Süddeutsche Zeitung

Ehegattensplitting:Ein Evergreen fürs Finanzamt

Wer heiratet, hat Gestaltungsmöglichkeiten bei den Steuerklassen. Manche kritisieren das, andere verteidigen es - stellen aber auch Forderungen fürs Splitting. Zum Beispiel eine echte gemeinsame und gleichberechtigte Kontoführung der Eheleute.

Zu "Das Steuerfossil" vom 13./14. November:

Gemeinsames Konto

Eine komplette Ungleichbehandlung erleben gesetzlich versicherte Ehepaare bei den Kassenbeiträgen, hier erreicht der Alleinverdiener schnell die Beitragsbemessungsgrenze, die Partnerin oder der Partner ist gratis mitversichert und wenig motiviert, diese Situation zu ändern, während die 50/50 verdienenden Ehepartner beide volle Beiträge zahlen, als ob sie nicht verheiratet wären, insgesamt wesentlich mehr. Hier wäre eine Deckelung nur fair.

Wenn die Ehe Vorteile im Steuerrecht erhält, weil sie eine Versorgungsgemeinschaft ist - ja, so sehe ich das schon auch -, dann muss auch das Einkommen in der Ehe beiden gehören, also automatisch Zugriff auf das Konto des Ehepartners möglich sein oder die Hälfte des Einkommens automatisch auf das Konto des Ehepartners überwiesen werden, wenn Ehegattensplitting gewählt wird. Die aktuelle Rechtslage ist ja geradezu absurd, dass die nicht verdienende Ehefrau erst mit der Scheidung Zugriff auf den Zugewinn der Ehe erhält, die Ehezeit über aber mit einem Haushaltsgeld zufrieden sein muss. Diese beiden Aspekte kommen in den öffentlichen Diskussionen gar nicht vor.

Thea Igers, Aub

Gemeinsam erwirtschaften

Im Artikel fordern die beiden Autorinnen vehement die Abschaffung des Ehegattensplittings - unter anderem deshalb, weil es Ehepaaren einen unberechtigten "Steuervorteil" gewähre. Das tut das Ehegattensplitting keineswegs. Vielmehr entspricht und entspringt es dem Begriff der Ehe und ist dessen logische Konsequenz: Zwei Menschen sorgen gemeinsam für ihr Leben, erwirtschaften gemeinsam ihren Lebensunterhalt, teilen ihr Einkommen miteinander und verfügen gemeinsam, gleichberechtigt darüber - und werden steuerlich darum gemeinsam veranlagt. Sie dagegen als wirtschaftliche Einzelsubjekte behandeln zu wollen nach Maßgabe ihrer individuellen Einkünfte (wie es die Autorinnen fordern), das hieße, die Ehe nicht mehr als solche anzuerkennen.

Die anderen von den Autorinnen aufgeführten Argumente gegen das Ehegattensplitting treffen nicht dieses selbst, sondern seinen Missbrauch. Das Ehegattensplitting wird überall da missbräuchlich in Anspruch genommen, wo die beiden Eheleute ihr Einkommen nicht als wirklich gemeinsames behandeln, also nicht gleichberechtigt und in gleichem Umfang darüber verfügen. Dieser Missbrauch sollte in der Tat unterbunden werden. Zum Beispiel durch eine rechtliche Regelung, die das Splitting auf die Ehen begrenzt, in denen die Eheleute Gütergemeinschaft vereinbart haben. Eine Ausweitung des Splittingverfahrens auf Familien und Alleinerziehende halten wir für angebracht - aber gerade nicht als Ersatz für das Ehegattensplitting, sondern als dessen sachgemäße Ergänzung.

Dr. Ute Beyer-Henneberger und Thomas Henneberger, Großefehn

Von hinten aufgezäumt

Ihr Text ist gekennzeichnet durch die Verwunderung darüber, warum das Ehegattensplitting über nunmehr 63 Jahre im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland erhalten geblieben ist. Sind konservative Juristen, Konservative im Allgemeinen, widrige Umstände verantwortlich? Was genau macht das Splitting so resilient? Eine wichtige Antwort auf diese Frage enthält der Text schon, allerdings nur so versteckt, dass sie nicht weiterverfolgt wird. Ausschlaggebend für die Zähigkeit des Splittings sei auch das Grundgesetz, heißt es an einer Stelle, nämlich der Artikel "zum besonderen Schutz der Ehe".

Die Gegner des Ehegattensplittings zäumen das Pferd letztlich von hinten auf, dem "Splitting". Angesetzt werden müsste vorn, bei der "Ehe". Sie müsste zu einer Privatsache zwischen zwei Menschen, einem Privatvertrag zweier Individuen gemacht werden - dann wäre auch das Splitting ganz schnell weg. Warum dieser zentralen Stellschraube weder im Text noch in den Jahrzehnten der juristischen und politischen Auseinandersetzung die nötige Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, löst einigermaßen Verwunderung aus.

Michael Klinkhammer, Lennestadt

Care-Arbeit entlohnen

Man kann das Ehegattensplitting als "Fossil" werten und ihm nachsagen, dass es "den Geist der 50er-Jahre in die Gegenwart" trägt. Man kann aber auch daran denken, dass diese alte Regelung sehr gut zur Zukunft passt: Die mittlerweile als unverzichtbar erkannte familiäre "Care-Arbeit" (Betreuung, Erziehung, Pflege) wird bekanntlich nicht bezahlt; nur das Ehegattensplitting führt zu einem gewissen finanziellen Ausgleich für alle jene, die in Teil- oder Vollzeit Pflege, Erziehung und Betreuung zu Hause leisten. Würden alle diese Leistungsträgerinnen (und die wenigen Leistungsträger) morgen damit aufhören, bräche die institutionelle Kinderbetreuung in Kitas schlagartig zusammen.

Auch einen ganz anderen Effekt sehe ich: Erst kürzlich hat Nikolaus Piper in der SZ an den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik erinnert: Arbeit und Produktion beschleunigen unvermeidlich die Entropie, also die Erschöpfung und Entwertung aller Ressourcen. Sollten wir nicht alle jene belohnen, die sich in ihren Ansprüchen reduzieren? Paare und Familien mit einem einzigen Einkommen oder auch Paare und Familien mit zwei Teilzeit-Verdienern haben in allen sozialen Schichten weniger Geld zur Verfügung und konsumieren deshalb auch weniger als Haushalte mit zwei Vollzeiteinkommen. Das ist für eine kapitalistische Wachstumswirtschaft natürlich unerwünscht. Für die Stabilität des Planeten, also für eine verzögerte Entropie, ist Konsumreduzierung aber sehr wünschenswert, ja angesichts der Lage dringend geboten! Das Ehegattensplitting mag fehlerhaft sein, aber es ist die einzige derzeit wirksame Belohnung für einen Lebensstil, der mit weniger materiellen Ansprüchen gutes Leben organisiert und auf diese Weise der gesamten Gesellschaft nützt. Ein besseres Modell wäre die Bezahlung von familiärer Care-Arbeit kombiniert mit einer hohen Besteuerung von Konsum jenseits des Grundbedarfes.

Bernhard Suttner, Windberg

Frei wählbar

Ich glaube, die Verfasserinnen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht: Sie bekämpfen nämlich das Splitting, meinen aber in Wirklichkeit die Tatsache, dass Eheleute die Steuerklasse so wählen können, dass der Wenigerverdiener die höchste Steuerlast trägt (was bei der Veranlagung am Jahresende ausgeglichen wird). Es mag sein, dass dies negative Folgen hat. Gleichwohl ist es nicht eine Folge des Splittings, sondern der Steuerklassenwahl.

Nach der Hochzeit erhalten die Eheleute automatisch jeder die Steuerklasse vier, bei der die geschilderten Probleme nicht auftauchen. Meist wählen die Eheleute danach die günstigeren Steuerklassen drei und fünf mit den von Ihnen geschilderten Konsequenzen. Das ließe sich vermeiden, wenn man die Wahlmöglichkeit abschaffen würde - was verfassungsrechtlich zulässig wäre, denn das Splitting bliebe ja bei der Veranlagung am Jahresende erhalten. Außerdem betrifft die Wahl der Steuerklassen nur angestellte Beschäftigte oder Beamte. Bei Gewerbetreibenden und Selbständigen zum Beispiel wählt üblicherweise der abhängig beschäftigte Geringverdiener die Steuerklasse drei, während der andere Teil Einkommensteuervorauszahlungen leistet - nach Möglichkeit in der Höhe, die sich aufgrund der Veranlagung im Splittingverfahren ergibt. Die negativen Folgen treten hier nicht auf.

Wenn Eheleute die Steuerklassen so verteilen können, dass der weniger Verdienende Steuerklasse fünf erhält und damit benachteiligt wird, ist doch wohl damit zu rechnen, dass die Eheleute die Möglichkeit wählen, die ihnen am günstigsten erscheint.

Reiner Bühling, Hamburg

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SZ vom 20.11.2021
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