Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Kritik an der Gleichgültigkeit

Lesezeit: 2 min

Unfassbar ist es für viele, dass sich die Länder der EU nicht auf ein wirklich einheitliches Vorgehen zur Aufnahme Geflüchteter einigen können. Ein Leser schlägt Aufnahmeprämien vor, damit alle mitmachen.

Zu " Vorauswahl an den Außengrenzen" vom 25. September:

Nachdem die europäische Flüchtlingspolitik mit dem Inferno von Moria endgültig gescheitert ist, plant die EU-Kommission eine Reform. Kann eine Vorauswahl an den Außengrenzen und die Hilfe bei den Abschiebungen ("Patenschaften" ) durch Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, eine Lösung sein? Nein!

Selbst wenn zwei Drittel der Flüchtlinge durch neue Grenzverfahren nach spätestens drei Monaten zurückgeschickt werden, bleibt immer noch ein Drittel, dessen Verteilung in Europa scheitern wird; denn die Gruppe der Willigen ist sehr klein geworden. Wie soll die bisher fehlende Solidarität der "Unwilligen" hergestellt werden? Sollen die Abgelehnten in diese Länder geschickt und zur Abschiebung gedrängt werden? Wenn das nicht innerhalb von acht Monaten gelingt, so verpflichtet die Reform die Staaten zu einer vorübergehenden Aufnahme. Das werden die bekannten Blockierer ablehnen wie der Teufel das Weihwasser. Und die katastrophalen Verhältnisse in den Lagern? Diese können nicht beseitigt werden, wenn auch zukünftig Staaten an den Außengrenzen die Hauptlast tragen sollen.

Mit dieser Perspektive wird Griechenland auch weiterhin an einem Abschreckungsszenario festhalten nach dem Motto: "Macht euch nicht auf den Weg. Wir lassen euch verrecken." Fazit: Die Reform muss scheitern, weil es keine Solidarität zwischen den EU-Staaten gibt. Einigkeit besteht nur bei der Entgegennahme von Subventionen aus Brüssel. Da die Werte der EU-Menschenrechtskonvention von vielen Staaten nicht richtig geachtet werden, sollten die Verweigerer endlich finanziell belastet werden zugunsten der Aufnahmeländer. Die Globalisierung der Gleichgültigkeit gegenüber Tausenden von Toten im Mittelmeer besteht jetzt auch gegenüber den schrecklichen Zuständen in den Flüchtlingslagern. Von der Idee einer Wertegemeinschaft ist die EU auch mit der Reform der Migrationspolitik weiter entfernt denn je. Pit Wenninger, Bremen

Die von der EU vorgelegte neue Flüchtlingspolitik ist nicht machbar. Es wird nicht funktionieren, unwillige Länder dazu einzuspannen, abgelehnte Flüchtlinge in ihre Länder zurückzuführen. Das schaffen wir in Deutschland heute schon nicht, wie soll das ein Land wie Ungarn oder Tschechien besser schaffen? Die einzige Chance ist eine EU-Prämie pro übernommenem Flüchtling. Dann bezahlt jedes Land mit. Wenn wir davon ausgehen, dass die Kosten pro Flüchtling bei etwa 100 000 pro Jahr liegen, und wenn wir davon ausgehen, dass innerhalb von drei Jahren die Flüchtlinge entweder im Lande integriert sind oder ihr Aufnahmeantrag bearbeitet und abgelehnt wurde, kommen wir auf eine überschaubare Summe. Warum hatte Deutschland es in den 50er- und 60er-Jahren geschafft, Fremdarbeiter zu rekrutieren und zu integrieren?

Auch heute benötigt Deutschland Fremdarbeiter, anlernen muss man sie heute wie vor 60 Jahren. Wenn die EU pro Flüchtling einen Betrag übernimmt, der die Kosten deckt, die dem aufnehmenden Staat entstehen, dürfte niemand etwas gegen die Aufnahme von Geflüchteten haben. Deutschland benötigt Arbeitskräfte von außen. Was fehlt, ist ein Verzeichnis von Arbeitskräften, die jedes Land benötigt. Wir sollten uns nicht so anstellen, das Problem Flüchtlinge ist in der EU lösbar. Axel Bock, München

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5092617
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.