Digitalpakt:Lehrer statt W-Lan

Missstände über Missstände sehen die Leserinnen und Leser im deutschen Bildungssystem. Und die wenigsten sehen in der Digitalisierung der Klassenzimmer eine Lösung.

Digitalpakt: Illustration: Karin Nihm

Illustration: Karin Nihm

"Laptops und interaktive Tafeln" und "Mangelhaft" vom 24./25. November sowie "Zum Verzweifeln" und "Tafel statt Tablet" vom 26. November und weitere Artikel zum Thema:

Ein Jammertal

Der Leistungsdruck an den Schulen wird immer unerträglicher, die Kinder leiden und lernen doch immer weniger. Das Problem ist die ökonomistische Okkupation des Bildungsbegriffs und damit auch die Reduktion von Bildung auf Ausbildung im Dienst maximaler Kapitalverwertung. Diesen Gedanken muss man erst einmal verstehen und verdauen. Wenn Schule nichts anderes mehr ist als ein Vormaststall für Hamsterrad und Karriereneurose, dann hat sie ihren Namen schlichtweg nicht verdient. In der real existierenden Schule werden die Kinder missbraucht, sie werden buchstäblich vergewaltigt, ihre Persönlichkeit wird zerstört, gerade auch mit Unterstützung der Eltern. Als Hauptschullehrer und Schulpsychologe habe ich das oft genug beobachten können. Die Kinder werden instrumentalisiert im ökonomistisch motivierten Kapitalverwertungsgetriebe, oft auch um mangelndes Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitsgefühle der Eltern zu kompensieren. Der Staat, der eigentlich für die Rechte der Bürger und damit auch der Kinder da ist, unterstützt das. "Schule" und "Bildung" setzen Philosophie und Anthropologie voraus, aber solange selbst sogenannte Bildungsforscher und Bildungspolitiker kein angemessenes Menschenbild haben, wird auch die sogenannte Schule das bleiben, was sie ist: ein Jammertal.

Friedhelm Buchenhorst, Grafing

Ganz andere Probleme

Mit einigem Befremden verfolge ich nun schon seit ein paar Wochen die Diskussion über den Digitalpakt: Alle warteten auf schnelleres Wlan an den Schulen. Als Mutter zweier schulpflichtiger Jungen, zehn und 13 Jahre alt, kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass ich keinesfalls auf schnelleres Wlan an unserem Gymnasium warte. Und ich kenne auch keine anderen Eltern, die das tun. Bei zwei Söhnen, die, wenn es nach ihnen ginge, jede Minute Freizeit vor flimmernden Bildschirmen von Smartphones, iPads und Spielkonsolen verbrächten, bin ich sehr froh, dass es wenigstens in der Schule noch größtenteils analog zugeht.

Was an den Schulen, jedenfalls an denen in Nordrhein-Westfalen, fehlt, ist kein Wlan, sondern das sind Lehrkräfte. Mehr oder weniger jeder, der mit Schule zu tun hat, kann hier mindestens eine Geschichte erzählen, in der bei Schülern über Wochen, teilweise sogar Monate, Fächer des Lehrplans nicht von einem Fachlehrer unterrichtet wurden. Eine Oberstufenschülerin einer nordrhein-westfälischen Gesamtschule sagte letztens in einem Radiointerview, die angehenden Abiturienten hätten von der Schulleitung eine Stoffübersicht für das Zentralabitur erhalten, um sich diesen in Lerngruppen selbst erarbeiten zu können, da leider nicht genügend Lehrkräfte da seien, um den Stoff vollständig zu unterrichten.

Deutsche Schulpolitiker sollten wissen, dass sie wirklich andere Probleme haben als fehlendes schnelles Wlan. Es sei denn, man benötigt dies, um die Schüler - mangels Beschulungsmöglichkeit durch kompetente Lehrkräfte - vor den Computern zu parken.

Dr. Barbara Schwerin, Wuppertal

Kritik wird nicht gehört

Als ich mich in den 70er-Jahren nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann dafür entschied, Volksschullehrer zu werden, war ich der Meinung (und dies war unter anderem ein Motiv für die Berufswahl), dass Bildung der einzige zuverlässige Rohstoff in unserem Land war, an dem man nicht würde sparen können. Weit gefehlt! Falsch liegt übrigens auch Professor Trautwein, der der irrigen Meinung ist, dass in Bayern das "Schreiben nach Gehör" nicht eingeführt wurde. Mit Entsetzen hörte ich Anfang 2000 zu, als mir eine Grundschulkollegin erklärte, wie in der ersten Klasse nach der neuen Methode verpflichtend (!) Schreiben und Lesen beigebracht wurde. Ein paar Jahre später erklärten mir Eltern von Kindern an der Haupt- und Mittelschule, dass ihre älteren Kinder problemlos Rechtschreiben und Lesen gelernt hätten. Nur das dritte Kind hatte bis zum damaligen Zeitpunkt Schwierigkeiten. Für uns als Lehrer war dies allerdings keine Überraschung, da viele mit dem Problem zu kämpfen hatten. Wann immer Neues von politischen Institutionen eingeführt wird, kommen natürlich in den entsprechenden Gremien auch Praktiker und Fachleute zu Wort. Wer aber Kritik äußert, wird nicht mehr aufgerufen beziehungsweise eingeladen.

Burkhard Colditz, Sindelsdorf

Selbstdisziplin gefragt

Ich bin kein Gegner der Digitalisierung in den Schulen und davon überzeugt, dass multifunktionale Tablets und interaktive Tafeln in naher Zukunft selbstverständliche Lernbegleiter der Schüler und Lehrer sein werden. Wir leben längst im digitalen Alltag, und auch ich nutze die Möglichkeiten der digitalen Medien jeden Tag vielfältig. Allerdings bin ich der Meinung, dass "digitales Lernen" nicht zwangsläufig der Schlüssel zum Nürnberger Trichter ist, obwohl Bildungspolitiker und Medien diesen Eindruck erwecken und wir zur Zeit einen digitalen Bildungshype erleben.

Auch im digitalen Zeitalter gilt der Spruch: Ohne Fleiß kein Preis. Den Prozess des aktiven und gezielten Lernens muss jeder Schüler, jedes Individuum selbst leisten. Schulisches Lernen erfordert nun mal Selbstdisziplin, Fleiß, Engagement, Organisation, Motivation und Kreativität. Sehr hilfreich ist ein positiv besetztes schulisches und privates Lernumfeld und die Erfahrung, dass Lernen auch Freude bereiten kann. Der innere Schweinehund muss täglich an die Leine genommen werden. Vor den Erfolg hat der "liebe Gott" nun mal den Schweiß gesetzt, und daran ändern auch das Lernen mit digitalen Medien und noch so teure Ausstattungen der Schulen nichts. Dieser Aspekt wird in der bildungspolitischen Diskussion viel zu wenig berücksichtigt.

Und welche Rolle hat im Prozess des digitalen Lernens der Lehrer, der an vielen Schulen zum Lerncoach und Lernbegleiter degradiert wurde? Schule hat laut Grundgesetz und Schulgesetz einen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Dafür sind die Lehrer zuständig. Eine Erziehung zu emanzipierten, mündigen und demokratischen Bürgern mit Zivilcourage geht mit "digital" nur sehr begrenzt. Man braucht nicht nur Tablets, entscheidend sind vielmehr leibhaftige und authentische Vorbilder - eben Lehrerinnen und Lehrer. Hermann Rapp, Rektor i. R., Pforzheim

Stolz auf was?

Wenn die Verantwortlichen in den Bundesländern so stolz auf ihren Schulförderalismus sind, dass sie lieber kein Geld vom Bund für eine ziemlich mickrige Verbesserung wollen, dann stellen sich ein paar Fragen: Sind sie auch stolz auf den miserablen Zustand vieler Schulgebäude? Sind sie auch stolz darauf, dass es viel zu wenige Lehrer und sehr wenige Schulsozialarbeiter gibt? Sind sie stolz, dass Kinder aus den sogenannten sozial schwachen Familien und Kinder von Migranten nur sehr schlechte Chancen haben, in dieser Gesellschaft voranzukommen? Und bilden sie sich am Ende auch noch etwas darauf ein, dass Deutschland in Sachen moderne Schulbildung im internationalen Vergleich ziemlich weit hinten steht?

Schließlich haben sie das alles - ganz föderal-starrsinnig - allein zu verantworten. Mich jedenfalls haben sechs Jahre als ehrenamtliche Lesepatin an einer Grundschule in einem recht bürgerlichen Viertel von Berlin ziemlich wütend auf unseren Bildungsföderalismus gemacht.

Ute Heidbrink, Berlin

Ausbildung mehr wertschätzen

Der Lehrermangel an Berufsschulen ist besonders gravierend. Wenn die Politik betont, die berufliche Bildung sei so viel wert wie die akademische, ist dies Schönfärberei. So nutzt beispielsweise die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek jede Gelegenheit, die angebliche Gleichwertigkeit hervorzuheben. Es ist offenkundig, dass die Berufsausbildung ein Imageproblem hat und die Berufsschulen nicht die politische Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Studien belegen, dass dies auch den Lehrermangel verschärft.

Das Bildungsideal des vor gut 250 Jahren geborenen preußischen Diplomaten, Bildungspolitikers und Sprachphilosophen Wilhelm von Humboldt ist klassisch geworden. Danach soll Bildung "zweckfrei" sein. Sein eigenes "humanistisches" Ideal grenzt er von einer primär auf Nützlichkeit, Stand und Beruf konzentrierten Perspektive ab. Obwohl berufliche Bildung für das Leben und die Bewältigung des Alltags von entscheidender Bedeutung ist, kommt ihr immer noch verminderte Anerkennung zu. Humboldts "Zweckfreiheit" war häufig der Vorwand, sich um Praxisnähe nicht zu kümmern. Bei aller "Ehrfurcht" vor dem hoch gepriesenen Wilhelm von Humboldt wäre es an der Zeit, von dessen "zweckfreier" Bildung den nötigen Abstand zu gewinnen. Dies wäre im Sinn der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung wirklich sehr nützlich und zweckmäßig.

Klaus Emig, Wiesenbach

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