Flüchtlingspolitik:Was ist christlich?

Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm hat jüngst in einer Außenansicht seine Partei, die CDU, und noch vielmehr die Schwesterpartei CSU ermahnt, dass das C im Parteinamen auch Verpflichtung sei. Leserinnen und Leser antworten ihm hier.

Nov 13 2015 Lesbos Greece A man helps a woman as refugees and migrants riding a dinghy reach

Ein Grieche hilft 2015 einer Flüchtlingsfrau in Lesbos an Land.

(Foto: imago/ZUMA Press)

"Das C verpflichtet", Außenansicht von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm vom 13. Juli:

Wie Pappkartons

Norbert Blüm sei Dank: endlich redet wieder jemand über das Leid und Elend der Flüchtlinge. In den Regierungen der Österreicher, Italiener, Ungarn, Polen und "Bayern" wird über diese Menschen in extremer Notlage geredet wie über Pappkartons, die auf der linken Seite zu stapeln sind. Reden wie aus einer, wie wir gehofft hatten, vergangenen Zeit. So reden Menschen, die bar jeder menschlichen Regung sind. Gleichzeitig möchte ich die Print-Medien und die digitalen TV-Sender aufrufen, nicht nur über die thailändischen Jungs zu berichten, sondern das Drama im Mittelmeer mit täglichen Toten nicht einfach zu ignorieren. Das ist nicht die Lösung. Die europäischen Staaten wie auch die USA etc. haben schon vor dreißig Jahren die Hilfe vor Ort in den armen Ländern angemahnt und versprochen. Das ist genauso wenig geschehen wie in diesem Jahr. Worte, Worte...nichts sonst. Wie lange glauben die europäischen Staaten noch, die Flüchtlingsströme durch Symbolpolitik aufhalten zu können? Wann werden sie Frontex Waffen und Schießbefehl geben?

Wolfdietrich Völker, Castrop-Rauxel

Bitte nicht naiv sein

Christliches Verhalten ist es nicht, anderen ein "unchristliches" Benehmen vorzuwerfen. Christlich zu sein, bedeutet durchaus, sich hilfsbereit zu zeigen. Aber christlich zu sein, bedeutet nicht, hilfsbereit und naiv zu sein. Naiv ist jemand, der glaubt, Afrikas Probleme mit der Aufnahme von einigen Millionen Flüchtlingen lösen zu können. Natürlich ist Norbert Blüms Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Lage Afrikas zutreffend und bekannt, aber es fehlen Lösungsvorschläge, Afrika aus der jahrzehntelangen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Misere zu befreien.

Die Gründe für das massive Scheitern der afrikanischen Staaten sind hinreichend bekannt. Es kann aber nicht sein, dass die heutigen Politiker Afrikas aus der Verantwortung entlassen werden, wirtschaftlich und politisch für ihre Landsleute zu sorgen. Es ist bequem und lukrativ für sie, junge Menschen nach Europa auswandern zu lassen.

Es ist nicht die Aufgabe Europas, Afrikas Jugend zu retten. Es ist die Pflicht der afrikanischen Eliten, jungen Menschen eine Zukunft im eigenen Land zu ermöglichen. Da die Machthaber Afrikas eher an ihrer eigenen Bereicherung als an der Hilfe für ihr Volk interessiert sind, ist es dringend notwendig, dass sich die sogenannten Global Player, China, EU, USA, Russland, Kanada, Japan etc., auf einer Afrika-Konferenz mit den afrikanischen Politikern treffen, um ein Konzept zu erarbeiten, das hilft, die gravierendsten Mängel unter anderem im Finanzsektor, in der Wirtschaft, in der Infrastruktur zu beseitigen. Finanzmittel der sich in Afrika engagierten Staaten und Unternehmen dürfen aber nie in die Hände der regierenden Potentaten gelangen. Um diese Politiker aber dennoch zur Mitarbeit zu bewegen, wird man sie aber notgedrungen an einigen Projekten beteiligen müssen mit der Maßgabe, dass nur ein Gewinn ausgezahlt werden kann, wenn das Projekt erfolgreich ist.

Heide Neubert, Clausthal-Zellerfeld

Die Kritiker mitnehmen

Ich bin als Bürgermeister der Gemeinde Knetzgau auch verantwortlich für die Integration von Hilfesuchenden aus Syrien und Afghanistan. Etwa 40 Flüchtlinge sind in unserer Gemeinde untergebracht. Bei 6300 Einwohnern ist das nicht sehr viel, aber wir sind dennoch stolz, dass wir für jede Unterkunft "Paten" aus der Bevölkerung gewinnen konnten, die sich darum kümmern, dass die Integration gelingt. Es gibt durchaus Erfolge zu verzeichnen. Einige junge Flüchtlinge sprechen sehr gut Deutsch, sie bereiten sich auf ein Studium vor oder absolvieren eine Berufsausbildung. Ein Mädchen machte enorme schulische Fortschritte und besucht mittlerweile die Realschule. Ein weiterer syrischer junger Mann begann im vergangenen Jahr eine Lehre als Bauzeichner. Andere konnten wiederum eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle aufnehmen.

Das sind doch riesige Erfolge! Das haben wir gemeinsam geschafft. Das dürfen wir uns durch diesen unproduktiven Streit in der Bundes- und Landespolitik nicht kaputt reden lassen. Dieser Streit demotiviert uns Helfer vor Ort und er führt dazu, dass unser Engagement in Teilen der Bevölkerung, die eh schon kritisch unsere Arbeit sieht, weiter diskreditiert wird.

Ich verstehe die Menschen, die Angst haben, denen das alles zu viel wird. Ich sehe in ihnen nicht immer einen Rassisten oder Rechtspopulisten. Aber wenn man in einer Bürgerversammlung oder in dem Mitteilungsblatt über die Hintergründe von Flucht und Vertreibung informiert, dann wird der eine oder andere doch nachdenklich. Zumindest haben wir in der Gemeinde keine öffentlich ausgetragene negative Diskussion über unsere Flüchtlinge.

Und was mir auch auffällt: Ich habe Bürgerinnen und Bürger, die sich klar gegen die Aufnahme von Flüchtlinge aussprechen. Aber als die ersten Familien ankamen, haben auch diese Menschen sie mit einem selbstgebackenen Kuchen begrüßt.

Wir müssen das Thema ganz anders diskutieren. Man kann einen großen Teil der Menschen mitnehmen und sie von der Notwendigkeit überzeugen, hier mit anzupacken. Viele Fluchtursachen haben auch mit unserem Konsumverhalten zu tun. Wir profitieren als Gesellschaft sehr stark davon, dass westliche Firmen Menschen wie Sklaven ausbeuten, nur damit wir billige Produkte einkaufen können. Auch unsere stark zunehmenden Waffenexporte in Krisenregionen tragen dazu bei, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Jeder von uns hat unfassbares Glück, dass er zur jetzigen Zeit hier in Europa, Deutschland, Bayern, Knetzgau aufwachsen darf. Keiner hat für dieses Glück irgendetwas tun müssen. Wer so viel Glück hat, der kann davon auch etwas für die übrig haben, die dieses Glück nicht hatten.

Stefan Paulus, Erster Bürgermeister

Gemeinde Knetzgau

C-Streicher - in der Minderheit

Zu den Leserbriefen vom 5. Juli mit der Überschrift: "Der Wähler sieht's - und wendet sich ab mit Grausen": In vielen von der SZ in den letzten Wochen veröffentlichten Leserbriefen wird vorgeschlagen, die CSU solle doch das für eine "christliche" Grundhaltung stehende C aus ihrem Namen streichen. Aufgrund der geforderten Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik sei dies nicht mehr gerechtfertigt. Generell entsteht beim Lesen der Leserbriefe der Eindruck, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung strikt gegen die geforderten Verschärfungen ist. Tatsache ist jedoch, dass ca. zwei Drittel der Deutschen sich seit Langem eine restriktivere Flüchtlingspolitik wünschen. Dieser Wunsch wurde jahrelang von der Politik, also von den etablierten Parteien, ignoriert. Dass sich die CSU nun endlich ernsthaft dieses Themas annimmt, begrüße ich sehr.

Die Mehrheit der Bevölkerung hat kein Verständnis für Absurditäten, wie einen Abschiebestopp nach Afrika wegen des Winters oder die Wiedereinreise für mit Einreiseverbot Belegte. Etwa 60 Prozent der Flüchtlinge kommen ohne Papiere. Es ist also davon auszugehen, dass mindestens die Hälfte aller Flüchtlinge in der wichtigen Frage der Identitätsfeststellung uns zunächst einmal zu täuschen versucht.

Den C-Streichern möchte ich sagen: Ihr seid in der Minderheit. Ich wünsche mir einen Wechsel der Tonart. Mein Vorschlag ist b-Moll. Dabei steht das b für Bescheidenheit als Gegensatz zu der demonstrierten moralischen Überheblichkeit. Moll ist angebracht, weil für eine heitere Grundstimmung, wie sie Dur zugesprochen wird, keinerlei Anlass besteht.

Franz Pfeifroth, Ebersberg

Geschmeidige Nebelsprache

Eine Union, die sich den Aufruf zum "C" von Norbert Blüm zu eigen machte, holte sicherlich manchen Wähler zurück. Aber wie kann das "C" in eine konsistente Politik eingebettet werden? Da hat die Union ein schier unüberwindbares Problem. Durch ein zufälliges Treffen mit Julia Klöckner bei der evangelischen Studentengemeinde in Kaiserslautern wurde ich als Nicht-CDU-Mitglied zu einigen Veranstaltungen der CDU-Kommission "Nachhaltig leben - Lebensqualität bewahren" eingeladen. Im Abschlussbericht vom Sommer 2015 steht der Satz: "Die CDU war von Anfang an der Nachhaltigkeit und der Lebensqualität für alle verpflichtet." Der Begriff Nachhaltigkeit hat aber erst um 1990 seine politische Bedeutung erlangt. Der Versuch, die CDU als Partei der Vordenker von Rio zurechtzubiegen, prägt den ganzen Text.

Der heutigen Herausforderung, einen Lebensstil der Bescheidenheit und der klugen Mäßigung zu vertreten, ist die CDU derzeit nicht gewachsen. Der Einstieg in einen problembewussten Natur- und Klimaschutz und eine entsprechende Entwicklungspolitik erfordert einen gewaltigen intellektuellen Kraftakt.

Die von Norbert Blüm zu Recht kritisierte sprachliche Verrohung prägt zwangsläufig das Denken. Eine geschmeidige Nebelsprache wirkt aber vielleicht noch toxischer. So drohen die Aufrufe ernsthafter Leute wie Gerd Müller, CSU, oder Klaus Töpfer, CDU, in den Schwesterparteien zu verhallen.

Hermann Pütter, Neustadt

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

forum@sueddeutsche.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: