Süddeutsche Zeitung

Flucht:Mit zweierlei Maß

Während Millionen ausgegeben werden, um Touristen zurück nach Deutschland zu fliegen, harren Tausende geflüchteter Kinder an der griechischen Grenze noch aus. Das stößt Lesern auf. Wann beginnt die Rettung dieser jungen Menschen?

Zu "Wie in der Arche Noah" vom 28./29. März, "Flüchtlinge aufs Festland" vom 21./22. März sowie zu "Wenn wir selbst Flüchtlinge wären", seit 9. März auf sz.de, und zu "EU unterstützt Griechenlands harte Linie" vom 4. März:

Millionen nur für Privilegierte

200 000 Deutsche werden mit einem Millionen-Aufwand "heimgeholt", dabei medienpräsent der deutsche Außenminister. Transportflugzeuge der deutschen Bundeswehr holen Corona-Kranke aus Frankreich und Italien in deutsche Kliniken, medienpräsent die Verteidigungsministerin. Alles richtig. Für fünfzig unbegleitete Flüchtlingskinder aus Griechenland findet sich kein Platz in einem deutschen Flugzeug. Die deutsche Regierung sollte sich schämen, ich schäme mich für Deutschland.

Dr. Ulrich Wettmann, Saarlouis

Wo Solidarität leider endet

Was ist eine Grenze - ein fiktiver Schutzschild, hinter dem wir uns zurückziehen und den wir im Augenblick auf Kosten von Menschenleben verteidigen lassen. Ich finde es bemerkenswert, wie schnell und unbürokratisch wir in Zeiten von Corona mit Ein- und Ausreiseverbot weit mehr als 100 000 gestrandete Urlauber zurückholen können. Aber 1500 Flüchtlingskinder zu uns zu holen, das schaffen wir nicht! Obwohl Städte und Gemeinden durchaus bereit wären, sie aufzunehmen.

Hier gilt es, fiktive Grenzen zu schützen statt gestrandeten Menschen Schutz zu gewähren. An diesen Grenzen endet unsere von allen Seiten beschworene Solidarität und Mitmenschlichkeit gerade auch bei den politisch Verantwortlichen. Es sind unschuldige Kinder, Jugendliche und deren Eltern, die hier auf unsere Hilfe, auf unser Mitleid hoffen. Ich wünsche es uns nicht, aber gerade Corona zeigt uns, wie schnell auch wir vielleicht auf der anderen Seite einer Grenze stehen könnten.

Margarete Greber-Schmidinger, München

Flüchtlingslager auflösen

Corona hat die Welt im Griff, jedes Land kämpft so gut es kann dagegen. Gut so. Was aber schon wieder weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und der Politik geraten ist, das sind die armen gestrandeten Flüchtlinge im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland beziehungsweise Bulgarien und in den Lagern auf den Inseln wie Lesbos etc. Hier geht es um die Ärmsten der Armen: miserable Unterbringung in hoffnungslos überfüllten Lagern, unzureichende Verpflegung, Aggression, Krankheiten, schlechte oder fehlende ärztliche Versorgung - wahrlich ein ideales Einfallsgebiet für Corona!

Natürlich sollten umgehend zig Millionen oder sogar Milliarden an Hilfsgeldern fließen; noch dringender wäre es aber, die Lager aufzulösen. Aufnahmewillige Städte gibt es viele in Deutschland, aber die Politik versteckt sich erfolgreich hinter den Problemen in Europa.

Ich appelliere dringend an alle Verantwortlichen, Kanzlerin, die Länderchefs etc.: Holt die Menschen dort raus, und zwar jetzt, nicht bald. Die Kanzlerin hat mit Recht gesagt: Deutschland ist ein starkes Land. Es kann in dieser Krise auch den Ärmsten der Armen helfen, es muss nur der Wille da sein.

Hans Steinack, Obing

Den Worten Taten folgen lassen

Dass nicht alle aufgenommen werden können, die nach Europa, in die Bundesrepublik Deutschland wollen, wird von den meisten Bürgern verstanden. Von ihnen nicht verstanden wird, hoffentlich, die Weigerung der Politiker, unter schlimmsten Verhältnissen, mehr vegetierende als lebende Kinder, ein Asyl zu gewähren. Sie im Stich zu lassen, grenzt schon an unterlassene Hilfeleistung, zumal diese möglich wäre. Oder wiegt die Furcht vor der AfD so schwer, sie könnte einen großzügigen Einsatz für ihre politischen Interessen missbrauchen. Dann wären die Parlamentarier in ihrer Entscheidung nicht mehr frei, sondern Gefangene rechter Gesinnungsgenossen und müssten sich ihrer Feigheit wegen schämen. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht nur Orbán & Co. die Richtlinien der Politik immer noch stärker bestimmen und die EU zu einem Egoistenverein degradieren.

Dass diverse Bürgermeister sich bereit erklärt haben, Kinder schnell und unbürokratisch in bereitstehende Einrichtungen aufzunehmen, ist ein Lichtblick. Bleibt zu wünschen, dass ihre Stimmen nicht nur gehört werden, sondern von den Verantwortlichen auch Taten folgen.

Gerhard Wunder, München

Europäische Werte schützen

Es dürfte nicht schwerfallen, sich vorzustellen, wie es Flüchtlingen an der griechischen Grenze zur EU wohl geht: Sie harren aus, ohne Unterkunft und Verpflegung, in der Hoffnung, nach Europa zu kommen. Wir hätten die Fotoinszenierung europäischer Gaffer-Kommissare nicht gebraucht, die sich im Komfort ihres Fluggeräts einen Überblick über die Lage der Notleidenden am Boden verschaffen. Die Erklärung, man sei dabei, europäische Werte an der griechischen Grenze zu schützen, ist bemerkenswert. Ein wenig Menschlichkeit würde mir genügen. Um meine Großmutter zu zitieren, die Ende des Weltkriegs 1944/45 ob der Flüchtlingsströme im Bergischen Land bemerkte: "Lasst die Flüchtlinge nur kommen, wenn ich nur zu Hause bleiben kann." Lasst die Kriegsflüchtlinge an der EU-Grenze rein. Es gibt keinen besseren Schutz europäischer Werte als diese Geste.

Dr. Christoph Houben, Stolberg

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Quelle:
SZ vom 02.04.2020
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