Flutkatastrophe:Dann kam das Wasser

Flutkatastrophe: Selbst mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe ist das Ahrtal weit von Normalität entfernt. Auch das Dorf Schuld im Norden von Rheinland-Pfalz ist immer noch schwer gezeichnet von den Wassermassen.

Selbst mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe ist das Ahrtal weit von Normalität entfernt. Auch das Dorf Schuld im Norden von Rheinland-Pfalz ist immer noch schwer gezeichnet von den Wassermassen.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Schotter, Kies, Beton, mehr hatte die Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 oft nicht übrig gelassen. Wie berichtet man aus einer Region im Ausnahmezustand?

Von Gianna Niewel

Es gibt Begegnungen, die vergisst man als Reporterin nicht, und im vergangenen Jahr hatte ich besonders viele davon. In Dernau, Sinzig, Schuld, in einer Region im Westen Deutschlands, die bis zum 14. Juli 2021 allenfalls bekannt war für ihren Spätburgunder. Dann kam die Flut.

Als Süddeutsche Zeitung berichteten wir sofort aus den betroffenen Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, als Landeskorrespondentin war ich besonders oft im Ahrtal unterwegs. Ich habe mit Menschen gesprochen, die vor den Bodenplatten ihrer Häuser standen, Schotter, Kies, Beton, mehr hatte die Ahr nicht übrig gelassen. Ein Mann sagte, er habe gedacht, er sterbe in der Nacht, und deshalb gebetet, Vater Unser im Himmel. Eigentlich sei er nicht gläubig. Eine Frau hat um ihre Tochter geweint, die war bei der Feuerwehr, ertrank in der Nacht. Wie tröstet man da?

Eine andere Begegnung, an die ich oft denke, hatte ich Wochen später. Die Nächte wurden kühler, ich wollte darüber schreiben, wie die Menschen sich auf den Winter vorbereiten. Wie heizt man, wenn die Heizungen rausgerissen sind? Wie hält man Wärme, wenn in den Fensterrahmen Planen hängen?

Eine Frau hatte mich in ihr Haus gebeten, wir saßen auf Campingstühlen in einem leeren Raum. Sie rollte eine Kabeltrommel auf, steckte ein Heizöfchen ein, begann zu erzählen. Erst vom Abend der Flut, wie das Wasser in den Garten lief, die Tomatenpflanzen wegspülte, wie es durch die Fenster brach, wie sie in den ersten Stock flüchtete, den zweiten, unters Dach, wie das Wasser ihr nachkam, wie... Die Frau stockte.

"Aber wir wollten ja übers Heizen reden", sagte sie.

"Genau", sagte ich.

Ich fand keine gute Überleitung, blätterte in meinen Notizen. Dann fragte ich nach ihrem Holzvorrat.

"Eine muss das hier ja zusammenhalten", sagte die Frau, ebenfalls Opfer der Flutkatastrophe

Später an der Haustür kam sie von sich aus auf die Flut zurück. Im Haus gegenüber, sagte sie, habe eine Familie gewohnt, Vater, Mutter, Kind, alle ertrunken. Dort, sie zeigte die Straße hoch, habe ein älterer Mann gewohnt. Auch sein Haus wurde zerstört, er habe sich umgebracht. Dort hinten wohne ein Mann, der gerade schon morgens Alkohol trinke, und auch ihr Freund trinke ihr gerade zu viel, auf dem Dorfplatz, wo es Bier gibt und Schnaps und genügend Gründe, Erinnerungen zu verdrängen. "Wenn es zu viel wird, hak' ich ihn ein, dann weiß er, dass wir nach Hause gehen." Pause. "Eine muss das hier ja zusammenhalten."

Wenn ich an die Frau denke, denke ich daran, wie ruhig sie auf die Häuser gezeigt hatte, wie ruhig sie erzählt hat, dass sie sich Sorgen um ihren Freund macht, und dass ich mich gefragt habe, wie viel ein Mensch aushalten kann.

Seit der Flutkatastrophe ist mehr als ein Jahr vergangen, ein Jahr, an dessen Anfang sogar die New York Times die Toten gezählt hat, 184 Menschen insgesamt, davon 134 im Ahrtal, in dem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel anreiste und der Bundestag 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau beschloss, eine historisch hohe Summe, in dem Armin Laschet auch deshalb nicht Kanzler wurde, weil er in der Katastrophe nicht kanzlerabel wirkte, weil er feixte, #laschetlacht. Was ist passiert in diesem Jahr? Was hätte passieren müssen? Und wie geht es den Menschen?

Zu diesen Fragen, die unsere Texte (hoffentlich) beantworten, kommen Fragen, die ich mir als Journalistin gestellt habe. Eine Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hatte geschätzt, dass im Ahrtal etwa 4000 Männer, Frauen, Kinder traumatisiert sind. Wie spricht man die am besten an? Wie findet man Worte für eine Zerstörung, die mit Worten kaum zu beschreiben ist? Ich weiß noch, wie ich in Schuld an der Ahr stand, der Boden war Matsch, der Matsch stank nach Öl, und kurz überlegt habe, ob ich statt Worte zu suchen nicht besser eine Schippe finden sollte. Ob ich damit nicht besser helfen würde. Andererseits: Da waren auch die Betroffenen, die sagten, "bitte berichten Sie".

Im vergangenen Jahr hat die Süddeutsche Zeitung zahlreiche Geschichten recherchiert, Reportagen, Analysen, Interviews, und mit den Wochen und Monaten haben sich die Geschichten verändert. Ging es im Sommer noch um die Zerstörung - etwa in Mayschoß, wo die Menschen sich zehn Tage lang eine Straße aus dem Ort heraus asphaltierten - ging es im Herbst schon um den Wiederaufbau, um politische Verantwortung.

Bei manchen Aussagen konnte man als Reporterin nur den Kopf schütteln

Im Mainzer Landtag kam der Untersuchungsausschuss zusammen, Abgeordnete aller Fraktionen befragten Zeuginnen und Zeugen, und manchmal konnte man oben, auf den Presseplätzen, nur den Kopf schütteln. Etwa an dem Tag, an dem der Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) aus dem Umweltministerium kam. Er hatte am Abend der Flut um 22.24 Uhr versucht, die damalige Ministerin Anne Spiegel zu erreichen. Gegen 23 Uhr sei er schlafen gegangen, davor habe er möglicherweise Nachrichten geschaut und "ein Bierchen" getrunken. Ein Bierchen?

Oder als der damalige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) kam. Er hätte den Katastrophenfall ausrufen lassen können, lange vor 23.09 Uhr. Pföhler sagte nichts dazu, gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz. Aber dafür sagte eine Nachbarin, am Abend habe jemand den roten Porsche der Pföhlers umgeparkt. Den fahre eigentlich nur er.

Während der Ausschuss nach wie vor Zeuginnen und Zeugen befragt - erst Ende September musste der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) noch einmal erklären, was er an dem Abend über die Lage vor Ort wusste -, waren die Antworten kaum etwas, was die Menschen im Ahrtal zu interessieren schien. Sie warteten auf Bauarbeiter, Handwerker, Material, und so war das vergangene Jahr oft auch der Versuch zu vermitteln.

Wenn im Herbst Umweltforscher darauf hinwiesen, dass sich solche "Extremwetterereignisse" häufen würden und es deshalb nicht ratsam sei, jedes Haus wieder aufzubauen. Im Ahrtal sagten viele Menschen: Aber das hier ist unsere Heimat.

Wenn im Winter Mitarbeiterinnen der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz erklärten, dass gewisse Formulare nun einmal ausgefüllt werden müssten, um Hilfsgelder zu bekommen. Im Ahrtal fragten viele: Hatte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nicht "schnelle und unbürokratische Hilfe" versprochen?

Wenn im Frühjahr viele Politiker und Redaktionen nicht mehr so regelmäßig kamen, und im Ahrtal viele Menschen sagten: Ja, der Krieg in der Ukraine ist schlimm, aber wir sind doch auch noch hier.

Hatten sie nicht auch recht?

Mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe ist das Ahrtal noch immer weit von Normalität entfernt. Straßen sind nicht asphaltiert, Kabel nicht verlegt. Die Frau, die über das Heizen reden wollte, hat sich entschieden, im Haus zu bleiben, auch weil sie und ihr Freund die Region so schön finden. Sie meint die Weinberge, auf die lange Sonnenstrahlen fallen, und sie meint schon auch die Ahr, diesen kleinen Fluss, der in diesem Sommer so wenig Wasser führte, dass zwischen den Steinen in ihrem Bett Unkraut wachsen konnte.

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