Süddeutsche Zeitung

Entwicklungshilfe:Gut gemeint ist nicht immer gut

SZ-Leser betrachten die Hilfe für die Ärmsten der Welt kritisch. Viele sehen Verbesserungsmöglichkeiten. Auf Projekte zu verzichten, sei aber keine Option.

Zu "Wenn Hilfe mehr schadet als nutzt" vom 8./9. Januar:

Kurswechsel ist nötig

Wenn eine ausgewiesene Afrika-Kennerin wie Judith Raupp zur Pauschalkritik an der Entwicklungszusammenarbeit ausholt, muss der Frust schon tief sitzen. Und ja, jeden, dem eine effiziente Hilfe für die Ärmsten der Armen am Herzen liegt, ereilt hin und wieder eine enorme Enttäuschung ob der verbleibenden Weltarmut oder mancher gescheiterter Projektmaßnahmen. Und auch die beschriebenen Probleme sind nicht von der Hand zu weisen. Sie sind Ärgernis und Herausforderung zugleich. Dennoch stehen Grundtenor und Schlussfolgerungen des Essays quer zur aktuellen Praxis der Entwicklungszusammenarbeit.

Kaum ein Bereich, in dem treuhänderische Mittel eingesetzt werden, seien es öffentliche Gelder oder Spenden, steht so im Fokus der Wirkungsbeobachtung wie die internationale Zusammenarbeit. Dies gilt besonderes in Deutschland, wo die AfD in den letzten Jahren das Entwicklungsministerium mit Hunderten Anfragen torpediert hat, um vermeintliche Verschwendung außerhalb deutscher Grenzen offenzulegen. Jeder Mitarbeitende in privatwirtschaftlichen Unternehmen weiß von Ineffizienzen, Managementfehlern und gescheiterten Investitionen zu berichten. Das ist normal und gilt überall, wo Menschen arbeiten. Im Gegensatz dazu hat die moderne Entwicklungszusammenarbeit partizipative Wirkungsbeobachtungen durch Monitoring und Evaluationen längst in der Breite etabliert. Das von Judith Raupp gezeichnete Bild entspricht eher dem Diskurs der 2000er-Jahre, der von James Shikwati und Dambisa Moyo geprägt wurde.

Entwicklungsarbeit ist ein Reparaturbetrieb. Wenn ein gerechter Welthandel auf der Stelle tritt, wenn Lieferkettengesetze verwässert werden und Menschenrechte bei der Arbeit, existenzsichernde Löhne oder angemessener Arbeitsschutz bei der grenzüberschreitenden Wertschöpfung keine Rolle spielen, kann keine NGO (internationale Hilfsorganisation), kann kein Entwicklungsprojekt die Agendaziele 2030 allein erreichen. Diese Agenda ist zudem kein Pflichtenheft für die Entwicklungsbranche, sondern beschreibt ressortübergreifend Ziele für eine gerechtere Weltgemeinschaft. Der von Judith Raupp geforderte Kurswechsel ist nötig, aber nicht so sehr in der Art, wie Entwicklungszusammenarbeit gestaltet wird, sondern wie internationale Wirtschaft-, Arbeits-, Handels- und Agrarpolitik betrieben wird. Doch in diesen Feldern können NGOs und selbst das Entwicklungsministerium nur als Mahner und Antreiber neben den Verhandlungstischen stehen. Die Federführung zur Beseitigung von Hunger und Armut liegt leider anderswo.

Dr. Markus Demele, Generalsekretär von Kolping International, Köln

Gut angelegtes Geld?

Der Artikel analysiert die Wirkung von Entwicklungshilfe richtig. "Gut gemeint ist (oft) nicht gut". Der Einfluss von außen auf eine Gesellschaft bringt meistens unkontrollierbare Veränderungen mit sich. Auf die Veränderungen von Imperialismus und Mission ging der Artikel nicht ein, das Thema ist die Entwicklungshilfe (wahrscheinlich: in den letzten 60 Jahren).

Ein Vergleich von Entwicklung mit Hilfe und ohne Hilfe von außen wird erwähnt. Es wird angedeutet, dass die Hilfe nicht ankommt und folglich nichts nützt. Ich bezweifle das aus zwei Gründen: Erstens, wo Entwicklungshelfer Beziehungen zu Partnern aufbauen konnten, da haben sich bestimmt Menschen (Geber und Empfänger) verändert. Solche Veränderungen sind schwer messbar, sie interessieren auch die Geldgeber nicht unbedingt. Und zweitens, die Alternative zur deutschen Entwicklungshilfe ist nicht: keine Entwicklungshilfe. Denn in ganz Afrika ist es inzwischen ein Wettlauf mit der Zeit, welche Nation am besten Einfluss auf die Entwicklung gewinnen kann.

Wichtig finde ich die Frage, welche Werte man vermitteln will (nicht gleichzusetzen mit den Leitlinien der Organisationen). Diese Werte hängen sehr stark von den persönlichen Einstellungen der beteiligten Individuen ab. Dass trotzdem gut gemeinte Projekte ohne gute Ergebnisse bleiben, ist leider wahr. Menschen lassen sich nicht leicht zurechtbiegen, das wissen auch Eltern volljähriger Kinder (wobei ich Projektpartner nicht als Kinder sehen will).

Noch zwei Bemerkungen zu den Kosten der Entwicklungshilfe: Erstens, was den Lohn betrifft: Angebot und Nachfrage regeln den Preis, das gilt auch in der Entwicklungshilfe. Veränderungen werden nicht ohne politische Veränderungen möglich sein. Manche engagierte Leute verzichten auf den "gerechten" Lohn (immer gut gemeint, öfters auch gut). Zweitens, 161 Milliarden Euro Entwicklungshilfe weltweit entsprechen 8,2 Prozent der Rüstungsausgaben im Jahr 2020. Viel Geld kommt durch verbesserte Handelsbeziehungen wieder ins Geberland zurück. Ich halte Ausgaben für Rüstung für sinnvoll, wenn dadurch der Frieden gesichert wird. Ich denke, auch die 8,2 Prozent für Entwicklungshilfe tragen manchmal zur Sicherung der Lebensgrundlagen und des Friedens bei (und selten zu Katastrophen wie Krieg).

Mein Fazit: Gerne spende ich weiterhin Zeit oder Geld für Entwicklungshilfe.

Siegfried Kärcher, Villingen-Schwenningen

Finanzierung korrupter Eliten

Dieses Essay schildert anschaulich die Fehlleitung von Entwicklungshilfe. Ich möchte dem noch hinzufügen, dass aufgrund meiner Erkenntnis die korrupten Eliten dieser Länder in den vergangenen Jahren beziehungsweise Jahrzehnten mit Entwicklungshilfegeldern finanziert wurden. Ein Großteil der Spenden und Steuergelder landen im Rachen der korrupten Eliten, in manchen Ländern spricht man von bis zu 80 Prozent. Dies ist auch bedingt durch die fehlende Koordination der Länder, jedes Land hat seine eigene Vorgehensweise und dadurch wird Betrug und Korruption Vorschub geleistet auch durch UN-Organisationen.

Fazit: Entwicklungshilfe ausgezahlt an Staaten, ist eine Verschleuderung von Spenden beziehungsweise Steuergeldern und erreicht in den wenigsten Fällen die, die es nötig haben. Mir ist kein Land bewusst, das durch die Entwicklungshilfe, von wem auch immer, wirtschaftliche Fortschritte erzielt hat.

Helmut Schuessler, Augsburg

Hilfe im eigenen Land nötig

Nach dem Essay müsste doch 2022 ein Kurswechsel erfolgen. Es sollten sämtliche Geldspenden und ein Großteil vorgesehener Entwicklungshilfen im eigenen Land verwendet werden. Wann endlich wird begriffen, dass Entwicklungsgelder in die ärmeren Länder oftmals nicht an der richtigen Stelle ankommen? Der Aufbau von Strukturen muss vor Ort erfolgen.

Die Menschen in den Hochwassergebieten und auch Obdachlose in Deutschland benötigen dringend Hilfe. Hilfe, die mehr nutzt als schadet. Das Ausmaß der enormen Schäden wie zum Beispiel in der Eifel wurde in der Weihnachtsausgabe ausführlich beschrieben. Die Maskenvermittler der CSU könnten ihr Gewissen, soweit vorhanden, mit einer Spende entlasten. Bereits ein Prozent der Provision kann so viele Menschen erfreuen. Das "C" der CSU würde ein klein wenig an Berechtigung gewinnen.

Stefan Herb, Roding

Verbesserung durch Debatte

Die Frage nach der Wirkung internationaler Hilfen ist eine wichtige Debatte, um sie zu verbessern. Leider verläuft diese Debatte häufig sehr polarisiert zwischen kritikloser Begrüßung jeder Hilfe für die Ärmsten der Welt und dem Ansatz,ihr pauschal den Nutzen abzusprechen. Auch der SZ-Beitrag leistet aus unserer Sicht nur bedingt einen Beitrag zu konstruktiver Kritik. Einerseits spricht er zu Recht viele Defizite an, wie den Mangel einer stärkeren Lokalisierung der Hilfe inklusive Partizipation der Betroffenen. Andererseits übersieht er sehr wichtige Unterscheidungen und mündet so in einem sehr pauschalen Urteil.

Die größten Herausforderungen der internationalen Hilfen liegen heute in der humanitären Nothilfe, also in einer Hilfe, die nicht den Anspruch hat und aus Gründen der Neutralität auch nicht haben sollte, nachhaltig die Ursachen von beispielsweise Kriegen und Konflikten zu beheben. Ihr primäres Ziel muss sein, so viele Menschen in akuter Not zu retten und zu versorgen wie möglich. Eine Mammutaufgabe: 2022 werden weltweit rund 274 Millionen Menschen Not leiden. So viele wie nie zuvor.

Für diese Hilfe, die zu 80 Prozent in Konfliktgebiete mit allen damit einhergehenden Risiken für die Helfenden fließen muss, wird sicher nicht, wie angedeutet, zu viel Geld zur Verfügung stehen: Der humanitäre Hilfsbedarf ist seit Jahren in den wichtigsten Krisengebieten der Welt meist nur zur Hälfte oder sogar weniger finanziert. Die elementare Unterstützung etwa für syrische Flüchtlinge wurde 2021 zu über 70 Prozent nicht finanziert. Die humanitäre Hilfe hat ebenfalls substantielle Defizite, wie wir unter anderem im SZ-Gastbeitrag vom 4. April 2020 darlegen durften. Ihr pauschal wegen mangelnder Nachhaltigkeit den Sinn abzusprechen, wäre aber wie einem Arzt vorzuhalten, seine Wiederbelebungsversuche bekämpften nicht die Ursachen des Herzinfarkts.

Sehr relevant ist die Debatte um die Wirkungsmessung von längerfristigen Entwicklungsprogrammen. Hier gibt es trotz großer Anstrengungen weiter Nachholbedarf. Die Autorin räumt hier Grenzen ein, da ein direkter Vergleich im naturwissenschaftlichen Sinne in komplexen Krisen (wie hätte sich die Situation ohne Hilfen weiterentwickelt?) selten möglich ist, ganz abgesehen von ethischen Fragen. Umso wichtiger scheint es zu sein, sich an Fakten zu orientieren und positive Trends zu würdigen: Die Lebenserwartung hat weltweit in den letzten Jahrzehnten um rund 20 Jahre zugenommen; die Armut hat sich seither halbiert, ebenso die Kindersterblichkeit unter fünf Jahren seit 1990 usw.

Daran hat die Entwicklungszusammenarbeit naturgemäß nur einen gewissen Anteil. Gleiches gilt aber auch für die Rückschläge. Sie sind aktuell vor allem den dramatischen Folgen der Corona-Pandemie im Globalen Süden zuzuschreiben. Nur die Diskussion solcher Widersprüche und die Debatte darüber, unter welchen Bedingungen Hilfe auch in der Vergangenheit sehr wirksam war, und wann und wo sie dringend verbessert werden muss, wird die Hilfe in Zukunft voranbringen.

Ralf Südhoff, Direktor des Think Tanks Centre for Humanitarian Action, Berlin

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Quelle:
SZ vom 25.01.2022
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