Einwanderung:Die Suche nach dem Selbst

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Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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Wer gehört zur Nation? Weil die Begriffe schwammig sind und die Definitionen fehlen, tut sich Deutschland mit "den Anderen" so schwer. Wie komplex die Debatte ist, zeigt sich auch in den Leserbriefen. Schließlich geht es unter anderem um die Frage der eigenen Identität.

"Deutsch auf Bewährung" vom 28./29. Juli:

Vieles von dem, was Jörg Häntzschel in seinem Artikel anspricht, ist zweifellos richtig. Den alten Mythos aufzuwärmen, dass andere Länder wie Frankreich und Großbritannien sich wegen der Zuwanderung aus ihren ehemaligen Kolonien leichter täten mit Diversität und Fremdheit, führt aber in eine völlig falsche Richtung. Kontrafaktisch müsste man fragen: Wäre Deutschland eine bessere Einwanderungsgesellschaft, wenn es sein Kolonialreich länger behalten hätte? Historisch blendet solch eine Perspektive jedenfalls das Erbe des kolonialen Rassismus völlig aus, das auch den Umgang mit den postkolonialen Migrationen prägte. Angesichts eines seit Jahren erstarkenden Front National und eines kürzlich auf Basis einer xenophoben Agenda vollzogenen Brexit-Votums erscheint auch die Gegenwartsdiagnose wenig zutreffend, dass sich besagte Länder "leichter täten", Fremdheit zu akzeptieren. Die vom Autor diagnostizierte Unfähigkeit der Deutschen, "einen Begriff von sich selbst zu finden", äußert sich hier auch in der Suche nach vermeintlichen Vorbildern in anderen Ländern, die es angeblich "besser machen". Das "neue Wir" wird sich nicht durch Nachahmung bilden lassen.

Prof. Dr. Jannis Panagiotidis, Osnabrück

Wer bin ich?

Der Satz "... einen Begriff von sich selbst zu finden" hat mich nicht ruhen lassen. Zunächst ist selbstverständlich, dass der Satz von Frau Merkel, "Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt", Basis aller weiteren Überlegungen sein muss. Aber ich bin neugierig: Wen habe ich als Gegenüber? Wer bin ich als Gegenüber? Zu mir und zu jedem anderen gehört eben mehr als der Geburtsort, die Schule, die Sprache. Es gehören auch die Erzählungen der Familienbiografie dazu. Auf vielen Umwegen bin ich in Göttingen gelandet. Es berührt mich, dass einer meiner Vorfahren im 18. Jahrhundert dort Jura studiert und an einem Aufstand der Göttinger Studenten teilgenommen hat. Es ist ein Teil von mir, dass meine Eltern in Naumburg an der Saale aufgewachsen sind und die Erzählungen meiner Eltern über das Domgymnasium dort und die Wichtigkeit der St. Wenzelkirche für meine Mutter sind Teil meiner familiären Geschichte und Identität und für meine Person und meine Gegenüber wichtig. Solche spezifischen Erfahrungen möchte ich auch von anderen wissen, weil sie nicht bedeutungslos sind.

Hans Christoph Hilliger, Göttingen

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