Film "Elternschule":Der ewige Streit um die richtige Erziehung

Was bedeutet "Autorität" in der Beziehung von Eltern und Kind? Was kann Liebe ausrichten? Und was hilft es, Grenzen zu setzen. Der Film "Elternschule" hat eine deutschlandweite Diskussion ausgelöst. Auch SZ-Leser diskutieren mit.

Mutter mit Kind für die Forumseite vom 20.11.2018

Liebevolle Zuwendung zum Kind, so viel ist sicher, ist Grundvoraussetzung für eine gelungene „Erziehung“.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

"Warum brüllst du?" vom 27./28. Oktober:

Was heißt eigentlich "Autorität"?

Meredith Haafs oben genannter Artikel stellt sehr schön die "Erziehungsvielfalt" unserer Tage mit all ihren Irrungen und Wirrungen dar, lässt aber leider eine Diskussion des Grundproblems vermissen: das Verschwinden der "Autorität" auf allen gesellschaftlichen Ebenen, also auch der pädagogischen. "Autorität" ist ein komplexer Begriff, der irgendetwas meint, das nicht "Überzeugen" im Dialog, aber auch nicht "Beherrschen" durch Einsatz von Machtmitteln ist. Da würde ich alle, die diesen Begriff als Kampfmittel, egal zu welchem Zweck einsetzen, auffordern, zuerst über denselben nachzudenken.

Nun erleben wir - aktueller, aber austauschbarer Auslöser ist der Film "Elternschule" - erneut den ewigen Streit um die "richtige" Erziehung, die sicherlich nicht durch Gewalt, aber auch nicht durch bedingungsloses Aufopfern der Eltern und Verschmelzung mit den "Bedürfnissen" des Kindes gekennzeichnet werden kann. Und quasi durch die Hintertür lesen wir, wie die "Autorität" im Sinne: "Wer hat die Macht und Deutungshoheit?" in die Pädagogik zurückgekehrt ist.

Für mich als Arzt gilt: Wer heilt/hilft, hat recht! Der Kollege Dietmar Langer berichtet in "Elternschule" ja bereits über seine Klienten, diese hätten vorher schon alles ausprobiert (also Kuscheln, liebevolle, lange Gespräche, vielleicht sogar mit Kleinkindern, Tragen bis zur völligen Erschöpfung, und und und). Wenn er also diesen Eltern und deren Kindern hilft, ist das gut. Erziehen Eltern ihre Kinder streng und lieblos, wundern sich aber, dass diese auffällig, oft delinquent werden, ist sicherlich mehr liebevolle Zuwendung notwendig. Das ist dann genauso gut. Ich erlebe in meiner Praxis beides, vielleicht häufiger die aufgeopferten Eltern. Anleitung zur Erziehungskunst bedeutet, mit den verschiedenen Bedürfnissen von Eltern und Kindern adäquat und therapeutisch pragmatisch umgehen zu können. Ein "Gelehrtenstreit" und Onlinepetitionen zeigen nur, es geht um die Macht in der "Erziehung". Und das ist wirklich kontraproduktiv.

Dr. Thomas Lukowski, München

Vieles scheitert am Geld

Im Film "Elternschule" versucht eine psychiatrische Einrichtung, psychosoziale Problemlagen zwischen Eltern und Kind zu lösen, für die sie eigentlich nicht zuständig ist. Sie verwendet dazu eine Methode, die bereits vor 50 Jahren im Bereich der Kinderpädagogik als überwunden galt. Es ist erschreckend, dass die Methode des "Willen-Brechens" heute wieder bei Kindern eingesetzt wird.

Im Grunde sind isolierte Maßnahmen gesetzeswidrig, denn nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Mit "Dressurmethoden" ist dieses Ziel nicht zu erreichen, eher das Gegenteil. Zu wenig bekannt ist, dass die Kinder- und Familienhilfe Angebote und Hilfen bereithält, die es Eltern ermöglichen, in schwierigen und konflikthaften Erziehungsphasen systemische Unterstützung zu erhalten. Im Vordergrund stehen dabei Angebote, welche die Beziehung zwischen Eltern und Kind aufrechterhalten. Zu einem differenzierten Hilfeangebot gehört natürlich auch die Einbeziehung der Fachlichkeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Dass zunehmend hilfebedürftige Kinder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie "behandelt" werden, hängt auch damit zusammen, dass dieser Maßnahmenbereich leichter zu finanzieren ist. Hier werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen. Dagegen sind Maßnahmen im Aufgabenfeld der Kinder-, Familien- und Jugendhilfe von den Kommunen zu finanzieren. Es besteht daher eine gewisse Tendenz, frühe Hilfen dem Medizinbereich zu überlassen. Es ist höchste Zeit, dass hier ein Umdenken zu Gunsten einer ganzheitlichen Hilfestellung für das Beziehungssystem Eltern- Kind einsetzt.

Georg Aschauer, München

Nur der Diskurs hilft weiter

Ein "erbitterter Erziehungsstreit" im Sinne eines "Entweder-oder" hilft den Betroffenen meist wenig. Die diffuse Angst, Fehler zu machen, kann in Extremvarianten dazu führen, dass "Erziehung" mit rigoroser Kontrolle gleichgesetzt wird oder damit, dass Eltern ihre notwendige Autorität komplett aufgeben, alles verhandelbar wird. Beide Extreme generieren dysfunktionale Muster, die für Kinder und Eltern schädlich sein können. Ein Diskurs unterschiedlicher pädagogischer und psychologischer Ansätze, als Suche nach gemeinsamen adäquaten Lösungen, könnte im Sinne eines "Sowohl-als-auch" Eltern eher Sicherheit im Umgang mit ihren Kindern vermitteln.

Benedikte Engelhardt, Ursula Träg, Jochen Kuth, Nürnberg

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