Süddeutsche Zeitung

Fall Gurlitt:Ein Thema für Untersuchungs­­­ausschüsse

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War der Kunstsammler Cornelius Gurlitt Opfer oder Täter? Darüber diskutieren Leserinnen und Leser sehr kontrovers. Wie staatliche Behörden mit ihm umgingen, muss nach Meinung eines Lesers auf jeden Fall untersucht werden.

"Die Ungerupften" vom 27. Oktober:

Massive illegale Übergriffe

Das rechtsstaatliche Unbehagen an der Causa Gurlitt ist leider deutlich nachhaltiger, als es Heribert Prantl in seiner Besprechung der sehr lesenswerten Neuerscheinung "Der Fall Gurlitt" von Maurice Philipp Remy beschreibt. Die massiven Übergriffe von Hauptzollamt Lindau und Staatsanwaltschaft Augsburg gegenüber dem erkennbar wehrlosen Cornelius Gurlitt waren nicht nur Exzesse. Ermittlungsverfahren, mehrtägige Wohnungsdurchsuchung und jahrelange Beschlagnahme der Sammlung waren per se illegal, weil Konstruktionen von Steuerstraftaten und Unterschlagungen ohne tatsächliche Anhaltspunkte keinen Anfangsverdacht begründen, der allein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigt. Auch soweit die Sammlung einzelne Bilder enthielt, die Hildebrand Gurlitt NS-verfolgten Juden abgekauft hatte, standen sie spätestens seit 1950 in dessen Eigentum.

Dies ist die auf staatlichem Versagen gegenüber NS-Opfern beruhende Konsequenz aus von der BRD nie verlängerten Ausschlussfristen der alliierten Rückerstattungsgesetze. Mit deren Ablauf sind Rückerstattungsansprüche vor Jahrzehnten untergegangen. Seitdem hat der Staat keine Handhabe mehr, von privaten "Ariseuren" die Rückgabe einzufordern.

Daher war auch die Einsetzung der Taskforce durch Bundes- und bayerische Landesministerien grob rechtswidrig, die beschlagnahmte Bilder ins Internet stellte und Cornelius Gurlitt der Weltöffentlichkeit mit diffusen Beschuldigungen vorgeführt hat. Das waren Maßnahmen entsprechend der Regieanweisung Erich Mielkes in der MfS-Richtlinie 1/76, mit denen die Stasi in der DDR die Zersetzung der Persönlichkeit zu betreiben hatte, und sie dienten allein dem Zweck, von staatlicher Verantwortung abzulenken, weil mit Abstand größter Profiteur der NS-Verfolgung war der Staat, der wegen zu kurzer Ausschlussfristen nicht nur Kunstwerke, sondern auch Unternehmen, Grundstücke oder Geldvermögen nicht zurückgegeben hat.

Der Fall hat das Zeug für parlamentarische Untersuchungsausschüsse von Bundestag und bayerischem Landtag, die das krasse Unrecht gegenüber Gurlitt klären, die verantwortlichen Akteure schonungslos zur Verantwortung ziehen und gesetzgeberische Maßnahmen anstoßen, die endlich ohne Wenn und Aber die Rückgabe des vom NS-Staat geraubten Vermögens an die NS-Verfolgten und ihre Erben regeln. Dr. Johannes Wasmuth, München

Retter der Werke

Über den Fall Gurlitt gab es in den vergangenen Jahren sehr diffuse und auch verstörende Berichte. Nur wenige Journalisten wagten zu sagen, dass Gurlitt sen. möglicherweise auch ein Retter vieler expressionistischer Werke gewesen ist. Dass er sich zu diesem Zweck mit einer Reihe Entscheidungsträger des NS-Regimes einlassen musste, lag auf der Hand. Heribert Prantls Rezension zu Remys Aufarbeitung dieser umfangreichen Angelegenheit verdient höchstes Lob. Und für die Veröffentlichung des Selbstporträts von Cornelius Gurlitt besonderen Dank. Es zeugt von außerordentlicher Sensibilität und hohem Können.

Manfred Gerber Schaffhausen/Schweiz

Aufarbeitung tut not

In der Folge der Studentenbewegung der Sechzigerjahre haben sich kritische Mediziner mit der Rolle der Ärzte im Nationalsozialismus beschäftigt, es wurde vieles aufgearbeitet und an die Öffentlichkeit gebracht. Kritische Juristen haben das Thema "furchtbare Juristen" in der NS-Zeit verstärkt ab den Achtzigerjahren bearbeitet. In der Literaturwissenschaft wandte man sich den Büchern emigrierter verfolgter Schriftsteller zu, in der feministischen Literaturwissenschaft zum Beispiel waren es Autorinnen wie Irmgard Keun, Vicki Baum und Victoria Wolff, die somit einer breiteren Öffentlichkeit wieder bekannt gemacht wurden.

Was aber haben die kunsthistorischen Fakultäten in dem Zusammenhang getan? Es muss doch ab den Sechzigerjahren Studenten und Studentinnen gegeben haben, die mindestens zum Thema "Entartete Kunst" kritische Fragen gestellt haben, Professorinnen und Professoren, denen das Schicksal verschollener und unter bedrückenden Umständen verkaufter oder beschlagnahmter Bildwerke nicht gleichgültig war, emigrierte Bildeigentümer, die nachgeforscht haben, was aus ihrem ehemaligen Besitz geworden ist. Allein dass Rechtsansprüche ursprünglicher Eigentümer nach dem BGB früh verjährt waren und sämtliche Abkommen, die es zu dieser Problematik international wie national gegeben hat, offensichtlich rechtlich höchst unverbindlich waren, hätte doch Studierende und Lehrende auf den Plan rufen müssen. Warum ist das nicht geschehen? Ist die chronische Unterfinanzierung von Hochschulen wirklich der alleinige Grund für diesen Missstand?

Das alles hat es sicherlich Cornelius, dem Sohn des bekannten Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt ermöglicht, sich mit seinem Erbe unter seinem Familiennamen ("Gurlitt") zusammen mit über tausend Exponaten völlig unbehelligt fast 70 Jahre lang in einer Münchner Wohnung zu verbarrikadieren. In der Salzburger Gurlitt-Wohnung wären manche Werke in dieser Zeit beinahe irreversibel zu Schaden gekommen. Sowohl für den investigativen Journalismus als auch für die kunstgeschichtlichen Fakultäten gibt es wohl anlässlich des Schwabinger Kunstfundes in Zukunft noch eine Menge zu tun.

Prof. em. Ruth Ingwersen, Heroldstatt

Von der Lüge des Vaters gewusst

Da sind viele Komponenten zusammengekommen, die dazu geführt haben, dass man im "Fall Cornelius Gurlitt" überstürzt, skandalgierig, unsachlich ... und am Ende wohl auch unmenschlich vorgegangen ist. Und es ist zu befürchten, dass dieser Komponentenmix auch in Zukunft, dann in ganz anderen Fällen, dazu ausreichen wird, Beteiligte schwach werden zu lassen (und das auf Ebenen, auf denen man Professionalität erwarten darf, was den eigentlichen Skandal ausmacht). Daher hat das Buch von Maurice Philip Remy sicher seine Berechtigung, ja ist nötig.

Eine Sache bleibt aber in der Beurteilung Cornelius Gurlitts zumindest "moralisch anklagbar". Cornelius Gurlitt hat wohl von der Lüge seines Vaters, all diese Kunstwerke seien verbrannt, gewusst und diese niemals zurechtgerückt. Er hat angesichts wunderbarer Bilder verstanden, damit zu leben. Egoismus ist dafür ein zu kleines Wort. Dr. Katrin Diehl, München

Um die Kunst verdient gemacht

Weil der arme Cornelius Gurlitt ganz legal etwa 9000 Euro in bar mit sich trug, meinten die "erfahrenen" Zollbeamten, den sich so merkwürdig benehmenden alten Herrn schwer verdächtigen zu müssen und zur Weiterverfolgung den höhergestellten Behörden zu empfehlen. Es ist nicht beweisbar, dass die kleinkarierten Behördentätigkeiten, zuvorderst die wohl illegale Beschlagnahme von Gurlitts kompletter Kunstsammlung, und auch die öffentliche Herabwürdigung seiner Kunstsammler-Aktivitäten durch die Medien - auch die SZ war Teil davon - sowie die Behandlung seitens der Behörden zum Tod Cornelius Gurlitts beigetragen haben. Aber der Arme war wenigstens noch entscheidungsfähig, seine wertvolle Kunstsammlung nicht seiner kleinkarierten, überbürokratischen Heimat, sondern der neutralen, zuverlässigen, soliden Schweiz zu übertragen.

Jedenfalls sollten wir sowohl auf Cornelius aber auch seinen Vater Hildebrand Gurlitt etwas stolz sein. Der Vater hat in einer sehr schweren Zeit mit Kennerschaft dafür gesorgt, dass großartige Kunstwerke der Nachwelt erhalten blieben, und der Sohn hat die Ideen seines kunstkennenden Vaters weiter gepflegt. Beide haben sich um die bildende Kunst verdient gemacht und ihre wertvolle Sammlung letztendlich der Öffentlichkeit vermacht. Richard Schahl, Grünwald

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Quelle:
SZ vom 09.11.2017
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