Nach dem Abitur:Guides für Online-Experimente

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"So, wir üben jetzt das Programmieren": Freiwillige im Bereich Digitales können mit Schülern ebenso arbeiten wie mit Senioren. (Foto: Lise Gagné/Getty Images)

Freiwilliges soziales Jahre Digital: Manche Teilnehmer gestalten Podcasts, andere entwickeln mit Kindern Medienprojekte. Doch es gibt noch mehr Einsatzmöglichkeiten.

Von Rebekka Gottl

Was ist angenehmer geworden, wenn man sich entschieden hat, rein vegan zu leben, was schwieriger? Wie kann man andere davon überzeugen, auf ein eigenes Auto zu verzichten und stattdessen mehr mit dem Rad zu fahren? Es gibt viele Themen, die junge Menschen in Zusammenhang mit dem Klimaschutz bewegen. Im Podcast "Tree Talk" des IB-Bildungszentrums Karlsruhe erzählen Schülerinnen und Schüler davon und diskutieren darüber. "Mit dem Podcast wollen wir aufklären und mitreißen", sagt Lilith Gottung. Die 20-Jährige ist der Kopf des Projekts, organisiert Redaktionssitzungen, plant Interviews und interne Workshops. In dieser Funktion macht sie gerade beim Internationalen Bund (IB) ein freiwilliges soziales Jahr in einer speziellen Variante, das FSJ Digital.

Das freiwillige soziale Jahr ist der Klassiker unter den öffentlich geförderten Freiwilligendiensten für Jugendliche. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben circa 54 000 Ehrenamtliche 2021 ein FSJ absolviert. Neben dem FSJ in Kultureinrichtungen, Kindergärten oder Schulen und dem 2009 geschaffenen FSJ Politik ist das freiwillige soziale Jahr mit Schwerpunkt moderne Kommunikationstechnologien ein Neuling und damit noch relativ unbekannt. Daher existieren zum FSJ Digital noch keine Zahlen, etwa zu den bisherigen Teilnehmern.

Das FSJ Digital wurde 2015 als Modellprojekt zunächst in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erprobt. Dahinter steckt die Absicht, junge Menschen mit ausgeprägten technischen und medialen Fähigkeiten für die Umsetzung digitaler Projekte in gemeinnützigen Einrichtungen zu gewinnen, wie es im Koalitionsvertrag der damaligen Regierung heißt. "Mit der Einführung eines technischen Schwerpunkts sollte die Digitalisierung vorrangig an Schulen vorangetrieben werden", sagt Saskia Schwarz. Die Koordinatorin der Servicestelle Freiwilligendienste der Technischen Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft in Berlin vermittelt Interessierte an geeignete Einrichtungen wie Bildungsstätten, aber auch Altenpflegeheime. "Durch die coronabedingten Kontaktbeschränkungen sind digitale Plattformen zu einem wichtigen Instrument der Kommunikation geworden, auch für die ältere Generation."

Auch wegen Corona wünschen sich Ältere mehr Medienkompetenz

Im Umgang mit technischen Geräten und dem Internet seien die sogenannten Digital Natives, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind und sich problemlos in ihr bewegen können, besonders geübt. "Die Freiwilligen können ihre eigenen, alltäglichen Medienerfahrungen in den Kontext digitaler Arbeit einbringen und hinsichtlich der praktischen Umsetzung von ihren Kollegen lernen", sagt Schwarz. Da viele Institutionen im Hinblick auf digitale Prozesse noch am Anfang stehen, haben die Jugendlichen zudem viel Gestaltungsspielraum. "Ziel des Programms ist es, Jugendlichen einen Einblick in digitale Berufe zu ermöglichen und langfristig Interesse an der Arbeit in den jeweiligen Einsatzstellen zu wecken", sagt die Freiwilligen-Koordinatorin.

Die Aufgaben der FSJler sind vielseitig. Während Jugendliche in Pflegeeinrichtungen den Bewohnern die Grundlagen der Internetnutzung vermitteln und sie mit Videokonferenzen vertraut machen, kümmert sich Lilith Gottung um alle Bereiche der Podcast-Produktion: Von der Themenrecherche über die Instandhaltung und Wartung der Technik bis zur Kommunikation mit potenziellen Gesprächspartnern. Nach dem Abitur hat die 20-Jährige zunächst Medienmanagement in Karlsruhe studiert, jedoch nach zwei Semestern wieder abgebrochen. Sie wollte zunächst praktisch arbeiten und sich ausprobieren. Im Anschluss habe sie lange zwischen sozialen Jobs und Medienberufen geschwankt und sich schließlich über Freiwilligendienste informiert. Beim IB wurde sie schnell fündig.

"Bereits im Bewerbungsgespräch haben wir uns über Podcasts ausgetauscht, aber bis letzten Herbst war ich noch nie selbst an einer Produktion beteiligt", sagt Gottung. Seit dem Start ihres FSJ im Oktober vergangenen Jahres sind bereits vier Podcast-Folgen entstanden, die von Schülern moderiert und von Gottung organisatorisch begleitet wurden. Die Vorbereitungen für die Aufzeichnungen finden online statt, laufen über webbasierte Nachrichtendienste und geteilte Dokumente, die Gottung gemeinsam mit ihrer Chefin bearbeitet. Diese ist gleichzeitig ihre Mentorin, unterstützt die FSJlerin unmittelbar am Einsatzort, erklärt Schnittprogramme und die Aufnahmetechnik. "Die Mentoren haben einen digitalen Hintergrund, werden pädagogisch geschult und sind für das Konzept des FSJ Digital von großer Bedeutung - ebenso wie die etwa 25 verpflichtenden Seminartage für die Teilnehmer", sagt Saskia Schwarz.

In den regelmäßig stattfindenden, teils überregionalen Workshops setzt sich Gottung nicht nur mit aktuellen Entwicklungen und Themen wie Datensicherheit, Programmierung, Bildbearbeitung und Cybermobbing auseinander, sondern trifft außerdem auf andere Freiwillige.

Einer von ihnen ist der 19-jährige Lars Konrad. Bereits während der Schulzeit hat er eine Leidenschaft für Informatik entwickelt und sich eigenständig das Programmieren beigebracht. Kenntnisse, die er im Rahmen des FSJ Digital beim Institut für Jugendmanagement in Heidelberg an interessierte Jugendliche weitergibt. Dabei arbeitet er seinen Vorgesetzten nicht nur zu, sondern übernimmt auch eigene Projekte. So hat Konrad zuletzt einen Informatikkurs für die institutseigene digitale Lernplattform konzipiert, in dem Schülerinnen und Schüler sowohl eine Programmiersprache erlernen als auch vermittelt bekommen, wie sie Datenbanken erstellen und ihre eigenen Daten verschlüsseln können. Als Betreuer und Ansprechpartner führt sie der 19-Jährige darüber hinaus durch spielerische Übungen wie den Bau von Drohnen oder die Programmierung eines Lego-Roboters an das Thema Digitalisierung und künstliche Intelligenz heran.

Für das FSJ Digital gibt es mehr Bewerber als freie Plätze

"Die Möglichkeit, sich gesellschaftlich zu engagieren und gleichzeitig tiefer in die Informatik einzutauchen, wollte ich unbedingt erkunden", sagt Konrad. Wie auch Gottung erhält er ein Taschengeld von maximal 423 Euro monatlich vom Träger, der neben der Finanzierung für die Verteilung der Freiwilligen auf die Einsatzstellen zuständig ist. Da Konrad für den Freiwilligendienst aus Niedersachsen nach Heidelberg gezogen ist, muss er von dem Geld zusätzlich zum täglichen Bedarf auch die Miete stemmen. "Ohne die finanzielle Unterstützung meiner Eltern wäre das wohl kaum möglich", sagt er.

Da bundesweit nur eine überschaubare Anzahl an sozialen Einrichtungen am Programm teilnimmt, ist der Umzug in eine andere Region für die Freiwilligen oft unvermeidbar. Das habe einige seiner Freunde abgeschreckt, sich wie er um eine Stelle zu bewerben, so Konrad. "Leider können wir die steigende Nachfrage nach FSJ-Plätzen im Digitalen aktuell noch nicht bedienen", sagt Schwarz. Meist scheitere es an den fehlenden digitalen Konzepten gemeinnütziger Einrichtungen, dem fachlichen Know-how sowie den unzureichenden technischen Möglichkeiten.

Weiterempfehlen würden Gottung und Konrad das FSJ Digital dennoch - vor allem Jugendlichen, die sich für Mint-Fächer interessieren, medienaffin sind und ihre Medienkompetenz an ihre Mitmenschen weitergeben wollen. "Das FSJ Digital ist eine Chance", sagt Gottung, "besonders für diejenigen, die noch nicht genau wissen, welche berufliche Richtung sie im Mint-Bereich einschlagen wollen."

Nähere Informationen zum FSJ Digital gibt es auf dem Portal des Bundes-Freiwilligendienstes oder auf der Plattform Einstieg statt Auszeit .

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