Friedrich Merz:Welche konservativen Wertvorstellungen?

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Die CDU-Mitglieder haben ihren Parteivorsitzenden gewählt. Einige fanden die Entscheidung vorhersehbar, doch nicht alle Leser sind mit ihr einverstanden. Einer erklärt sogar öffentlich den Austritt aus der Partei.

Nach einer Mitgliederbefragung wird Friedrich Merz neuer CDU-Parteivorsitzender. (Foto: Getty Images)

Zu "Ein Fels, der fließt" vom 20. Dezember, zu "CDU bricht mit der Ära Merkel", zu "Triumph in aller Stille" und zu "Zurück in die Zukunft", alle vom 18./19. Dezember:

Nicht überraschend

"Die Mitglieder votieren überraschend klar für ... Friedrich Merz". Für mich ist das nicht überraschend. Allein das Jahr 2021 hatte doch sehr deutlich bei den vielen Meinungsumfragen gezeigt: Der CDU-Wähler und vor allem die Mitglieder der Union möchten kein "Weiter so". Die Mitglieder und das Wahlvolk haben schon das ganze Jahr signalisiert, entweder Merz oder Söder; aber kein Laschet!

Wie sich dieser dann mit Unterstützung von Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier an die Macht begeben hat, war schon ein ziemlich fester Tritt gegen die Basis und den Wähler. Auch will der Wähler der Union stärker jene Werte umgesetzt sehen, die unter der praktischen Politik von Angela Merkel in all den Jahren zu kurz gekommen sind: Ich nenne eine intakte Familie, die von über 90 Prozent der jungen Erwachsenen gewünscht ist. Auch im Umgang mit "lupenreinen Demokraten" wünscht sich der CDU-Wähler eine klare Kante.

Wolfgang Zopora, Bad Alexandersbad

Demokratie gestärkt

In den letzten Wochen ist die Demokratie durch zwei Ereignisse ein Stück weit gestärkt worden: Die Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler und die Wahl von Friedrich Merz zum CDU-Vorsitzenden. Nicht nur die Volksparteien haben damit Aufwind, auch Konservative haben wieder eine Heimat und müssen nicht zur blauen Konkurrenz übersetzen. Daneben ist auch die Eindeutigkeit der Lager wieder hergestellt. Merz ist ein Mann wie seinerzeit Kohl. Der nächste Kanzlerkandidat der CDU. Spannend bleibt die Frage, wie er es mit der AFD hält oder ob er sogar mit ihr liebäugelt. Er wird so manches anders machen als seine letzten drei Vorgänger im Amt. Merz will Macht, und die hat er jetzt.

Thomas Fix, Frankfurt/Main

Sargnagel der CDU

Nun soll es also der CDU-Rechtsaußen Friedrich Merz richten. Nach ihrer Wahlschlappe, ihrer Unfähigkeit zu regieren und dem Fehlen von Inhalten greift die ehemalige "Volkspartei" nach dem letzten Strohhalm, um sich vor dem Untergang zu retten. Sie will mit Merz die AfD rechts überholen. Es braucht nicht viel politische Weitsicht - und die Kommentatoren bestätigen dies einhellig: Merz wird dazu beitragen, die CDU im 25-Prozent-Loch verschwinden zu lassen.

Hier lohnt auch ein Rückblick in die Geschichte der Partei, die von Politikwissenschaftlern fast einhellig wie folgt beschrieben wird: Die CDU wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 gegründet. Sie ist damit die Folgepartei der katholischen Zentrumspartei, welche ihre Wurzeln im Kaiserreich hatte und bis in die Weimarer Republik die deutsche Politik dominierte - also die Zeit von Bismarck und Kaiser Wilhelm. Als Vertreterin des politischen Katholizismus war sie eine der wichtigsten Parteien im Deutschen Reich.

Das "C" in Namen der Nachkriegspartei war ein gelungener Werbegag, welcher der Partei über viele Jahrzehnte die Stimmen der Kirchenmitglieder und damit die Macht sicherte. Dass ihr christliche Werte egal sind, zeigte ihr Verhalten in der Diskussion um die Einwanderung, wo sie gegenüber den Flüchtlingen sehr unchristliche Positionen vertrat, um sich der AfD anzubiedern. So wird die CDU auch allgemein im politischen Spektrum mittig-rechts verortet. Mit dem Aussterben ihrer Wähler und der Schwächung des Katholizismus zieht auch das "C" als Wahlschlager nicht mehr so richtig.

Schaut man bei Google nach, steht da etwas von einer wirtschaftsliberalen, konservativen Partei, aber was bedeutet das? Ja, da war was im Wahlkampf mit der Parole "wir müssen die Wirtschaft entfesseln". Aber auch das ist nichts Neues. Seit vielen Jahrzehnten predigt die CDU den Eigennutz und die Gier als Motor unserer Gesellschaft. Sie arbeitete aktiv und erfolgreich an der Abschaffung des Staates in allen Bereichen. Davon wird sie nur noch von der FDP übertroffen. Diese Politik des Turbokapitalismus hat viele Bereiche des öffentlichen Lebens an die Wand gefahren.

Bleibt noch der Konservativismus, den Merz propagiert. Im Falle der CDU steht er dafür, die herrschende politische Ordnung und die vorgegebene Verteilung von Macht und Reichtum vor Kritik und Veränderung zu schützen. Praktisch verfolgt damit die CDU als Hauptziel die Konservierung von Privilegien. Sie stemmt sich hier gegen Veränderungen. Helfen soll dabei der Populismus à la Merz. Hat die CDU ein Herz für die Traditionen? Ist sie wertkonservativ? Darunter versteht man eine Politik, die sich für die Bewahrung von Natur und Kultur, für eine humane und solidarische menschliche Gemeinschaft sowie die Würde des Einzelnen einsetzt. Steht die CDU für die Bewahrung von Bewährtem oder die Pflege von Kultur und Geschichte? Kaum eine Partei ist so auf unseren traditionellen Werten herumgetrampelt. Eine CDU unter Merz bedeutete eine Partei ohne Visionen, die sich überlebt hat. Sie ist völlig außer Stande, Zukunftsprobleme anzudenken, geschweige denn, sie zu lösen.

Conrad Fink, Freiberg am Neckar

Beweglicher Konservativismus

Gustav Seibt hat recht, wenn er feststellt, dass der politische Konservativismus in Deutschland sich in einem beklagenswerten Zustand befindet. Da gibt es eine orientierungslos dahintorkelnde, von Angela Merkel bis zur Unkenntlichkeit weichgespülte Union und daneben die AfD, deren einziges Fundament das Ressentiment ist, ohne jegliches intellektuelles Fundament.

Das alles bedeutet aber nicht, dass konservativ geprägtes politisches Handeln überflüssig wäre. Notwendig ist ein beweglicher Konservativismus, der auf festen Prinzipien und Wertvorstellungen steht. Es geht um Selbstverantwortung, um die Freiheit des Einzelnen, um die Werte der Familie und um gesellschaftliche Solidarität. Konservativ zu sein, bedeutet nicht unreflektiert überlieferten Traditionen zu folgen. Edmund Burke schreibt schon 1858, "es kann keinen größeren Irrtum geben, als anzunehmen, eine konservative Regierung sei unbeweglich. In der Politik muss dieselbe Richtung verfolgt werden wie in anderen Dingen des allgemeinen Lebens: beständige Verbesserung des Bestehenden, Anpassung an die gewandelten Bedürfnisse und an die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft". Konservative Politik ist stets reformbereit, gibt aber nicht ihre Prinzipien auf. Basis einer recht verstandenen konservativen Politik ist das Christliche Menschenbild, das den Menschen als einzigartiges Individuum versteht, der trotz seiner unantastbaren Würde stets unvollkommen und nicht "perfektionierbar" ist.

Konservativ zu sein, bedeutet somit eine Absage an den "neuen Menschen" wie ihn totalitäre Regime so gerne erschaffen wollen. Konservativ zu sein bedeutet, behutsam mit dem Bestehenden umzugehen, letztlich ist es der erfahrungsgestützte "Common sense", der den Konservativen leitet. Dass dies alles in unserer politischen Landschaft kaum vertreten ist, heißt beileibe nicht, dass wir in der Politik auf anspruchsvolles konservatives Gedankengut verzichten können. Im Gegenteil!

Dr. Martin Klupp, Amberg

"Ich erkläre meinen Austritt"

Als ich vor 53 Jahren in Hessen der Jungen Union und der CDU beitrat, war das kein ganz einfacher Schritt: Damals regierte in Wiesbaden die SPD mit 51 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl - und in der Bundesrepublik zeichneten sich die Vorläufer der 68er-Revolten schon ab. Damals sich als junger Kerl der CDU anzuschließen war gar nicht so einfach und manche Freundschaft ging darüber sogar in die Brüche. Trotzdem war ich so aufgewachsen und erzogen, dass mir absolute Mehrheiten - die Erfahrungen meiner Großeltern und Eltern mit dem Nationalsozialismus immer vor Augen - ein Dorn im Auge waren.

Es gab eine Strömung innerhalb dieser CDU, die meinen innersten Überzeugungen entsprach: die Sozialausschüsse der CDA. Und diesen Mann, der dort schon einiges zu sagen hatte: Norbert Blüm. "Politik der Christen ist nicht immer christliche Politik. Sozialpolitik ist zu oft nur der Lazarettwagen der Wirtschaftspolitik gewesen." "Alle wollen den Gürtel enger schnallen, aber jeder fummelt am Gürtel des Nachbarn herum." Zitate wie diese waren es, die mich überzeugten, meine politische Heimat in der CDU zu finden. Diese Entscheidung fand leider eine lange Unterbrechung, weil es mich zum Studium nach München verschlug, wo ich den größten Teil meines Lebens verbrachte. Ich und die CSU, das wurde nichts. Nach einem sehr kurzen Vorstellungsgespräch beim damaligen Generalsekretär der CSU, Gerold Tandler: "A Saupreiß, evangelisch, a Student." Er fand das wohl witzig, ich nicht. Ich blieb der CDU immer treu, wenn das auch mit meinem Münchner Wohnsitz mitgliedsmäßig nicht vereinbar war. Vor zehn Jahren kehrte ich nach Hessen zurück, wo ich der CDU wieder beitrat,ehe ich vor ein paar Jahren nach Krefeld gezogen bin.

Mein Schritt, "meine" CDU zu verlassen, tut weh. Ja, das klingt pathetisch, aber sowohl politische Entscheidungen als auch die Wahl des neuen Parteivorsitzenden lassen mir keine andere Wahl. Und ich bin mir sicher, dass nur die Rückbesinnung auf die "alten" Werte der christlichen Soziallehre und die Erkenntnis, dass gerade das Ringen um ehrliche und konkrete Antworten auf die neuen Herausforderungen unserer Zeit - ich nenne nur Umweltschutz, Klimawandel und Migration - die CDU wieder auf den richtigen - und erfolgreichen - Weg bringen werden.

Ich werde den Weg, den die CDU gehen wird, genau verfolgen und habe die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sie sich verändern kann. Allerdings ganz sicher nicht mit und unter diesem Vorsitzenden. Polarisierend, nur Wirtschaftsinteressen im Blick und nur die Gesellschaft zu spalten - das wird kein Erfolgsrezept. Dabei hatte er doch von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard bis zu Angela Merkel so viele gute Beispiele, wie eine Politik von Versöhnung und Ausgleich sowohl innen- als auch außenpolitisch auszusehen hat. Und das zum Abschied: Die Migrationspolitik der CDU hatte in den letzten Jahren mit christlicher Politik und Nächstenliebe nichts mehr zu tun. Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der CDU.

Horst Engelbach, Krefeld

© SZ vom 04.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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