Süddeutsche Zeitung

Ehe für alle:Das Ende eines Begriffes, wie man ihn kannte

Lesezeit: 4 min

Was ist eine Ehe? Für viele Leserinnen und Leser, die der SZ Briefe zur jüngsten Entscheidung des Bundestages schickten, ist das ein Bund zwischen Mann und Frau. Dass das jetzt anders sein soll, können sie nur schwer akzeptieren.

"Hauptsache Liebe" und "Scheidung auf Raten" vom 1./2. Juli sowie "Wer will - wer will nicht" vom 28. Juni und weitere Artikel zum Thema Ehe für alle:

Handstreichartige Verfälschung

Als die Väter des Grundgesetzes vor 70 Jahren schrieben: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung", hielten sie den Zusatz "zwischen Mann und Frau" für so selbstverständlich ("natürlich" im ganz wörtlichen Sinne), dass sie ihn nicht hineinschrieben - jede andere Interpretation hätte man zu Recht als absurd empfunden. Nun ist plötzlich - nach einer Nacht-und-Nebel-Aktion, garniert mit allerhand parteipolitischen Ränkespielen - die Ehe nicht mehr das, was sie einmal war. Im Handstreich wird der Sinn des Gesetzes verfälscht, indem das Wort "Ehe" einfach neu ausgelegt wird - eine Begriffsklitterung von wahrhaft Orwell'schem Format.

Ob die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau "göttlich" ist (Zitat Heribert Prantl), mag von der persönlichen Glaubensüberzeugung abhängen, aber dass sie auf unabweisbaren biologischen Grundlagen beruht und die Väter des Grundgesetzes ihr gerade deshalb besonderen Schutz gewährten - das können auch noch so sophistische Wortspiele nicht übertünchen.

Prof. Wolfgang Hesse, München

Die Nächsten warten schon

Den Lesern der SZ ist, wie den Konsumenten anderer Medien, in der vergangenen Woche reiche Belehrung zuteilgeworden, wie sich Begriffe, die man zumindest in der Sprache verankert geglaubt hatte, in wenigen Jahrzehnten vollständig ändern können. Die Germanisten werden sich bemühen, den Sprachwandel sowohl zu dokumentieren wie zu erklären, und irgendwann wird sich auch das Bundesverfassungsgericht einschalten, wenn auch, bei ungebremsten Wandel, schwerlich abschließend.

Überraschend ist - Matthias Drobinski hat die Frage immerhin gestellt, wenn auch sehr am Rande -, dass es in unserem Lande eine stark zunehmende, normalerweise durchaus nicht unbeachtete Randgruppe gibt, an der dieser Wandel anscheinend vorbeigegangen ist, vielleicht allerdings eher auf der Gegenbahn. Immerhin sind ihm wie das "Brüderpaar" und die "lesbischen Frauen" sowie der "biologische Vater ihres Kindes" mit anscheinend sogar erhöhter Gewichtung auch "der Muslim und seine beiden Frauen" einer Erwägung wert gewesen, die bei aller überbordenden Aufregung für die Ehe für alle sonst schlichtweg vergessen worden sind. Ob sie wohl, bisher in der Verwirklichung ihrer religiösen wie säkularen Traditionen sowie der Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch Gesetze auf der Basis des Artikels 6 beschränkt, noch lange der Berücksichtig harren werden?

Dr. Otto Weippert, Augsburg

Säule unserer Kultur

Wir erleben gerade einen Bundestag, der glaubt, durch Positivierung eines Naturrechts den Kern einer lebensweltlichen Einrichtung, deren naturrechtliche Wurzeln seit Jahrhunderten eigentlich Bestand haben, "keinen Schaden" zuzufügen. Ich bin gespannt, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagen wird. Dabei ist es doch längst keine Frage mehr, dass der Gesetzgeber die Pflicht hat, jede Form auch noch einer verbleibenden Diskriminierung der homosexuellen Partnerschaften durch entsprechende Gesetzgebung zu verhindern. Den substanziellen Kern einer lebensweltlichen Ordnung, die als die generative Beziehung zwischen Mann und Frau eine tragende Säule unserer Kultur bildet, sollte jedoch weiterhin im Blick bleiben können.

Die Väter des Grundgesetzes wussten noch sehr genau, welche katastrophalen Folgen von positiven Normen ausgehen können, die einer naturrechtlich begründeten Rationalität keine Stimme mehr geben. Die erste Katastrophe ist doch schon die, dass dieses komplexe Thema von der SPD auf unsägliche Weise instrumentalisiert wurde, um sich damit mit einem Paukenschlag aus der großen Koalition zu verabschieden. Sozusagen auf der Suche nach einer neuen "Ehe" und als Wahlkampfstrategie vom Feinsten.

Dr. Heiner Hirblinger, Dießen

Warum so spießig?

Die sogenannte Ehe für alle ist nicht für alle, sondern die Neuerung betrifft zwei gleichgeschlechtliche Personen. Aber wenn man schon die Ehe "öffnet" für alle, warum dann nur für zwei Personen? Man kann doch mehr Menschen lieben (was ja häufig der Fall ist), zum Beispiel können sich doch vier Menschen innig lieben. Warum diese Einschränkung? Wenn man schon die Ehe "öffnet", warum dann nicht auch für drei, vier oder fünf Personen? (Aus Gründen der Praktikabilität wird es wohl eine Obergrenze geben müssen.)

Es hätte für die Betroffenen Vorteile, man denke nur an das Ehegattensplitting oder Krankenkassenbeiträge oder auch, dass von vier Personen sicher immer eine für die Kinder Zeit hätte, falls solche gezeugt oder adoptiert sind. Der Staat hätte auch Vorteile: Es würde sicher weniger Sozialhilfe nötig, weil bei zum Beispiel einer Ehe von vier Personen das Familieneinkommen sich so ausgleichen würde, dass es über der Armutsgrenze liegt, oder im Alter würden sicher einige so fit sein, dass sie die Pflege von Pflegebedürftigen in der Familie übernehmen könnten etc. Wenn im Bewusstsein der Menschen die Ehe nicht mehr die natur- oder gottgegebene Ordnung beschreibt, warum dann die Ehe so kleingeistig und spießig auf zwei Personen beschränken?

Dr. Dieter Spies, Egmating

Ehegattensplitting abschaffen

Die Ehe für alle ist beschlossen - man kann darüber denken, wie man will. Jetzt muss man aber einen Schritt weiter gehen. Die Ehe im ursprünglichen Sinne wurde steuerlich über das Ehegattensplitting gefördert, weil der Staat ein Interesse daran hatte, seinen Fortbestand zu sichern. So wurde die klassische Familie - Mann verdient, Ehefrau macht Haushalt, kümmert sich um die Kinder und/oder verdient ein wenig hinzu - über das Ehegattensplitting finanziell entlastet. Soll dieser Steuervorteil nun für alle gelten?

Es ist aus meiner Sicht überfällig, den Splittingtarif im Einkommensteuerrecht abzuschaffen und dafür das Kindergeld deutlich zu erhöhen. Im Zuge dessen sollte auch der Kinderfreibetrag abgeschafft werden, denn über ihn profitieren nur die sehr gut Verdienenden, die sich die Kinder auch so leisten können. Das Kindergeld bekämen sie dann ja auch.

Richard Berndt, München

Besonderer Schutz, na klar

Welche Klarstellung sollte Artikel 6 des Grundgesetzes nötig haben? Er besteht aus fünf Absätzen, die den Eltern zutrauen und zumuten, für ihre Kinder zu sorgen. Weder Ehe noch Familie noch die Eltern sind dort irgendwie definiert. Absatz 4 mag anachronistisch klingen, aber es lässt sich ja nun einmal nicht wegdiskutieren, dass Schwangerschaft und Entbindung häufig eine gewisse Schutzbedürftigkeit mit sich bringen. Das hat allerdings nur mit Biologie zu tun, nicht mit Ehe und Familie.

Gisela Steudter, Soltau

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Quelle:
SZ vom 06.07.2017
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