Endlagersuche:Eine Anmaßung

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Ohne Tabus soll nun in ganz Deutschland nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle gesucht werden. Ein Leser fragt, wie das gehen soll - Sicherheit für eine Million Jahre? Ein anderer meint, lagern müssten alle Bundesländer.

"Das Experiment", "Irgendwo im Nirgendwo" und "Bundestag beschließt Endlagergesetz" vom 24. März:

Warnzeichen für Außerirdische

Das Gesetz zur Endlagersuche sieht nach einem hilflosen Aktivitätssurrogat aus und deutet eine Scheinlösung an. Die Problematik des unschädlichen Verbleibs von Atommüll lässt sich wohl nicht mehr verantwortlich bewältigen, nicht vom Menschheitskollektiv, nicht international und schon gar nicht national, so wie es aktuell als Gesetzesvorhaben des Bundes angegangen werden soll. Die "Millionen-Jahre"-Aufgabe mit Ehrfurcht oder Demut anzugehen ist absurd und eine Realitätsverdrängung. Auch die 500-Jahre-Perspektive für eine eventuell später mögliche Rückholung ist eher eine Anmaßung. Die praktischen, technischen und politischen Kompetenzen sind nach allen Erfahrungen nicht erkennbar.

Allein schon die Zielvorgabe, in einigen Jahren bzw. Jahrzehnten eine Konzeption und Lagerstellensuche einzuleiten und umzusetzen, verschiebt das Problem auf kommende Generationen, die mit verschärften Bedingungen konfrontiert sein werden, je länger der Prozess dauert. Über allem schwebt die Gefahr weiterer, offensichtlich nicht beherrschbarer Atomunfallkatastrophen.

Was bleibt? Globale Reduzierung und Vermeidung weiteren Atommülls, Abschaltung und universelle Vereinbarung einer Lagerung, welche die Verstrahlungsgefahr zumindest oberflächlich deckelt, alles darüber Hinausgehende ist substanzlose Hoffnung. Das Giftzeug wird nach allen denkbaren Zeitvorstellungen dauerhaft gefährlich bleiben, auch wenn Homo sapiens von der Erdoberfläche verschwunden sein wird. Die Biosphäre wird dann durch strahlungsgenerierte Evolutionsbocksprünge "belebt" werden. Für eventuelle spätere Besuche aus dem All sollten Warnzeichen interpretierbar sein: "Nicht betreten!" oder "Schutzanzüge tragen!". So viel Verantwortung sollte noch sein, auch wenn das allein eine mächtige Herausforderung darstellt. Eberhard Piltz, Bremen

Und die Bürger machten mit

Nicht weil Versorgungsengpässe drohten, sondern allein aus Profitgründen haben Politik und Wirtschaft einst auf die Kernenergie gesetzt und alle damit verbundenen Risiken in Kauf genommen. Die Bevölkerungsmehrheit hat das gleichgültig hingenommen. Auch die Bewohner des Wendlands sind erst dann zu Gegnern der Kernenergie geworden, als der Atommüll in ihrer Region entsorgt werden sollte.

Es ist absurd zu glauben, dass auf der Basis wissenschaftlicher Fakten in Deutschland ein sicherer Standort für die Endlagerung von Atommüll gefunden werden kann, ein unterirdischer Standort, in dem der Atommüll für eine Million Jahre sicher verwahrt werden kann. Wissenschaft, die das behauptet, ist unglaubwürdig.

Alternative? Das Verursacherprinzip! Jedes Bundesland mit Kernkraftwerken hat seinen Anteil an Atommüll zurückzunehmen und nach den länderspezifischen Gegebenheiten so sicher wie möglich dezentral zu entsorgen. Zu Recht müsste mein Bundesland Niedersachsen dann besonders viel Atommüll zurücknehmen, auch als Strafe dafür, dass eine Bürgermehrheit einst den Atomlobbyisten Ernst Albrecht zum Ministerpräsidenten gewählt hat.

Und nach dem Sündenfall? Nichts gelernt aus der Geschichte, die gleiche Mentalität wie damals, heute ist es die Massentierhaltung, mit Geflügelpest, Vergiftung der Böden, Verpestung der Luft und weltweitem Export von mit Antibiotika verunreinigtem Billigfleisch. Es sollte den Hiesigen endlich die Rechnung präsentiert werden! Wolfgang Brandes, Wardenburg

Scherbenhaufen der Wirtschaft

Zu Zeiten, in denen die Finanzierung und der Bau eines neuen Flughafens in Berlin für die öffentliche Hand ein nicht enden wollendes, unkalkulierbares Abenteuer darstellen, bürden die Politiker nun der Allgemeinheit ein neues, auch nicht im Ansatz zu überschauendes Großprojekt auf: die Entsorgung des Atomstromzeitalters.

Die Manager der Energiekonzerne können sich gegenseitig gratulieren. Sie haben - mal wieder - ein finanziell derzeit auch nicht im Ansatz bewertbares Finanzrisiko an die Gemeinschaft abtreten können. Zwar verpflichten sie sich auf die Zahlung eines hohen Geldbetrages, womit sie dann aber im Gegenzug die gesamte Verantwortung an andere - an uns - abgegeben haben. Damit sind die Finanzen der Unternehmen konsolidiert, die Verluste werden übers Finanzamt nochmals reduziert und das freigewordene Kapital kann problemlos für neue "Spielereien" wie zum Beispiel Fracking eingesetzt werden, wo auch schon heute klar ist, dass mit dieser Technologie wieder neue, unkalkulierbare Risiken entstehen. Man müsste nur mit den schon heute betroffenen Menschen, zum Beispiel in Kanada, reden, statt sich von Lobbyisten beruhigen zu lassen.

Stattdessen wird niemals rechnerisch nachgewiesen werden können, wie teuer die Gesamtkosten für das Experiment Atomstrom tatsächlich sind, und der Atomstrom kann weiter mit dem Begriff "billig" gehandelt werden. Es wäre an der Zeit, dass die Politik erkennt, dass es nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sein darf, alle Scherbenhaufen des wirtschaftlichen Tuns von Unternehmen einzusammeln, sondern die Folgen und deren Kosten einfach beim Verursacher belässt. Selbst ein möglicher Konkurs solcher Unternehmen (hierzu gehören auch Banken), die sich nicht restlos klar sind über alle Aspekte ihres Handelns, ist o.k., denn wir brauchen niemanden, der sich auf Kosten anderer profiliert. Somit würde ein generelles Umdenken beschleunigt hin zu der zeitgemäßen Frage, was denn eigentlich dem Gemeinwohl dient?

Dann würde auch ganz schnell eine hochbrisante Folgefrage auftauchen, die bisher noch niemand öffentlich zu stellen gewagt hat: Warum wird in einer Demokratie nur die menschliche Arbeit und nicht die Arbeit der Maschinen besteuert? Und: Wem dient eigentlich unsere gelebte Form des Umgangs miteinander?

Ich habe den Eindruck, dass unsere aktuelle Politik nicht bereit ist, sich mit den elementaren Problemen der menschlichen Zukunft auf diesem Planeten zu befassen und lieber weiter diejenigen beschenkt, die den Karren in den Dreck fahren, statt sie strengstens zu bestrafen. Heinrich Braun, Göttingen

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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