Erdoğan:Demokratie geht anders

Wie soll man auf die Vorhaltungen der türkischen Regierungsvertreter reagieren? Manche Leser plädieren für Gelassenheit - Erdoğan und Co. würden sich dann selbst entlarven. Andere kritisieren die Deutsch-Türken.

"Merkels falsche Leisetreterei" und "Reiz des starken Mannes" vom 7. März, "Diplomatisch heikel, aber machbar" und "Immer mit der Ruhe" vom 4./5. März sowie weitere Artikel zum Thema:

Von Integration weit entfernt

Ich finde, Kanzlerin Angela Merkel macht das absolut richtig. Mit ihrer ruhigen, zurückhaltenden Kommentierung lässt sie Recep Tayyip Erdoğan ziemlich ins Leere laufen. Mit seiner lauten, völlig überzogenen Art macht er sich selber lächerlich. Da muss man doch gar nicht viel dazu sagen. Schade, dass so ein schönes, wichtiges Land wie die Türkei sich durch das Verhalten seiner politischen Führung und eines Teils seiner in Deutschland lebenden Bevölkerung selbst ins Abseits manövriert. Ich bezweifle aber die Erpressbarkeit Deutschlands ob des Flüchtlingsabkommens. Meines Wissens ist dieses so gestaltet, dass es für die Türkei ein interessanter Wirtschaftsfaktor ist, den diese in der momentanen Situation des wirtschaftlichen Niedergangs nicht so ohne Weiteres aufs Spiel setzt. Das hätte Erdoğan längst getan, wenn das opportun wäre.

Türkische Politiker können meinetwegen gerne Wahlkampf in Deutschland machen. Diese Auftritte zeigen, wie weit wir von einer Integration eines Großteils der hier lebenden Türken entfernt sind. Den dort an den Tag gelegten Fanatismus für das neue Präsidialsystem und gegen das Gastland Deutschland finde ich schon bemerkenswert. Sabine Geißler, München

Für ein europaweites Verbot

Sowohl die öffentlichen Wahlkampfauftritte Barack Obamas wie die des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder seiner Minister sollten in Zukunft generell per Gesetz in Deutschland untersagt werden. Wir haben noch einmal Glück gehabt, dass US-Präsident Donald Trump nicht auf die Idee gekommen ist, Deutschland als Wahlkampfbühne für seine Tiraden gegen die EU und Deutschlands Rolle zu missbrauchen. Wir brauchen ein Gesetz, das es Nicht-EU-Politikern verwehrt, sich in Deutschland politisch zu betätigen. Es wäre wünschenswert, dass dieses Gesetz durch eine fraktionsübergreifende Initiative des Bundestages eingebracht würde. Einzelfallprüfungen und eventuelle Verbote sind für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik eine zu große Belastung und daher bis heute vermieden worden. Man kann diese Entscheidungen auch nicht den Ländern oder Kommunen überlassen.

Wir können grundsätzlich nicht daran interessiert sein, dass bei uns Wahlkämpfe von Nicht-EU-Staaten ausgetragen werden. Dies geht schon gar nicht, wenn wie bei dem bevorstehenden türkischen Referendum nur eine Seite zu Wort kommt. Dr. Detlef von Schwerin, Berlin

Ein Vorbild sein

Die Diplomatie tut sich in diesen Tagen im Verhältnis Deutschland-Türkei-Deutschland schwer. Lösungen, den Konflikt zwischen den beiden Staaten zu beenden, sind nicht erkennbar. Lassen wir die türkischen Politiker zu uns kommen und zu den türkischen Bürgerinnen und Bürgern sprechen, die die Segnungen unseres Vaterlandes gern in Anspruch nehmen, aber dennoch glauben, die Türkei habe die bessere Staatsform. Beweisen wir durch machtvolle Demonstrationen, wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit bei uns praktiziert werden. Erteilen wir allen, die unseren Rechtsstaat mit üblen Beschimpfungen verunglimpfen, eine Lektion. Dazu sind ganz besonders auch die türkischen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die bei uns in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben. Peter Gersch, Hemer

Verantwortungsloser Jubel

Das Referendum in der Türkei im April ist keine normale Wahl, bei der die Türken zwischen verschiedenen Parteien wählen können. Vielmehr will Staatspräsident Erdoğan mit diesem Referendum seine derzeitigen Vollmachten im Ausnahmezustand nach dem unglücklichen Putschversuch für alle Zeiten festschreiben und deklariert dies als Stärkung der Türkei. Wer auch immer den gescheiterten Putschversuch im Sommer angezettelt hat, es war der verzweifelte Versuch, eine Diktatur Erdoğans zu verhindern.

Es ist extrem bedauerlich, wenn sich Deutsch-Türken der zweiten und dritten Generation ihre politische Meinung allein mit den staatlich kontrollierten türkischen Medien bilden, weil sie meinen, in Deutschland so nicht angekommen zu sein, wie sie dies gewünscht hätten. Selbst in einer Demokratie zu leben und für die Heimat der Eltern und Großeltern eine Alleinherrschaft Erdoğans zuzulassen, ist verantwortungslos gegenüber den Menschen in der Türkei. Deshalb sollten wir, allen voran Angela Merkel, die Verantwortung übernehmen und den Deutsch-Türken mit aller Deutlichkeit klarmachen, dass wir eine mögliche Ermächtigung von Erdoğan zur Alleinherrschaft nicht auch noch mit Genehmigung von Wahlkampfauftritten in Deutschland unterstützen wollen. Elfriede Bog, Unterhaching

Todesstrafen-Referendum

Hat Erdoğan sein Referendum im April nicht auch mit einer Zustimmung zur Einführung der Todesstrafe in der Türkei verknüpft? Wenn ja, dann stellt sich mir bei allem Türkei-Deutschland-Beziehungsgetöse die Frage: Darf ein türkischer Politiker bei uns hier in der Bundesrepublik Deutschland für dieses Todesstrafe-Referendum auf Wahlkampfveranstaltungen werben? In einem Land, in dem diese Strafe grundgesetzlich verboten ist? Auch wenn dieses Werben durch die ebenfalls grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit geschützt sein sollte? Sollte man dennoch nicht darauf hinweisen, dass im April letztlich auch über die Todesstrafe abgestimmt wird? Um zum Beispiel unliebsame Journalisten in Zukunft auch hinrichten zu können? Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Verpasste Chance

Keine Frage: Die Ausfälle türkischer Politiker in den vergangenen Tagen sind unsäglich und unerträglich, und man wünschte sich doch entschiedenere Stellungnahmen von deutschen und EU-Politikern. Ich fürchte nun aber, dass die deutsche Regierung das Verhältnis zur Türkei auf längere Sicht nicht verbessern kann - ganz gleich, ob sie einen harten oder einen weichen Kurs mit Zugeständnissen, Gelassenheit und Gesprächsangeboten fährt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird sich in keiner Weise und durch keine politische Haltung unserer Regierung beeindrucken oder gar beeinflussen lassen. Der Zug scheint mir abgefahren zu sein. Und daran ist die EU, insbesondere Deutschland nicht unschuldig. Es gab vor etwa zehn Jahren die Möglichkeit, die Türkei durch ernst gemeinte Beitrittsgespräche an Europa, an die EU zu binden und ihre demokratisch-rechtsstaatliche Entwicklung zu fördern. Stattdessen hat man die Türkei - und damit auch die hier lebenden Türken - mit dem Wischiwaschi-Konstrukt einer "privilegierten Partnerschaft" hingehalten und letztlich enttäuscht. Nun ist sie kaum noch erreichbar. Eine verpasste Chance. Renate Altevogt, Neckargemünd

Appell an die Deutsch-Türken

Immer häufiger wird in der öffentlichen Debatte die "wehrhafte Demokratie" bemüht, um türkische Politiker in der Bundesrepublik nicht für eine undemokratische Umwandlung der türkischen Republik werben zu lassen. Dabei wird übersehen: "Wehrhafte Demokratie" bedeutet nicht, demokratiefeindliche Äußerungen nicht zuzulassen und zu verbieten. Was wären dann Demokratie und freie Meinungsäußerung noch wert? "Wehrhafte Demokratie" ermöglicht und erträgt freie Auseinandersetzung auch aller unkonformer Positionen. Erst wenn diese die Demokratie gefährden und zu zerstören drohen, muss sie wehrhaft und kämpferisch werden, um die Freiheiten zu bewahren. Eine solche zerstörerische Gefahr für unsere Demokratie durch türkische Redner ist jedoch in keiner Weise ersichtlich.

Das eigentliche Problem liegt darin, dass die demokratiefeindlichen Aktivitäten der türkischen Vertreter gar nicht auf die deutsche Gesellschaft zielen, sondern nur auf den türkischstämmigen Teil. Auch für diesen Teil aber trägt die deutsche Politik Verantwortung. Da Wahlkampf um einen Teil der deutschen Bevölkerung ausgetragen wird, muss sich die deutsche Politik daran beteiligen und die türkischstämmigen Mitbürger nicht der türkischen Politik überlassen. Es ist dringend erforderlich, sie daran zu erinnern, dass sie auch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft haben, in der sie leben, die inkompatibel mit den türkischen Projekten ist. Dieter Menyesch, Ludwigsburg

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