Süddeutsche Zeitung

Digitalpakt:Ohne gute Lehrer ist alles nichts

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Im Moment liegt der Digitalpakt zwar auf Eis, doch wenn die Gelder freigegeben sind, wird schon die Hardware beschafft. Und dann? Leserinnen und Leser sehen die Digitalisierungs­bestrebungen in der Schule eher kritisch.

" Nachdenken first" vom 26. November und " Digitalpakt - Zum Verzweifeln" vom 30. November:

Schlag nach bei John Hattie

Es mag bedauerlich sein, dass sich die Ausstattung der Schulen mit Tablets und Smartboards verzögert, weil das Geld, das für den Digitalpakt zur Verfügung stünde, weiterhin auf Eis liegt. Dass sich dadurch die politisch verantwortlichen Akteure an den Schülerinnen und Schülern versündigen, wie Nico Fried in "Zum Verzweifeln" meint, halte ich allerdings für übertrieben. Was hilft den Kindern vorrangig beim Lernen? Die ziemlich eindeutige Antwort der vergleichenden pädagogischen Forschung darauf lautet: gute Lehrerinnen und Lehrer. Gut sind jene, welche die Freude der Kinder für ein Fach wecken können. Und jene, die ein Talent in den Kindern sehen, von dem die Schüler nicht einmal selber wussten, dass sie es haben. So der Neuseeländer John Hattie, der Studien über Millionen Lehrer und Schüler rund um den Globus analysiert hat, um eines herauszufinden: Was ist guter Unterricht?

Auf gute Lehrkräfte also kommt es an, die technischen Hilfsmittel, die jenen dabei zur Verfügung stehen, sind nicht der springende Punkt.

Fried beklagt, wegen des sich verzögernden Digitalpakts müssten Lehrer an deutschen Schulen, statt sich eines Smartboards bedienen zu können, weiter mit Kreide an die Tafel schreiben. Ein Stück Kreide in der Hand des Lehrers oder Schülers - erinnert es nicht ein wenig an den Bleistift, über den Albert Einstein einst philosophierte, das Schreibgerät sei klüger als er? Klar, und ein Computer ist nichts anderes als ein besserer Bleistift, aber wenn wir ihn nutzen und zu Resultaten kommen, die wir nicht vorhergesehen hatten, liegt es eben nicht in erster Linie am Stift.

Dr. Reinhart Schneider, Heidelberg

Verstanden hat man noch nichts

Wolfgang Schimpf setzt sich in seinem Artikel "Nachdenken first" mit der unkritisch bejubelten Digitalisierung an Schulen kenntnisreich und überlegt auseinander. Ich möchte ihn voll und ganz unterstützen. Denn: Was bedeutet überhaupt Digitalisierung in der Schule? Wozu schüttet man fünf Milliarden Euro aus? Es ist nicht damit getan, die Hardware in die Schulen zu bringen. Das ist erst einmal ein Geschäft. Es ist ja auch nicht so, dass in den Klassenräumen noch keine Computer oder elektronischen Tafeln stehen würden. Zu bedenken ist allerdings, zumindest genügend Personal und Geld für die Wartung der Geräte einzuplanen. Und vor allem fehlen die Konzepte!

Es gibt durchaus brauchbare Software, um beispielsweise das Lösen von Gleichungen oder Grammatik zu üben. Damit hat man den Stoff aber noch nicht verstanden und kann ihn deshalb auch nicht anwenden. Auch das Recherchieren von Geschichtsdaten kann ja hilfreich sein, ersetzt aber nicht das Gespräch über die historischen Zusammenhänge. Der Lehrer sollte also kein "Moderator" sein, wie vielfach zu hören ist, sondern muss mit seinem gesammelten Fachwissen den Unterricht gestalten. Oder soll er doch nur mal - als "Lernbegleiter" - den Kaffee vorbeibringen? Der Ansatz "Wir recherchieren mal über die Lebensgewohnheiten der Eichhörnchen und machen dazu eine Powerpoint-Präsentation" ist ganz nett, aber dazu braucht man keinen Digitalpakt. Der Lehrer hat im Übrigen auch die pädagogische Aufgabe, auf die Bildschirme und Smartphones der SchülerInnen zu schauen. Wie schnell sie sich durch andere Anwendungen während des Unterrichts ablenken lassen, zeigt die Erfahrung. Man muss sich nur umdrehen.

Oder sollen die SchülerInnen angeleitet werden, vorhandene Anwendungen (Office-Paket oder Suchmaschinen) perfekt zu bedienen? Das ist nicht Aufgabe der Schule. Um die Schüler "fit für die Zukunft" zu machen, ist die verbindliche Einführung des Faches Informatik an allen Schulen unverzichtbar, und zwar mit ausgebildeten InformatiklehrerInnen. Nur so können die SchülerInnen verstehen, wie Computersysteme und Programme (auch Expertensysteme, lernende Systeme, "Algorithmen" der künstlichen Intelligenz) im Prinzip funktionieren, und erfahren die Grenzen der Anwendbarkeit.

Dem Plädoyer von Wolfgang Schimpf für eine Diskussion der moralischen Aspekte und die Bedeutung der Freiheit im Hinblick auf die Totalüberwachung kann ich mich nur anschließen. Man sollte die Schule nicht als unkritischer Whatsapp-Benutzer verlassen, sondern als aufgeklärter mündiger Bürger, der die Anwendung auch im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang beurteilen kann und sich eine eigene Meinung bildet.

Eva Flick, Hamburg

Das Englischbuch, das abfragt

Wo liegt der Nutzen einer durchdigitalisierten Bildung? Sobald digitale Englischbücher Grammatik und Vokabeln abfragen, wird diese Frage nie wieder gestellt werden. Digitale Mathematikbücher werden die Hausaufgaben kontrollieren und die Formeln erklären. Lehrer und Schüler haben mehr Zeit für kreative Projekte, da notwendiges Faktenwissen viel effizienter unterrichtet werden kann. Alle Datenschutzprobleme lassen sich lösen. Wir müssten nur auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, dann hätten wir genug Geld, um in eigene und sehr gute Lernsoftware zu investieren. Wir könnten Google alt aussehen lassen. Im Moment kann man leider zusehen, wie diese Chance verpasst wird. Schade für die Kinder.

Robert Plötz, München

Menschliche Intelligenz fördern

Vielen Dank an Wolfgang Schimpf für seine besonnene Darstellung des Sachverhalts in seinem Beitrag "Nachdenken first". Endlich ergreift jemand aus der Praxis der Schule und Erziehung (Wolfgang Schimpf ist Vorsitzender der niedersächsischen Direktorenkonferenz) dezidiert das Wort. Ich sehe - ebenfalls aus der schulischen Praxis -, dass Facebook, Google & Co. immer mehr Einzug in unser Bildungswesen halten. Woher kommt es denn, dass die Politik nun so plötzlich ein paar Milliarden Euro über die Schulen ergießt, aber bitte gebunden an die Vorgabe, das Geld nicht für mehr Sozialarbeit, kleinere Klassen oder individuellere Betreuung von Mensch zu Mensch, sondern in erster Linie für die technische Ausstattung zu verwenden?

Die Antwort liegt auf der Hand: Genannte Digitalkonzerne haben sich bereits in den Köpfen unserer politischen Entscheidungsträger eingenistet und bestimmen so mit, ohne dass uns das so unmittelbar bewusst zu sein scheint. Die politisch gewollte Verankerung im Schulwesen ist nun eine der letzten Bastionen, die es für die Digitalkonzerne noch zu nehmen gilt, und käme für diese einem Ritterschlag gleich.

Es wird höchste Zeit, dass die Schulen dem etwas entgegensetzen und klar formulieren, worauf es beim Lernen und in der Erziehung zuvorderst ankommt. Denn zum einen rücken auch dort junge Menschen als Lehrer nach, die kaum eine Welt ohne Digitalisierung kennengelernt haben. Zum anderen geraten offenbar die Werte dieser "alten analogen Welt" zunehmend in Vergessenheit oder werden schlichtweg verdrängt.

Bevor Schule als Hort der künstlichen Intelligenz ausgebaut wird, sollten wir dort weiterhin intensiv an der menschlichen Intelligenz arbeiten. An erster Stelle steht unsere Verpflichtung gegenüber dem Menschen und nicht der Technik. Nur wenn sich Schule dieser Prämisse bewusst ist und ein Ort kritischer Reflexion bleibt, werden wir in Zukunft die Technik beherrschen und nicht umgekehrt.

Stefan Wülfert, Freiburg

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Quelle:
SZ vom 05.12.2018
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