Erholungsheime:Gemischte Gefühle

Ein Bericht über Misstände in Kinder-Heilanstalten der Nachkriegszeit hat bei Leserinnen und Lesern Erinnerungen an eigene Erlebnisse geweckt, positiv wie negativ. Mehr Aufklärung über die damals Verantwortlichen in den Heimen ist gewünscht.

Leid der Kurkinder in der Kinderheilanstalt Bad Salzdetfurth

Postkartenidyll: Von einigen Ferienheimen aus der Nachkriegszeit sind heute Missstände bekannt. In der Heilanstalt Waldhaus in Bad Salzdetfurth waren bei Erholungsaufenthalten sogar drei Kinder zu Tode gekommen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zu "Immer Schläge" vom 27./28. Februar:

Viele Täterinnen

Der Artikel von Edeltraud Rattenhuber hat mich sehr ergriffen, insbesondere da ich in jenem Zeitraum ebenfalls dreimal jeweils sechs Wochen in einem Kinder-Kurheim weilte, jedoch diese schlechten Erfahrungen nicht gemacht hatte. Eines ist mir unverständlich: Sowohl in Fernseh-Dokumentationen als auch in allen anderen Medien werden die direkten, konkreten (meist weiblichen) Täter nicht näher beleuchtet und es wird gar nicht versucht, sie eventuell heute noch zur Rede zu stellen beziehungsweise strafrechtlich zu belangen.

Es werden immer nur verantwortliche Instanzen von ganz oben genannt, nicht jedoch mögliche Heimleiterinnen und Täterinnen. Warum wohl? Möchte man Frauen nicht als verantwortlich und schuldhaft zeigen? Waren diese Ausführenden nur willenlose Opfer von ganz oben?

Winfried Jauch, Weissach

Aufklärung über NS-Pädagogik

Man kann es nur begrüßen, dass Gewaltverhältnisse in Kindererholungsheimen der Bundesrepublik schonungslos aufgedeckt werden. Es wird in dem Beitrag auch nicht verschwiegen, dass die Sozialpädagogin Anja Röhl, der dieses Verdienst zukommt, "die Tochter des Journalisten Klaus Rainer Röhl und die Stieftochter der Journalistin und späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof" ist. Doch wer dies erwähnt, sollte auch daran erinnern, dass diese Stiefmutter bereits 1966 ein Radiofeature über "Heimkinder in der Bundesrepublik" produzierte, dass sie Gewalt gegen Kinder verbieten lassen und die Homosexualität entkriminalisieren wollte.

Mit ihren Recherchen über Westberliner Kinderheime skandalisierte sie damals die in der bundesdeutschen Heimerziehung fortlebende NS-Pädagogik. Sie schrieb auch das Drehbuch zu dem authentischen Film "Bambule" über ein Westberliner Mädchenheim. Der Film durfte erst 1994 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt werden. Ihr Engagement gegen die Traumatisierung von Heimkindern reichte bis ins private Leben. Bestürzend, wie vielfältig und aktuell das Thema geblieben ist.

Dr. Dorothea Hennig, Offenburg

Lebensfrust und Essenszwang

Dieser Bericht hat die alte Traurigkeit zurückgebracht. Ich bin 1947 geboren und bin dann zwei Jahre in einem Waisenhaus gewesen. Aufgrund vorgefundener zeitbedingter Unterernährung habe ich schwere Körperschäden davongetragen. 1949 wurde ich adoptiert von einem Ehepaar mit Bauernhof, und ich sollte Bauer werden. Im Laufe der weiteren Jahre kam man zu der Erkenntnis, unterstützt von der zuständigen Fürsorgerin des Jugendamtes, dass ich in ein Erholungsheim solle, damit ich die Statur eines Bauern erreichen könne. Das war Mitte der Fünfzigerjahre.

Der bestimmte Zielort war Norderney und dort ein Erholungsheim, in dem evangelische Ordensschwestern waren. Die Backsteingebäude stehen heute noch. Der Aufenthalt war von Dezember bis Anfang Januar, also auch über Weihnachten. Ich war nie zuvor von zu Hause weggewesen, war völlig nervös und überängstigt. Wenn ich nervös war, streikte mein Magen, was noch heute so ist. Hierauf wurde überhaupt keine Rücksicht genommen nach dem Motto: immer hineinstopfen.

Der Erfolg war, dass ich erbrach und zur Strafe ins Bett musste, am Tage. Der Höhepunkt war Weihnachten, ich war krank vor Heimweh. Da ich das Abendessen aber wieder erbrochen hatte, musste ich neu essen, bekam zur Strafe das Paket aus der Heimat nicht ausgehändigt und musste ins Bett. Ich war ob dieser Behandlung mehrere Tage außerstande, überhaupt etwas zu essen.

Als ich wieder zu Hause war, hatte ich fünf Kilo abgenommen.

Ich habe in diesem Erholungsheim keine Ordensschwester erlebt, die einen Hauch von Zuneigung oder Sympathie hätte verspüren lassen. Im Gegenteil, je weniger ich gegessen habe, um so rüder wurde ich behandelt. Heute als Erwachsener würde ich meinen sagen zu können, dass bei diesen Ordensschwestern ein hohes Grad an Lebensfrust bestand.

Kurt Heinen, Köln

Wichtiger Ersatz für Urlaube

Leider eine recht einseitige und dadurch meines Erachtens ungerechte Darstellung, die die guten Seiten der Kinderverschickung verschweigt. Viele Eltern konnten sich damals einen Urlaub mit ihren Kindern schlicht nicht leisten. Sie schreiben, in den Heimen regierten Menschen, die in der Nazizeit geprägt wurden. Ja, es waren auch Personen dabei, die der Weißen Rose oder anderen Widerstandsgruppen nahestanden: Zum Beispiel die Leiterin des Kinderheims des Bayerischen Roten Kreuzes in Bischofsried bei Dießen am Ammersee. Sicher waren die Erziehungsmethoden der Adenauer-Zeit andere als heute. Aber die vielen gutwilligen Erzieherinnen von damals haben eine gerechtere Beurteilung verdient.

Thomas Topp, München

Gute Erfahrung

Die "Verschickungskinder" sind derzeit in vielen Medien präsent. Sicher sind damals schlimme Dinge geschehen. Ich kann von einer positiven Erfahrung berichten. Im Frühjahr 1957, damals war ich acht Jahre alt, kam ich in ein vom Roten Kreuz geführtes Heim in Muggendorf in der Fränkischen Schweiz. Der Schularzt meinte, ich wäre zu dünn. Ich habe nur angenehme Erinnerungen. Meine Eltern konnten mich besuchen. Heute wohne ich ganz in der Nähe und habe keine schlechten Erinnerungen, wenn ich daran vorbeifahre. Das Haus ist jetzt ein Altenheim. Wer weiß: Vielleicht werde ich dort meine Tage beschließen.

Dr. Franz Joachim Schultz, Pottenstein

Danke an die Caritas

Auch ich war ein sogenanntes Verschickungskind, dem vom Amtsarzt eine Erholungsbedürftigkeit bescheinigt wurde. So kam ich im Sommer 1962 als Elfjährige für vier Wochen nach Egg in Vorarlberg. Diesen Aufenthalt habe ich in so guter Erinnerung, dass ich nach über 50 Jahren dort einen Urlaub verbracht und das Haus, in dem ich so glücklich war, gesucht und gefunden habe. Es gab weder Gewalt, noch wurde man zum Essen gezwungen. Die Tage waren ausgefüllt mit Spielen, Wanderungen und Ausflügen nach Bregenz und zum Bodensee. Und die gefürchteten Schetteregger haben wir im Finale beim großen Völkerballturnier mit weiteren Heimen aus der Umgebung besiegt. Das Glück war perfekt! Ich denke gerne an die netten "Tanten" Renate und Regine, die sich so viel Mühe gemacht haben und sage Danke an die Caritas für die unvergessliche, schöne Zeit.

Heide Ehrmann-Fuchs, Alzenau

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