Zu "Da haben wir Schuld auf uns geladen" und "Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet" vom 3. Februar:
Liebe und Zeit nicht limitieren
Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx spricht sich für die Abschaffung des Pflichtzölibats aus. "Aus sexuellen Gründen" und damit die Priester "nicht einsam wären" - es wäre eine Art Vorbeugung gegen zukünftige Missbrauchsfälle. Dafür würde es aber doch genügen, nur das Gebot der Keuschheit und Enthaltsamkeit aufzuheben, das der Ehelosigkeit aber beizubehalten - und damit dem Vorbild Jesu Christi zu folgen.
Jesu Liebe war frei und revolutionär, weil sie Gott galt, Männern und Frauen, Freund und Feind. Warum dieses fortschrittliche, grenzenlose, libertäre Konzept von Liebe institutionalisieren und in das enge, staatlich organisierte, Korsett der "Ehe" zwängen? Gerade jetzt, wo die FDP neue "Verantwortungsgemeinschaften" erdenkt?
Aus eigener Erfahrung, als Protestantin mit drei tiefen Freundschaften zu katholischen Priestern - aus Indien, Deutschland und dem Kongo - weiß ich, wie wichtig ihnen enge Beziehung und Verantwortung sind, nicht aber Ehe. Das Konzept "Ehe und Familie" schließt immer andere aus, rationiert und limitiert Liebe und Zeit - die priesterliche Berufung würde zum "9-to-5-Job" schrumpfen. In Zeiten größter seelischer Not war meine evangelische Pfarrerin mit Ehemann und Kindern okkupiert - meine katholischen Priester dagegen öffneten Herz und Gästezimmer.
Sabine Matthes, München
Stabile Persönlichkeiten
Es ist erfreulich, dass sich sowohl Bischof Georg Bätzing als auch Kardinal Marx für die Abschaffung des verpflichtenden Zölibats einsetzen. Dies erinnert mich an meinen Besuch 1987 im Kloster Sagorsk bei Moskau. Bei einer Führung durch das dortige Seminar erblickte ich in einer Nische einen Seminaristen und eine Frau - eng umschlungen. Auf meinen verwunderten Blick hin sagte der Metropolit: "Wir fördern die frühe Bindung unserer Seminaristen. Dies führt zur Stabilisierung ihrer Persönlichkeit." Diese Haltung der russisch-orthodoxen Kirche dürfte auch unserer römisch-katholischen Kirche guttun.
Günter Löb, München
Frauenfeindliches Bild
Die Abschaffung des Zölibats ist unbestritten längst überfällig. Dies jedoch in den Kontext zu den Missbrauchsfällen zu stellen zeugt davon, dass ein frauenfeindliches Bild in der Kirche beziehungsweise in den Köpfen der alten Kirchenmänner vorherrscht. Durch die Abschaffung des Zölibats wird kein einziger Missbrauchsfall verhindert. Die Frau als Objekt der Begierde fehlgeleiteter Triebe? Die Frau soll ihrem Mann dienen, damit er seinen sexuellen Trieb ausleben kann? Sexismus in seiner Reinstform. Pfui Teufel!
Ulrike Steigemann, Neuburg an der Donau
Therapeut für Verheiratete
Wie soll ein Priester, der geheiratet hat, in der Kirche überhaupt Fuß fassen mit einer klerikalen Spitze, die nur aus Männern besteht, die genau das ablehnen. Das würde gehen, wenn der Papst uns zu seiner Hochzeit einladen würde, aber so kann Herr Marx dem Priester gleich einen Therapeuten beiordnen. Das ist menschlich nicht zu verkraften. Menschen, die das anbieten, diesmal Herr Marx, meinen, Menschen in der Kirche führen zu können, was ich bezweifele.
Werner Jasper, Delmenhorst
Heiraten ist nicht die Lösung
Auch wenn es gut, mutig und erstaunlich ist, dass Kardinal Marx sich gegen das Pflichtzölibat ausspricht, hat mich dies entsetzt. Beim Missbrauchsproblem in der katholischen Kirche geht es nicht um das Fehlen von einvernehmlichem Sex zwischen Ehepartnern, sondern um den sexuellen Missbrauch von Kindern. Um Pädophilie. Dass diese pädophilen Gewalttäter heiraten und Familien mit Kindern gründen, kann niemand wünschen oder als Lösung sehen.
Julia Slawik, Bonn
Beschämendes Herumlavieren
Ich bin seit meiner Taufe vor 53 Jahren (also mein Leben lang) Katholik, habe elf Jahre lang ministriert, und es ist mir in dieser Zeit glücklicherweise nie irgendjemand zu nahe getreten. Aber heute verstehe ich die Kirche nicht mehr, ich weiß nicht mehr, woran sie glaubt. Der Bezug zu Christus ist nur noch im akademischen Kontext erkennbar. Da laviert sich der von mir bislang sehr geschätzte Kardinal Marx durch ein Interview mit Floskeln wie: "das weiß ich nicht", "das müssen andere sagen", und das in einem Gespräch, in dem es nicht um die Bestellung von Messwein geht, sondern um die Beschäftigung pädophiler Priester im Erzbistum München. Er ist der Chef. Da ist es seine Aufgabe, Bescheid zu wissen, was vor sich geht. Dass er sich hinter seiner rechten Hand, dem Generalvikar, versteckt, wenn es um fehlende Informationen geht, empfinde ich als beschämend.
Was passierte doch gleich mit dem VW-Vorstand, der behauptete, nichts von der Schummelsoftware gewusst zu haben? Nein, das ist kein Verhalten für einen Topmanager, und nichts anderes ist ein Erzbischof. Wenn im Laden etwas schiefgeht, dann ist es der Vorgesetzte, der dafür geradestehen muss, und wenn es sich dabei um eine Straftat handelt, an der Menschen ihr Leben lang leiden, dann kann sich die erste Riege nicht hinter nachgeordneten Mitarbeitern verstecken.
"Bei mir war klar angekommen: Er (Ratzinger) war bei dieser Sitzung nicht anwesend. (...) Jetzt stellt sich bei der gründlichen Recherche etwas anderes heraus." Hier fühlte ich mich für dumm verkauft. Jeder Fünftklässler lernt Protokollschreiben: Im oberen Teil werden die Teilnehmenden, die Entschuldigten und die Abwesenden namentlich benannt. Da braucht es in der Erzdiözese München eine gründliche Recherche, um festzustellen, ob der Erzbischof anwesend war? Echt jetzt?
So sehr es mich freut, dass Kardinal Marx, wenn auch zaghaft, die Axt an den Pflichtzölibat legt: Das wird das Problem der Pädophilie in der katholischen Kirche nicht lösen, solange für jeden sexuell Entgleisten ein Erzbistum der einzige Arbeitsplatz ist, an dem er vor Strafverfolgung sicher ist. Das Verbrechen wird so lange unter der Decke gehalten, bis es nach deutschem Recht verjährt ist, und dann nach Kirchenrecht per Versetzung oder Beförderung "bestraft". Da wäre jeder Pädophile dumm, wenn er sich einen Job in der freien Wirtschaft suchen würde.
Das Problem ist nicht erst seit gestern bekannt, aber man hat den Eindruck, dass nur die unteren Ränge der Kirche um eine Veränderung im Sinne christlicher Mitmenschlichkeit bemüht sind. Nicht das Kirchenvolk, nicht die kritischen Geister lassen Sie, Herr Kardinal, allein. Die Kirche lässt ihre Gläubigen allein!
Gregor Meyer-Bender, Gilching
Kollegiale Führungsstruktur
Sie wollen alle nichts gewusst haben von den kritischen Fällen in ihren Diözesen oder falsch informiert worden sein, die Herren Bischöfe. Das kann sie jedoch nicht entlasten. Denn gemäß der hierarchischen Struktur der katholischen Kirche führen sie ihr Bistum nach den römischen Vorgaben wie absolute Monarchen. Wer aber alle Entscheidungsgewalt und Zuständigkeiten in seinen Händen hält, der ist für alles verantwortlich.
Es mag sein, dass die Fülle der Aufgaben und die Anzahl der Vorgänge in einer großen Diözese so zahlreich sind, dass ein Einzelner sie unmöglich überblicken kann. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Verantwortung in einem Gestrüpp unklarer Zuständigkeiten versandet. Demokratische Beteiligungsrechte sind daher nicht nur nötig, weil demokratisch sozialisierte Gläubige sie fordern, sondern auch im Interesse der Menschen an der Spitze, damit ihr Aufgabenbereich auf ein leistbares Maß zurückgeführt wird.
Das gilt besonders für den Papst. Er ist nicht nur absoluter Monarch der Gesamtkirche, sondern seit 1870 in eng definierten Situationen mit "Unfehlbarkeit" ausgestattet. Diese hat bisher nur ein Papst ein einziges Mal beansprucht: Pius XII. 1950. Unter Johannes Paul II. wurde sie schleichend ausgedehnt auf sämtliche Äußerungen und Handlungen des Papstes. Und bei Benedikt XVI. soll sie jetzt sogar auf sein Leben vor und nach dem Pontifikat ausgedehnt werden? Deshalb darf er 1980 als Erzbischof von München und Freising keinen Fehler gemacht haben. Diese Strategie ist krachend gescheitert. Dass Benedikt in seiner Stellungnahme dreimal ein "redaktionelles Versehen" unterläuft und Kardinal Marx in der bereits 2010 heftig diskutierten Angelegenheit fehlinformiert wurde, spricht für sich.
Auch das Amt des Papstes muss umgeformt werden auf ein von einem Menschen zu bewältigendes Maß. Insbesondere muss die "Unfehlbarkeit", wenn nicht ganz ad acta gelegt, zumindest auf das dogmatisch definierte Maß zurückgeführt werden. Beginnt man bei dem Verbot Johannes Pauls II. über das Frauenpriestertum auch nur zu diskutieren, wird Gleichberechtigung in der katholischen Kirche vielleicht doch noch möglich. Die Machthaber in der katholischen Kirche müssen endlich begreifen, dass ihnen die Forderung nach Abschaffung absolutistischer Strukturen Schutz bringt und damit ihren Interessen dient. Diese Einsicht würde mehr helfen als einzelne Rücktritte.
Konrad Maurer, Donauwörth
Reformunwillig
Kardinal Marx hat recht. Für manche Priester wäre es besser, sie wären verheiratet. Die Kirche würde viel Geld sparen, müsste nicht für die unehelichen Kinder ihrer Geistlichen aufkommen, von der Geheimniskrämerei ganz abgesehen. Doch der Zölibat ist nicht Ursache für die vielen Missbrauchsfälle in der Kirche. Es wäre besser, wenn die Kirche verhindern könnte, dass Pädophile und anderweitig abartig Veranlagte den Priesterberuf ergreifen würden. Oft fallen diese Typen schon früh auf. Sie sollten nicht in der Seelsorge und für Schutzbefohlene eingesetzt werden.
Marx ist guter Wille nicht abzustreiten, und auch seine, wenn auch späte, Einsicht ist löblich. Aber nun müssen überzeugende Taten folgen. Die Kirche muss ihre schützende Hand von den Tätern nehmen. Anonymisierte Verfahren bringen nichts für die Opfer. Auch die Namen schon verstorbener Täter müssen für deren Opfer publik gemacht werden, damit alle Welt erfährt, dass hinter der Fassade so manchen Würdenträgers ein schmutziger Triebtäter steckte. Die weltliche Rechtssprechung muss ihre Beißhemmung gegenüber der Kirche aufgeben und Täter schonungslos aburteilen, die Kirche ihre Archive öffnen. Auch wenn sich die Kirche sehr schwertut, wenn es ihr ans Geld geht, so müssen die Opfer angemessen entschädigt werden.
Doch entscheidend wird sein, ob Rom das zulässt. Daran besteht erheblicher Zweifel. Die Beharrungskräfte und die Reformunwilligkeit der römischen Kurie sind sehr stark. Die Institution Kirche ist organisatorisch der Mafia ähnlich: Hier wie dort gilt, der Schutz der Familie steht über allem.
Josef Geier, Eging am See
Scheinheiliger Kardinal
Es verwundert schon sehr, dass Herr Marx sich traut, dieses Interview freizugeben. Liest man doch: "Da habe ich beim Mittagessen zu ihm gesagt: Du und ich, wir beide wissen, wenn da nichts ist, dann verläuft sich das. Aber wir wissen, dass zu viel da ist. Deswegen wird sich das nicht verlaufen, und wir werden das anpacken müssen." Wenn er bereits 2010 beim Mittagessen wusste, dass "viel da ist", warum hat er nicht vorher eingegriffen? "Wir werden das anpacken müssen", klingt wie eine unwillkommene Last. Herr Marx ist schein(un)heilig und sollte auch ohne Segnung des Papstes einfach gehen. Seine Rente wird sicher besser sein als die seiner Opfer. Wie wäre es, er spendete sie? Herr Marx scheint zu denken: "If you can't beat them - join them" (wenn du sie nicht schlagen kannst, schließe dich ihnen an). Wir sollten ihn nicht lassen. Er besudelt damit alle Opfer. Dass er sich jetzt auf die Seite der Opfer schlägt, ist unerträglich und hohl.
Dr. Andreas Shell, München