Fall Özil:Jedem sein Süppchen

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Wie sind die Rassismus-Vorwürfe Mesut Özils gegenüber der deutschen Gesellschaft und dem DFB zu bewerten? Leser sind da durchaus unterschiedlicher Meinung. Viele meinen jedoch, dass die Populisten beider Seiten davon profitieren werden.

SZ-Zeichnung: Denis Metz (Foto: N/A)

"Hingehängt", " Mesut, das Medium", " Özils Rückzug wühlt Deutschland auf", " Stiller Taktgeber" und " Das Foto bleibt ein Fehler" vom 24. Juli:

Öl ins Feuer gegossen

Am Fall Mesut Özil wird deutlich, wie schnell jeder versucht, den Anlass zu nutzen, um sein eigenes, rassistisches oder weltoffenes Süppchen zu kochen. Eigentlich ist es aber doch ganz einfach.

Erstens: Wenn ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft sich kurz vor der WM mit dem hierzulande umstrittenen Staatsoberhaupt einer anderen Nation ablichten lässt, verbunden mit dem Bekenntnis, dies sei sein Präsident, dann ist das nicht nur politisch naiv, sondern auch eine Provokation all derer, deren Nationalstolz bei jeder WM heftig entfacht wird. Übrigens: Was blühte wohl einem türkischen Nationalspieler, der sich vor einem wichtigen Turnier mit einem Bekenntnis zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ablichten ließe?!

Zweitens: Özil hat sich selbst ins Abseits manövriert. Ohne dieses Foto gäbe es keine Rassismus-Debatte um seine Person. Gerade mit der Erfahrung des latenten bis offenen Rassismus auf deutschen Fußballplätzen hätte Özil wissen müssen, dass er so Öl ins Feuer gießt. Nun ist der Geist ist aus der Flasche. Es wird viel Mühe machen, ihn wieder einzufangen.

Drittens: Özil war keinesfalls für das frühe Ausscheiden "der Mannschaft" verantwortlich. Eine etwas seltsame Marketingstrategie, die einen Zusammenhalt beschwor, wo ausgelaugte Spitzensportler keine gemeinsame Linie mehr fanden, verhinderte offenbar eine notwendige, schonungslose Aufarbeitung aller Konflikte und Unzulänglichkeiten. Das Versagen allein Özil anzulasten, ist schäbig. Niemand spricht zum Beispiel über Thomas Müller, der seit seinem verschossenen Final-Elfmeter 2016 seiner Form hinterherläuft. Beim DFB sollte es einen deutlichen Kurswechsel geben. Die Herren Grindel, Bierhoff und Löw dürften jetzt eigentlich nicht mehr einfach so weitermachen.

Burkhard Hill, München

Seine Leistung stand nie infrage

Der beste Kommentar zur "Causa Özil" kam von Annette Widmann-Mauz, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung (CDU) - präziser geht es nicht. Der von Cem Özdemir (Grünen-Politiker) ist ebenfalls okay - bis auf einen Satz in Richtung DFB gemünzt: "Wollen die, dass bald junge Deutsch-Türken für Erdoğan spielen?"

Warum sollten die das tun. Da hätten sie nicht einmal die Chance, bei einer Fußball-WM in der Vorrunde als Letzte auszuscheiden! Özil sollte sich dessen bewusst sein, bei all seiner Kritik, dass er auch und gerade mit Förderung und Unterstützung deutscher Vereine heute Millionär ist und inzwischen beim FC Arsenal London gutes Geld verdient, welches er gerne in die Türkei überweisen darf. Und: Die fußballerische Leistung von Özil stand und steht außer Frage (außer für Uli Hoeneß).

Jürgen Ruopp, München

Auf der Empörungswelle

Ich bin enttäuscht über die mediale "Aufarbeitung" dieses Themas in der SZ - vor allem, dass und wie auch diese große überregionale Zeitung auf der Empörungswelle mitschwimmt und sie dadurch noch befördert. Die eigentliche Fehlleistung Mesut Özils sind die zwei Worte "Mein Präsident". Özil ist deutscher Staatsbürger und spielt(e) in der deutschen Nationalmannschaft; dann kann ein ausländisches Staatsoberhaupt nicht "sein Präsident" sein. Wenn Özil das aber so empfindet, dann soll er die deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben. Kleine Ergänzung dazu: Es ist noch nicht lange her, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die deutsche Kanzlerin, ihre Regierung und die deutschen Bürger als "Nazis" beschimpft hat.

H. Egon Held, München

Schlimmste Seiten

Die Eskalation der Özil-Geschichte nur auf deutschen Rassismus zurückzuführen, trifft nicht den Kern der Sache. Leider hat sich Mesut Özil ein Arbeitsgebiet ausgesucht, in dem es von saudummen Proleten nur so wimmelt. Fußball bringt in seinen Fans die schlimmsten Seiten hervor. Da muss man keine türkischen Wurzeln haben und seinem Lieblingsautokrator fröhlich Gratis-Wahlkampfhilfe leisten, um übelst niedergemacht und bedroht zu werden. Es reicht auch, eine umstrittene Schiedsrichterentscheidung zu treffen, als Frau ein Spiel im Fernsehen zu kommentieren, angeblich schwul oder Olli Kahn zu sein. Wenn es um Fußball geht, gibt es keine Regeln des Anstands, da darf jeder voll unter die Gürtellinie treten und seine primitive Blödheit ausleben. Und das ist beileibe kein typisch deutsches Problem.

Birgit Baude, München

Inakzeptable Verrohung

Dass jemand Briefe, Statements und Reden von anderen Menschen schreiben lässt, ist ein ganz normaler Vorgang. Einen Profi zeichnet es ja gerade aus, wenn er einen Profi auf einem anderen Gebiet einschaltet. Die Verwunderung in den Beiträgen der SZ, dass Mesut Özil seine sonntäglichen Texte vermutlich nicht selbst verfasst hat, ist deshalb doch sehr überraschend und lässt schon wieder an Ressentiments denken. Und FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß sollte sich nicht scheuen, von Mesut Özil zu lernen und einen Profi für seine Statements heranzuziehen. Denn der Ausdruck, dieser habe "seit Jahren einen Dreck gespielt" ist ein neuerliches Beispiel für die Verrohung der Sprache und damit keinesfalls akzeptabel.

Ilse Raetsch, München

Gewissenlose Hetze

Bayern-München-Präsident Hoeneß, der demutslose, wegen erheblicher Steuerhinterziehung Vorbestrafte, fühlt sich aufgrund seiner Bedeutung seit Jahrzehnten permanent berechtigt, Regeln des Anstands zu verletzen. Unter anderem sagte er in der aktuellen Causa Özil: "Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt". Hoeneß lässt dabei die Verdienste und Auszeichnungen von Özil in den vergangenen zehn Jahren absichtlich völlig unberücksichtigt und hetzt gewissenlos. Unabhängig davon, dass Özils öffentliche Äußerungen in großen Teilen für mich larmoyant und nicht nachvollziehbar sind, greift Hoeneß in erster Linie Joachim Löw an, der ja als Bundestrainer für die Aufstellungen verantwortlich war. Und wie sagte der neue Bayern-Trainer Niko Kovač noch im Juni über Özil und Gündoğan: "... keine Nationalmannschaft kann es sich leisten, auf zwei solche Klassespieler zu verzichten".

Herbert Hartmann, Oberhaching

In den Himmel geballert

Es ist erschütternd, wie sich Uli Hoeneß als Fachmann über den Fußballer Özil äußert. Ich jedenfalls erinnere mich noch genau an Hoeneß' "Drecks"-Elfmeter bei der Europameisterschaft 1976, als er den Ball in den Himmel geballert hat (der Ball ist wohl immer noch nicht zurück!).

Hans-Jürgen Mahnkopf, Bückeburg

Ehrenrettung für Schüler

In "Mesut, das Medium" trauen Sie Mesut Özil nicht zu, dass er die Tweets selbst geschrieben hat, da er in der Schule ungern Aufsätze geschrieben hat und auch Englisch nicht sein Wahlfach war. Man sollte jedoch jedem Menschen zugestehen, dass er sich nach der Schule weiterentwickelt. Es gibt Menschen, deren Entwicklungsgeschwindigkeit und Interessen sich nicht nach dem Schulstoff richten.

Dr. Ingrid Bausch-Gall, München

Gewinner ist die AfD

Wer auch immer zugelassen hat, dass Mesut Özil den abwegigen Vorwurf des Rassismus erhob, hat nicht nur Özil angreifbar gemacht, sondern verhindert, dass über das eigentliche Problem gestritten wird: Die offensichtliche und wirksame Ankunft eines rechten Nationalismus in der Mitte der Gesellschaft. Es ging schon längst nicht mehr um eine Erklärung. Die Forderung lautete letztlich: Bereue, tue Buße, dann könnten wir "vergeben". Der unheimliche Gewinner ist auch hier die AfD. Und Uli Hoeneß hat bereits die nächste Stufe gezündet - die Verachtung.

Wieland Becker, Berlin

Ausgerechnet!

"Ich küsse seine Augen" vom 27. Juli: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan küsst verzückt ausgerechnet einem Deutschen die Augen? Na, mehr Völkerverständigung geht doch nun wirklich nicht!? Detlef Jaenicke, Berlin

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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