Süddeutsche Zeitung

Euro-Bonds:Es geht in Europa um weit mehr als Geld

Lesezeit: 3 min

Das politische Ringen um Finanzhilfen erregt die Gemüter. Einige Leser fordern, vor Einführung neuer Bonds Renten- und Steuersysteme zu harmonisieren. Andere fürchten, die europäische Idee wird geopfert - durch Aufrechnen.

Zu " Europas Moment der Wahrheit", 18./19. April und " Im Teufelskreis", 16. April:

Deutsche Krämerseelen

Von Solidarität zu reden, statt zu handeln, das ist offensichtlich nicht nur bei der Frage nach den "Corona-Bonds" die Strategie der Bundesregierung. Hier wird auf das finanzielle Interesse Deutschlands geguckt, statt das Coronavirus als Problem Gesamteuropas zu betrachten. Die Bundesregierung lässt mit ihrer Krämerseele außer Acht, dass ein stabiles Europa die Voraussetzung und Folge für die deutsche Prosperität ist: Ein großer Teil der Exporte geht in die EU, der Euro ist im Verhältnis zur Produktivität in Deutschland unterbewertet, was die deutschen Exporte in Länder außerhalb der EU noch fördert. Finanzhilfen würden die Verlässlichkeit für Zulieferer stärker absichern.

Die antieuropäische Haltung der Bundesregierung kennen wir schon: Die Vorschläge Macrons zu einer stärkeren, auch finanziellen Integration der EU-Staaten wurden von der Regierung ignoriert. Frankreichs Bitte, französische Soldaten stärker zu unterstützen, die gegen Terroristen in Mali kämpfen, wurde nicht entsprochen. Eine Finanztransaktionssteuer wie in Frankreich? Kommt nur infrage, wenn alle mitmachen. Zeitweiliges Exportverbot von medizinischen Hilfsgütern an die schwerer betroffenen Nachbarn? Peinlich, daher aufgehoben; ersatzweise werden zwei, drei Dutzend Corona-Patienten aus Italien und Frankreich eingeflogen; von 4000 Kindern in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sollen etwa 50 nach Deutschland dürfen - aber nur, wenn andere Staaten mitmachen. Welch ein Armutszeugnis! Deutschland verspielt sein Ansehen, weil Großzügigkeit und Humanität hier nicht so viel zu zählen scheinen.

Hans Dall, Hamburg

EU-Hilfen an Standards knüpfen

Die Forderung nach Euro-Bonds von Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Portugal bestanden schon längst vor der Corona-Pandemie, sie haben sich durch diese Krise nur verschärft. Prinzipiell sind Euro-Bonds zur Lösung der durch die Corona-Krise verursachten Kosten schon diskutabel, aber andere Länder wie Österreich, die Niederlande oder Deutschland bei der Gelegenheit für alle Staatsschulden der oben genannten Länder in Haftung zu nehmen, die schon vorher bestanden, ist schon starker Tobak. Altschulden sind Altschulden, wurden und werden von unverantwortlichen Politikern im Namen ihrer Völker aufgetürmt. Diese Art von Euro-Bonds wäre meines Erachtens dreister Raub.

Bevor eine Lösung über Euro-Bonds angedacht wird, sollten die Nehmerländer zuerst ihre hausgemachten Probleme lösen: etwa ein einheitliches Renteneintrittsalter, einheitliche Rentenbeiträge und einen einheitlichen Steuertarif, angepasst an die potenziellen Geberländer, schaffen. Auch die Anpassung von Niedrigrenten auf das Existenzminimum muss Aufgabe der einzelnen Staaten bleiben. Staatlicher Pfusch und fehlende Steuermoral müssen vorher zwingend abgestellt, ebenso auf staatliche Prestige-Projekte verzichtet werden.

Schließlich muss der Steuerwettbewerb zwischen EU-Staaten in engeren Grenzen gehalten werden, und Firmen, die generell Niedrigsteueroasen nutzen, in der EU ein Gewerbeverbot bekommen. Auch könnte man bei der Gelegenheit alle Transferleistungen für Länder, die EU-Recht brechen, ersatzlos streichen und die gesparten Gelder für Zinssubventionen nutzen und diese Länder, die ohnehin nur Geld und Vorteile der EU-Mitgliedschaft haben wollen, aus der EU hinauskomplimentieren, denn diese Länder werden auf Dauer die EU zerstören.

Dr. Manfred Schrimpf, Gaienhofen

Zinsen für die Länder anpassen

Die sture Haltung der Visegrad-Staaten bei der Flüchtlingsverteilung wird zu Recht kritisiert; die der Euro-Bonds-Gegner Niederlande, Österreich und Deutschland ist nicht minder stur und kritikwürdig. Meines Erachtens könnten die Einnahmen aus den Euro-Bonds zu differenzierten Zinsen an Schuldnerländer vergeben werden: Risikoländer könnten Kredite zu höheren, solvente Länder zu günstigeren Zinsen erhalten - und zwar derartig, dass sie einerseits erheblich unter, andererseits geringfügig über den weltmarktüblichen Zinsen lägen. Eine derartige Zinsvergabe aus Euro-Bonds würde etwa Italien und Spanien erheblich entlasten, Länder mit besserer Finanzlage aber nur minimal belasten. Dies wäre eine bescheidene Kompensation dafür, dass letztgenannte ihre Finanzsituation nach der Krise 2007/ 09 zulasten der erstgenannten konsolidiert haben.

Bernd Bergander, München

Dreistes Vorgehen Contes

In dem klugen und in viele ökonomische Details gehenden Beitrag strickt Autor Thomas Steinfeld auch an dem Bild vom Opfer Italien, das unverschuldet von der Corona-Krise überrollt worden sei und keine europäische Hilfe erfahre. Die verbreitete Reformunfähigkeit des Landes und den Mangel an notwendigen schmerzhaften Anpassungsprozessen an die von der Globalisierung hervorgerufenen Veränderungen der Ökonomie übergeht der Verfasser. Beispiele: die gescheiterte Verfassungsreform unter Matteo Renzi 2016 oder die Justizreform 2019. Statt die Staatsverschuldung zu reduzieren, leistet sich Italien eine feudale Vorruhestandsregelung und ein verunglücktes Grundeinkommen.

Ich empfinde es als dreist, wenn Ministerpräsident Conte EU-Hilfen nicht annehmen will, weil er die Corona-Bonds nicht durchsetzen konnte.

Stefan Kaisers, Gießen

Kredit und Bond ist nicht dasselbe

Thomas Steinfeld fragt in dem Artikel "Im Teufelskreis": "Wenn aber in einem Fall die ESM-Kredite ausfielen und im anderen die Euro-Bonds nicht zurückgezahlt würden - wäre es dann nicht gleichgültig, auf welche Weise die Geschäfte scheitern?" Man muss den Autor natürlich dankbar sein, dass er das Risiko der Nichtzurückzahlung überhaupt thematisiert, das ist selten. Aber ein Unterschied besteht doch. Die jetzt beschlossene ESM-Kreditlinie ist auf maximal zwei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) beschränkt. Auf Italien entfielen also um die 35 Milliarden Euro, ein überschaubares Risiko. Die Vorschläge für Corona-Bonds nennen üblicherweise einen anzustrebenden Gesamtbetrag von 1000 Milliarden Euro, wovon Italien dann vielleicht um die 350 Milliarden oder mehr erwarten dürfte. Ein "Scheitern der Geschäfte" hier täte richtig weh.

Prof. Dr. Gerd Grözinger, Berlin

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SZ vom 28.04.2020
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