Süddeutsche Zeitung

Euro:Kein Grund zum Feiern

Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher hat in einem Forumsbeitrag viele Vorteile des Euro gelobt. Leser widersprechen. Transfers und Targetkredite sorgten für positive Aspekte der Währungsunion, dies berge Risiken für Deutschland.

"Ein Grund zum Feiern" von Marcel Fratzscher vom 7. Januar:

Düstere Perspektive

Der Ökonom Marcel Fratzscher beurteilt die Wirklichkeit aus der Euro-Perspektive. Er übersieht, dass der Euro nur den traditionell wirtschaftlich starken Ländern zugute gekommen ist, die anderen sind auf der Strecke geblieben. Ihr Wirtschaftswachstum ist geschrumpft, die Arbeitslosigkeit, die Schulden sind gestiegen, die Wettbewerbsfähigkeit hat gelitten. Die Gründe gleichen denen, die zu den ökonomischen Problemen Ostdeutschlands nach Herstellung der deutsch-deutschen Währungsunion geführt haben.

Nach Fratzscher soll der ostdeutsche Aufschwung der D-Mark, respektive dem Euro zu verdanken sein, tatsächlich ist er Folge der gigantischen Transferzahlungen in Höhe von zwei Billionen Euro, Geld, das auch in Zukunft von West nach Ost fließen wird. Die sogenannte Aufholjagd Ostdeutschlands ist schon längst zum Erliegen gekommen. Die ostdeutsche Wirtschaftsleistung liegt bei 65 Prozent der westdeutschen, mit abnehmender Tendenz. Unternehmen lassen sich im euro-freien Europa nieder und beziehen von dort ihre Vorleistungen. Der Ausblick ist, wie für manch andere Euro-Länder, düster und gibt keinen Grund zu feiern!

Jürgen Bollinger, Neuwied

Probleme nur verschoben

Marcel Fratzscher zieht nach 20 Jahren Euro eine Bilanz und kommt zu einem positiven Ergebnis. Dabei ist den genannten Vorteilen sicher zuzustimmen, aber die Nachteile werden in einer erschreckenden Weise verharmlost.

1. Die Aussage, das Zahlungssystem Target berge für Deutschland nicht zu viele Risiken: Gerade die Finanzkrise in Griechenland, bei der das Ausscheiden des Landes eine durchaus realistische und von Experten auch empfohlene Alternative war, hat vor Augen geführt, dass dann die "Gläubigerländer" die in die Milliarden gehenden Targetschulden des ausscheidenden Landes hätten abschreiben müssen. Ein ständiger Ausgleich untereinander erfolgt nämlich nicht. Und ein weiteres, viel bedeutenderes Mitglied wie Italien gilt mit seinem überbordenden Staatsschulden als Wackelkandidat, zumal die derzeitige Regierung einen Ausstieg aus dem Euro propagiert.

Besonders einige finanzschwache Länder nutzen die Möglichkeit der Kreditgeldschöpfung verstärkt aus, indem sie Geld ohne Begrenzung selbst drucken und dafür Produkte in anderen EU-Ländern kaufen. Das Geld wird dann dort als Target-Forderung, aber ohne jegliche Konsequenzen für das ausgebende Land angeschrieben. Marcel Fratzscher: "So funktioniert das Zahlungssystem Target gut."

Die von Fratzscher angeführte Versicherungsunion kann doch nur funktionieren, wenn sich die Mitglieder an die selbstgegebenen Regeln, sprich Stabilitätskriterien, halten. Doch deren deutliche, wiederholte und zum Teil vorsätzliche Missachtung und letztendliche Duldung durch die EU-Kommission ist offensichtlich und wird vom Autor mit keinem Wort erwähnt.

2. Deutschland habe keine Verluste für andere Länder übernommen. Alle Rettungskredite würden mit satten Gewinnen zurückgezahlt: Abgesehen davon, dass durch die Umschuldung ein großer Schuldenteil von den Banken auf den Steuerzahler abgewälzt wurde, muss man sich fragen, wie und aus welchen Ressourcen Griechenland 325 Milliarden (!) Euro Schulden jemals wieder zurückzahlen soll? Es ist doch eine Farce, die Rückzahlung auf 40 Jahre und dazu ohne jegliche Sicherheiten auszudehnen. Damit wird das Problem auf die nächste Generation verschoben. Zusätzlich wird durch die Inflation der effektive Schuldenanteil unbemerkt zu Lasten der Steuerzahler verringert.

3. Die Europäische Zentralbank mache gute Arbeit: Zugegeben, der Stand der EZB war hinsichtlich des Zusammenhalts der Euro-Gemeinschaft nicht einfach, und in der Finanzkrise war es sicher nötig, den hoch verschuldeten Ländern durch eine entgegenkommende Zinspolitik Luft zum Atmen zu verschaffen. Aber die erhofften Reformen sind weitestgehend nicht durchgeführt worden, sondern die Zinspolitik hat zum neuen Schuldenmachen verführt. Hier hat die EZB tatenlos zugesehen und sogar in den letzten Jahren die Zentralbankgeldmenge noch weiter vermehrt, auch indem sie Geld zu schlechteren Pfandbedingungen verlieh. Diese großzügige und zum Teil riskante Kreditvergabe der letzten Jahre geht ohne erkennbare nachhaltige Wirtschaftseffekte zu Lasten der Sparer und beim Platzen von Krediten dann zu Lasten des Steuerzahlers.

Die drei herausgegriffenen Beispiele zeigen, dass die Währungspolitik der Euro-Zone von ihrem einstigen Leitbild der alten Bundesbank deutlich abgewichen ist und sich eher an der finanzpolitischen Tagespolitik der Euro-Länder, in denen die finanzschwächeren die Mehrheit stellen, orientiert.

Dr. Dieter Holodynski, Göttingen

Hohe Risiken für Deutschland

Unter der Annahme einer "unumkehrbaren" Währungsunion wird Bilanz gemacht nach 20 Jahren Euro und werden Schlüsse gezogen mit dem einen Ergebnis: Deutschland profitiere am meisten. Weiterhin sei die Währungsunion kein Transfersystem, sondern ein Versicherungssystem. Nun ist Berlin kein eigentlicher Versicherungsstandort, München dagegen ist die Welthauptstadt der Rückversicherung. Hier weiß man nur zu gut, dass sich die Annahme ausgeglichener Versicherungsbestände, wo sich gute und schlechte Risiken ausgleichen, nur zu oft desaströs und ruinös auf Versicherer ausgewirkt hat, falls diese zwei Elemente unterschätzten oder nicht wahrnehmen konnten oder wollten: Strukturänderungen bei den Risiken und vor allem Antiselektion gegen den Versicherer. Target beschert Deutschland heute schon Risiken in dreifacher Höhe eines Bundeshaushaltes. Zinsen und Risikoprämien gibt es darauf nicht. Jeder Mafioso würde jubilieren ob solcher Erpressbarkeit eines Opfers. Italien tanzt denn auch der EU-Kommission mit Taschenspielertricks auf der Nase herum: 2,4 Prozent Budgetdefizit gehen gar nicht, Empörung in Brüssel ist groß. 2,04 Prozent dagegen sind durchaus in Ordnung.

Das Schönste kommt aber am Schluss des Beitrages: die Lebensmetapher zum Euro. Da geht es vom glückseligen Kindesalter über die Wirren der Pubertät schnurstracks zum Steady State des Erwachsenenalters, alle Irrungen sind überstanden. Am Ende des Lebens steht aber der Tod - umkehrbar oder unumkehrbar ist da gar nichts.

Dr. Wulf Walter, Eichenried

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Quelle:
SZ vom 25.01.2019
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