WerteStärken nutzen, die Welt verbessern

Lesezeit: 6 Min.

Schuldirektor Bernhard Gademann hat viele Regeln am Institut auf dem Rosenberg gelockert, verlangt dennoch viel von seinen Schülerinnen und Schülern: "Wer mehr beeinflussen und erreichen kann, muss diese Stärken auch nutzen, um die Welt für andere zu verbessern."
Schuldirektor Bernhard Gademann hat viele Regeln am Institut auf dem Rosenberg gelockert, verlangt dennoch viel von seinen Schülerinnen und Schülern: "Wer mehr beeinflussen und erreichen kann, muss diese Stärken auch nutzen, um die Welt für andere zu verbessern." (Foto: Jan Thoma/Institut auf dem Rosenberg)

Segeltörns und Seminare bei berühmten Architekten: Am "Institut auf dem Rosenberg" in der Schweiz werden zukünftige Führungskräfte ausgebildet. Auf welche Werte es dabei ankommt und wie er mit Oligarchen-Kindern umgeht, erklärt der Internatsleiter im Interview.

Interview von Katharina Wetzel

Oberhalb der Stadt St. Gallen liegt das Institut auf dem Rosenberg. Die Lehrer heißen hier Kunsthandwerker, in einen Kurs kommen im Durchschnitt acht Schüler, jeder von ihnen wird individuell betreut, hat aber auch eine Fürsorgepflicht. Wer auf dem Campus mit Bodenseeblick seine Ausbildung genießt, stammt meist aus vermögendem Hause oder einer Unternehmerfamilie. Insgesamt kümmern sich 140 Angestellte um 230 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 18 Jahren. Bernhard Gademann führt das 1889 gegründete Institut zusammen mit seiner Frau Anita in vierter Generation. Als er überraschend die Schule von seinem Vater übernahm, hat er rigide Regeln abgeschafft und nach seinen Wertvorstellungen vieles von Grund auf erneuert.

SZ: Haben Sie den Druck gespürt, das Institut auf dem Rosenberg einmal von Ihrem Vater zu übernehmen?

Bernhard Gademann: Ich habe es immer gespürt, dass mein Weg zum Rosenberg zurückführen wird, aber das war bei uns in der Familie kein Muss. Ich habe in London und New York in der Finanzindustrie im Bereich Technologie gearbeitet. 2009 ist mein Vater überraschend gestorben. Das war für uns ein Schock.

Sind Sie dann gleich in die Verantwortung für das Institut gegangen?

Ich war erst einmal Verwaltungsratspräsident, danach sind unsere Kinder auf die Welt gekommen. Und das war für uns der Moment zu sagen: Jetzt setzen wir die Traumschule um, die wir uns für unsere eigenen Kinder wünschen.

Der Campus ist zehn Hektar groß, bietet 13 Jugendstilvillen mit Bodenseeblick.
Der Campus ist zehn Hektar groß, bietet 13 Jugendstilvillen mit Bodenseeblick. (Foto: Institut auf dem Rosenberg)

Was haben Sie verändert, seitdem Sie zusammen mit Ihrer Frau Anita Gademann die Geschäftsführung innehaben?

Wir haben jeden einzelnen Punkt hinterfragt und unser eigenes Curriculum eingeführt, das wir immer wieder aktualisieren und anpassen können. An traditionellen Schulen wird oft mit veraltetem Kursmaterial gearbeitet. Da hat man die Schüler schon am Anfang verloren.

Wie holen Sie die Schüler ab?

Wir haben die Tradition des individuellen Unterrichtens. Denn jedes Kind ist anders. Auch zwei Geschwister können ganz unterschiedliche Interessen und Wege haben, um erfolgreich zu sein. Um das zu unterstützen, haben wir unser eigenes IT-System aufgebaut, mit dem wir die Entwicklung jedes einzelnen Schülers planen. Alle 30 Minuten könnten wir einen neuen Stundenplan erstellen, wenn wir das wollten. Früher hat das Monate gedauert.

Warum ist die Erstellung des Kursplanes so komplex?

Bei uns wird die Klasseneinteilung nicht nach Jahrgangsstufen gemacht, sondern nach Interessen und Stärken des Schülers. Zum Beispiel ist ein Neuntklässler in der höchsten Mathematikstufe zusammen mit den Zwölftklässlern, bei Geschichte aber auf einem niedrigeren Niveau.

Was ist sonst noch anders im Vergleich zu einer staatlichen Schule?

Wir haben ein Kursangebot, das man an staatlichen Schulen nie finden würde. Dafür arbeiten wir mit Partnern aus der Industrie zusammen, zum Beispiel mit dem Technologieunternehmen ABB, Boston Dynamics, Vitra und Universitäten wie der ETH Zürich. Wir haben Kurse, in denen Schüler lernen, wie sie in Aktien investieren oder die Übergabe in Familienunternehmen gestalten, aber auch Kurse in Modedesign oder digitalem Journalismus. Diese Kurse geben unseren Schülern einen guten Einblick in die heutige Arbeitswelt. Auch andere Schulen könnten mit lokalen Betrieben zusammenarbeiten, Berufe der Zukunft vorstellen und den Unterricht so relevant machen.

Befürchten Sie nicht, dass dadurch die Unabhängigkeit als zentraler Wert von Bildung verloren geht?

Nein. Ich glaube, das Risiko besteht, wenn sich Schulen finanziell abhängig machen, wenn sie sich Infrastruktur, Gebäude, Computer finanzieren lassen. Wir sind aber finanziell unabhängig. Unsere Partnerschaften basieren auf Augenhöhe und gegenseitigem Interesse. Im Bereich Robotik können zum Beispiel auch Jugendliche tolle Ideen liefern. Das Schönste ist für mich immer zu sehen, was Kinder für gute Ideen haben, wenn man ihnen nur Vertrauen gibt und sagt, ihr könnt das.

Was kostet Ihr Angebot?

Pro Jahr liegt die Gebühr zwischen 140 000 und 150 000 Franken. Da sprechen wir eine sehr kleine Gruppe an, die sich das leisten kann.

Nur 0,0045 Prozent der Weltbevölkerung könnten sich das leisten, steht auf einem Poster in Ihrem Internat. Sollen die Schüler sich ihrer besonderen Stellung bewusst werden?

Jeder, der in unserem Teil der Welt geboren wird, ist im Vergleich zu anderen Erdenbewohnern privilegiert. Ich glaube, in dem Moment, in dem man erkennt, welche unglaubliche Chance einem das Leben gegeben hat, da geht man Probleme auch ganz anders an.

Unter der Prozentzahl steht, dass Privileg immer auch Verantwortung bedeutet. Was verstehen Sie unter Verantwortung?

Verantwortung bedeutet, dass man sich seiner Chancen bewusst ist und gleichzeitig versteht, dass man dadurch auch eine Fürsorgepflicht für andere hat. Wer mehr beeinflussen und erreichen kann, muss diese Stärken auch nutzen, um die Welt für andere zu verbessern.

Wie vermitteln Sie das den Schülern konkret?

Das erste Level fängt damit an, dass der Schüler Verantwortung für sein eigenes Leben und seinen Unterrichtsplan übernimmt. Das zweite Level bietet die Möglichkeit, Verantwortung für andere zu übernehmen. Dafür haben wir beispielsweise Wohltätigkeitsinitiativen.

Im Kreativlabor können die Schüler ihre eigenen Projekte verwirklichen. "Wenn ein Schüler eine schwimmende Drohne bauen möchte, die Plastik aus dem Meer herausfischt, dann unterstützen ihn dabei Experten", sagt Gademann.
Im Kreativlabor können die Schüler ihre eigenen Projekte verwirklichen. "Wenn ein Schüler eine schwimmende Drohne bauen möchte, die Plastik aus dem Meer herausfischt, dann unterstützen ihn dabei Experten", sagt Gademann. (Foto: Jan Thoma/Institut auf dem Rosenberg)

Welche Werte brauchen Manager heutzutage, um Verantwortung zu übernehmen?

Die Werte, die Manager heute benötigen, sind die gleichen fortwährenden und universalen Werte, die wir auch an unserer Schule leben und vorleben. Es geht darum, in allen Bereichen des Lebens und Arbeitens Sorgfalt und Respekt vor sich selbst und gegenüber anderen zu praktizieren, zu versuchen, die eigenen Erwartungen zu übertreffen, offen zu sein für Veränderungen sowie lebenslanges Lernen und dabei stetig einen positiven Einfluss auf das eigene Umfeld auszuüben.

Ihr Campus ist zehn Hektar groß, bietet 13 Jugendstilvillen mit Bodenseeblick, die Schüler können zum Architektur-Seminar bei Norman Foster nach Madrid oder auf einen Segeltörn nach Monaco. Was tun Sie, damit die Schüler da nicht komplett abheben und in einer reinen Blase leben?

Früher war das Konzept des Internats, dass man es irgendwie durchstehen und erleiden muss und Entbehrungen ein toller Aspekt der Bildung sein sollen. Das ist meiner Meinung nach nicht der Fall.

Das heißt also mehr Spaß bei der Wertevermittlung, weniger Drill?

Es ist durchaus üblich, dass Schüler 40 akademische Lektionen pro Woche haben und am Wochenende ebenfalls arbeiten. Wir fordern extrem viel. Alle Reisen haben bei uns das Ziel, etwas zu lernen. Wenn wir vor Monaco segeln, geht es auch darum, von einem Kapitän zu lernen, wie man eine Crew von 25 Leuten führt und was eine gute Führungskraft ausmacht.

Und was macht eine gute Führungskraft aus?

Wichtig ist, dass man den Schülern auch vorlebt, was man von ihnen erwartet. Bei uns haben Schüler wenig Druck, sich über Statussymbole zu definieren.

Gibt es einen Dresscode?

Wir haben drei verschiedene Dresscodes. Während des Unterrichts und der Mahlzeiten gilt ein formeller Dresscode, also für die Jungs Anzug mit Krawatte oder Wollpulli, für unsere Mädchen eine Kombination mit elegantem Jackett zu Rock oder Hose. Der zweite Dresscode ist Smart Casual. Hier gilt: kein Denim, gepflegte Sneaker sind erlaubt. Und der dritte Dresscode gilt während der Freizeit, hier können sie weitgehend anziehen, was sie wollen.

Früher mussten Mädchen noch ein Rock anziehen, oder?

Das war eine unserer Änderungen. Früher hatten wir ganz rigide Regeln, die nicht mehr zeitgemäß sind. Wir wollen eine offene Schule sein, die Unterschiede zelebriert, aber nicht veraltete Normen aufzwingt. Ob der Anzug pink oder hellgrün ist, ist irrelevant.

Gibt es noch Geldstrafen?

Die haben wir abgeschafft, da sie weder zeitgemäß noch pädagogisch sinnvoll sind. Es funktioniert ohne auch besser. Heute haben wir viel weniger Probleme mit Nachtruhe und der Disziplin im Allgemeinen.

Aber Drogentests sind noch nötig?

Ja, das ist mir sehr wichtig. Diese führen wir regelmäßig durch, als Abschreckung und zur Sicherheit der Schülerinnen und Schüler.

Die Schüler sollen auch ein besseres Bewusstsein für die Umwelt entwickeln und an Lösungen für den Klimawandel arbeiten: Klimakuppeln simulieren etwa Temperaturunterschiede der Schweiz von heute und im Jahr 2085.
Die Schüler sollen auch ein besseres Bewusstsein für die Umwelt entwickeln und an Lösungen für den Klimawandel arbeiten: Klimakuppeln simulieren etwa Temperaturunterschiede der Schweiz von heute und im Jahr 2085. (Foto: Jan Thoma/Institut auf dem Rosenberg)

Wie gehen Sie damit um, wenn Eltern Druck ausüben und möchten, dass ihr Kind besonders gut abschneidet?

Wenn wir das Gefühl haben, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern nicht konstruktiv ist, müssen wir sie auch nicht weiterführen. Die meisten Eltern schätzen es aber, wenn wir ihnen offen sagen, wie es ist.

Was machen Sie, wenn eine Oligarchenfamilie kommt oder ein dubioser Ölscheich?

Das Wichtigste ist, dass die Familien, die zu uns kommen, unsere Werte teilen wie Respekt und gegenseitige Toleranz. Sonst ist man bei uns am falschen Ort. Rassistische Äußerungen zum Beispiel können sehr schnell zum Schulausschluss führen, weil uns die Verteidigung dieser Werte sehr wichtig ist.

Wenn Sie feststellen, dass einer Ihrer Schüler aus einer Oligarchenfamilie stammt, die eine enge Verbindung zu Putin hat? Würden Sie den Schüler dann von der Schule verweisen?

Wir sehen als Allererstes die Person, ein Kind, das uns anvertraut worden ist und für dessen Ausbildung wir zuständig sind. Wir verpflichten uns, unsere Schüler nicht aufgrund ihrer Herkunft zu bewerten. Und solange sich die Schüler an unsere Regeln und Werte halten, ist es in der Beurteilung völlig irrelevant, woher die Eltern kommen. In diesem konkreten Fall käme es nicht zu einem Schulausschluss, da wir Kinder auch nicht für die Taten ihrer Eltern verantwortlich machen können. Das ist ein universaler Grundsatz, der übrigens auch in unserem westlichen Rechtssystem fest verankert ist.

Wie vermitteln Sie Ihre Werte an "Oligarchen-Kinder"?

Mir widerspricht der Ausdruck "Oligarchen-Kinder", da er sehr wertend ist. Wir bilden Führungspersönlichkeiten aus, und ich habe einen großen Glauben daran, dass der Dialog sehr wichtig ist. Wenn wir die Welt verbessern wollen, wenn wir eine Welt haben wollen mit weniger Konflikten, dann müssen wir heute den Unterschied machen.

Glauben Sie, dass Sie da etwas bewegen können?

Ja, wenn wir Schüler aus der ganzen Welt haben, die auch aus Staaten kommen, die keine Demokratie sind, ist es eine unglaubliche Chance, wenn sie eine internationale Ausbildung genossen haben und hier Freunde gewonnen haben. Ein Ausschluss wäre kontraproduktiv und würde genau das Gegenteil erreichen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: