein graduelles Problem. Je länger, desto mehr Müll entsteht, aber auch bei sofortigem Ausstieg ist das Problem nicht gelöst. Der Müll ist da. Kurzum: Der Ausstieg, eine Kurzschlussreaktion. In Deutschland ist die Technologie schon durch den abgeschalteten Sachverstand kaum wieder zu beleben. Hoffentlich wird sich das nicht rächen.

Christoph Schönberger, Aachen

Energie-Charta ist ein Skandal

Nur wenige Tage vor dem 10. Jahrestag der Atomkatastrophe von Fukushima hat sich die Bundesregierung mit den AKW-Betreibern auf ein horrendes Entschädigungspaket in Höhe von 2,428 Milliarden Euro geeinigt. Man erinnert sich, erst 2010 die Laufzeitverlängerung von durchschnittlich 12 Jahren für die AKWs auf Wunsch der Betreiber durch die meines Erachtens Lobby-hörige CDU/CSU/FDP-Koalition. Dann wenige Monate später nach Fukushima die Kehrtwendung aus Angst vor den Wählern, und jetzt die Quittung mit dem Milliarden Geldregen für Vattenfall, RWE und Co.

Von diesem Geldregen profitiert mit 1,4 Mrd Euro in erster Linie der schwedische Konzern Vattenfall, aber auch RWE ist mit 880 Millionen Euro gut dabei. Das Bemerkenswerte daran ist, dass diese beiden Konzerne unter Berufung auf den Energie-Charta-Vertrag Staaten vor privaten Schiedsgerichten auf Entschädigung verklagen: Vattenfall Deutschland wegen des Atomausstiegs in Washington (Streitwert 4,4 Milliarden, mit Zinsen jetzt circa 6 Milliarden Euro) und RWE die Niederlande wegen des dort bis 2030 vorgesehenen Ausstiegs aus der Kohleverstromung auf 1,4 Milliarden Euro.

Der eigentliche Skandal ist der Energiecharta-Vertrag selbst, der den Energiekonzernen unerhörte Sonderrechte gewährt. Wenn sie ihre Investitionen durch demokratische Entscheidungen in einem Vertragsstaat gefährdet sehen, können sie nach diesem Vertrag das Land unter Umgehung der ordentlichen Gerichte vor einem privaten Schiedsgericht auf horrende Schadensersatzsummen verklagen. So untergräbt das Abkommen nicht nur die Energiewende, sondern auch die Demokratie.

Man fragt sich, wie dem Gemeinwohl verpflichtete Regierungen so einen Vertrag unterschreiben können, in dem sie in meines Erachtens verfassungswidriger Weise entscheidende Kompetenzen aus der Hand geben. Kann es wirklich sein, dass Konzerne und nicht die Staaten darüber bestimmen, wie die fürs Überleben der menschlichen Zivilisation notwendige Klima- und Energiepolitik auszusehen hat?

Dr. Anton Huber, Vilshofen/Donau

Stromlücke kaum zu schließen

Der Atomausstieg in Deutschland ist eine der größten politischen Fehlleistungen seit dem 2. Weltkrieg und nur der sprichwörtlichen "German Angst" geschuldet! Die deutsche Industrie und Energieversorger waren bezüglich Kernenergie einst führend in der Welt. Die zwei vermeidbaren(!) Katastrophen in der damaligen UdSSR und in Japan sind kein Grund, hier aus der Kernenergie auszusteigen.

Und wie sollen denn die Alternativen aussehen? Wind und Sonne sind die teuersten und unzuverlässigsten Arten der Stromerzeugung, die es aktuell gibt. Beide sind hoch subventioniert; direkt durch die permanent steigende EEG-Umlage und versteckt auch über die Netzentgelte für die Netzstabilisierung bei Flaute und Dunkelheit oder unbrauchbarer Überproduktion der EE. Bundeswirtschaftsminister Altmaier will die Erneuerbaren jetzt auch noch über Steuermittel finanzieren - und mir erzählt man immer, dass Wind und Sonne keine Rechnung schicken?

Die Erneuerbaren sind nicht in der Lage, bedarfsgerecht Strom zu liefern - und schon gar nicht bei ständig steigendem Strombedarf, zum Beispiel für die geplante E-Mobilität. Hinter jedem Windrad und jeder PV-Anlage, die ihren angeblich "günstigen" Strom ins Netz einspeisen, muss ein Reservekraftwerk mit gleicher Leistung 24 Stunden vorgehalten werden - wer bezahlt das?

Speichertechnologien, die in dem benötigten großem Maßstab brauchbar und bezahlbar sind, existieren doch nur in der Fantasie der EE-Befürworter. Wenn Ende 2022 die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen sollen und demnächst auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden sollen, wird eine Stromlücke entstehen, die durch die stark volatilen Erneuerbaren niemals geschlossen werden kann. Dann bleibt nur noch der Stromimport aus anderen Ländern der EU - falls die Strom übrig haben. Doch dazu müssten wir nicht nur Stromtrassen in Nord-Süd-Richtung sondern auch in Ost-West-Richtung bauen. Jedenfalls sind weitere starke Strompreiserhöhungen und künftig auch Rationalisierungsmaßnahmen nach sozialistischem Muster, euphemistisch "Demand Side Management" genannt, unvermeidlich.

Stefan Steger, München

Kritik an einer Schlüsselposition

Mit großem Gewinn habe ich den Beitrag über die Rolle rückwärts in der deutschen Atompolitik nach der Reaktorkatastrophe gelesen. Einzig mit der Charakterisierung des damaligen Abteilungsleiters im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, bin ich nicht einverstanden. Abteilungsleiter in Ministerien sind sogenannte politische Beamte - und sie agieren in den meisten Fällen auch so. So wirkt es wenig glaubwürdig, wenn Hennenhöfer behauptet, er habe sich "aus solchen politischen Fragen" (wie einem Moratorium für die ältesten Atomkraftwerke) herausgehalten.

Hennenhöfer hat sich in seinem ganzen Berufsleben als entschiedener Kämpfer für die Atomkraft erwiesen. In einem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zur Stilllegung der Kernkraftwerke nach dem Unfall wurde Hennenhöfer vorgeworfen, bei der Ausgestaltung des Ausstiegs absichtlich Fehler gemacht zu haben. Ein Entwurf zu einer rechtssicheren detaillierten Begründung und Umsetzung der Stilllegung fand keine Beachtung. Abteilungsleiter Hennenhöfer ignorierte die ausführliche Begründung seiner Arbeitsgruppe und leitete nur eine kurze Begründung an die Bundesländer weiter. Der Leiter der Arbeitsgruppe gab im Untersuchungsausschuss zu Protokoll: "Es ist bewusst ein Bescheid formuliert worden, der offensichtlich rechtswidrig ist". Auf dieser Grundlage konnten die Konzerne später ihre Klagen erheben.

Hennenhöfers Wechsel aus der Rolle der Aufsicht im Ministerium zum zu beaufsichtigenden Reaktorbetreiber Eon und wieder zurück ins Ministerium zeugt davon, dass er - wie ihm ja auch häufig vorgehalten wurde - mehr das Wohl der Atomindustrie als das des Staates im Auge hatte.

Karl Amannsberger, Berlin

Strom sparen statt ersetzen

Es würde auch helfen, wenn man den Stromverbrauch reduzieren würde, um so Kraftwerke obsolet zu machen. Solange man nur darüber nachdenkt, einen gewissen Stromverbrauch, der bisher zum Teil durch Kernkraft abgedeckt wurde, nun klimafreundlich zu ersetzen (sprich: keine Kohle, kein Gas/Öl), so lange werden alle (mehr oder weniger sinnvollen) Optionen diskutiert, wie das erreicht werden kann. Zwischenzeitlich schreitet der Klimawandel weiter voran und unsere Optionen, sie noch einzudämmen, schwinden immer mehr, solange wir darauf bestehen, unser Wohlstandsniveau klimaneutral aufrechtzuerhalten.

Erich Würth, München

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Quelle:
SZ vom 18.03.2021
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