Süddeutsche Zeitung

EZB:Schädliches Dogma

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Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst ein wegweisendes Urteil zur Politik der Europäischen Zentralbank gefällt: Es lässt EZB-Chef Mario Draghi weiter gewähren. Ein SZ-Leser sieht das äußerst kritisch.

"Karlsruhe lässt EZB-Chef Draghi gewähren" vom 22. Juni:

Es mag sein, dass bis vor Kurzem die Europäische Zentralbank EZB den Ruf genoss, mehr zur Stabilisierung Europas tun zu können als die Politik. Schlimm genug. Spätestens die letzten Verzweiflungstaten der EZB aber haben die Welt eines Besseren belehrt. Frei nach dem Motto: "Wenn ein Mittel nicht wirkt, musst du mehr davon nehmen", treibt EZB-Chef Mario Draghi seine beispiellose Geldpolitik immer weiter. Und was passiert? Nicht einmal die Zocker an der Börse lassen sich noch durch billiges Geld in Kaufrausch versetzen.

Verantwortungsbewusst wirtschaftende Menschen in ganz Europa - und eben nicht nur in Deutschland (!) - werden systematisch enteignet und einer beispiellosen Repression ausgesetzt. Das gilt für Unternehmer wie Privatleute, für Menschen, die bewusst Kapital anlegen, und für Menschen, die außer einer Betriebsrente oder einer Lebensversicherung nichts haben. Rechtfertigung ist stets der Popanz "Zielinflation von zwei Prozent". Auch in der SZ wird häufig nachgebetet, dass bei stagnierenden oder leicht sinkenden Preisen nicht mehr konsumiert und nicht mehr investiert würde, weil alle warten, bis es noch billiger wird. Träfe das in der Konsumwelt zu, wären Elektronik- und Modebranche seit Jahren untergegangen.

Draghi ist nicht demokratisch gewählt, deshalb darf er niemals der mächtigste Mann Europas sein. Selbst seinen EZB-Rat treibt er diktatorisch vor sich her, indem er regelmäßig vor den entscheidenden Sitzungen Statements abgibt, die abweichende Entscheidungen des Rates unmöglich machen, wenn man keine Tumulte an den Finanzmärkten will.

Das meiste, was auf europäischer Ebene in intransparenten Zirkeln zu Subventionen, Glühbirnen oder Arzneimitteln ausgekungelt wird, nervte viele nur. Aber langsam ahnen alle, dass man ihnen Entscheidungsfreiheit und ihre finanzielle Basis wegnimmt, damit bestimmte Eliten mit kostenlosen Krediten aberwitzige Hebelgeschäfte machen können. Die EZB muss unabhängig bleiben, damit die Politik sie nicht missbraucht. Sie muss aber auch unabhängig werden von einseitigen und unbewiesenen Wirtschaftstheorien, die ein EZB-Präsident zum Dogma erhebt, der früher Goldman-Sachs-Kunden gut bediente - und genau das heute immer noch tut. Thomas Selzer, Neuss

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SZ vom 28.06.2016
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