Süddeutsche Zeitung

Digitale Gesundheitsakte:Vom Widerstand der Ärzte

Zu viele offene Fragen, zu viele Unsicherheiten: Die Leserinnen und Leser sind sich einig, dass die elektronische Speicherung aller Gesundheitsdaten eines Patienten mehr Nachteile als Vorteile bringt.

Zu "Das gläserne Behandlungszimmer", Außenansicht vom 26. Februar:

Blindes Vertrauen

Beeindruckt habe ich den Beitrag von Dr. Meissner zum Thema Telematik-Infrastruktur und elektronische Patientenakte gelesen: Große Sorge bleibt. Als Ärztin bin ich von derselben Problematik betroffen und erlebe unruhige Tage und Nächte mit enormem Studienaufwand, das geplante System und seine Risiken zu durchschauen. Auf der einen Seite stehen da Kosten von irgendwann 14 Milliarden Euro für die Einrichtung dieses gigantischen Unternehmens, die aus Versichertenbeiträgen bezahlt werden müssen. Wie soll sich das eigentlich je amortisieren? Bereits jetzt, noch ehe die Erstausstattung für mehr als 100 000 deutsche Praxen überhaupt angeschafft und installiert ist, wird schon klargemacht, dass in fünf Jahren Neugeräte nötig sein werden. Was ist das für eine Planung? Eine weitere Kernfrage besteht in der Datenunsicherheit. Hochsensible Gesundheitsdaten von Erwachsenen und Kindern sollen in einer Cloud gespeichert werden. Wie wir wissen, sind Daten, die einmal im Netz sind, praktisch nicht mehr zurückzuholen. Was falsch ist, bleibt falsch, und was zu viel ist, bleibt zu viel. Werden sie gehackt, ist der Nutzen groß für Datensammler, die dann mit präzisen Persönlichkeitsprofilen "maßgeschneiderte" Angebote aller Art machen können, nur eben zum eigenen und nicht zum Vorteil des beraubten Menschen. Überwachungskapitalismus nennt man das.

Ich stehe fassungslos vor einer Entwicklung in diesem Land, in der man blind an die Allheilwirkung einer totalen Digitalisierung zu glauben scheint und zunehmend hochempfindliche Infrastrukturen allein digitalen Technologien anvertraut. Während ein einigermaßen seriöser Anlageberater seinem Kunden zur Risikostreuung rät, wird hier eine staatlich geförderte Risikokonzentration in nahezu allen Lebensbereichen betrieben, die einem den Atem verschlägt. Bisher sind die technischen Voraussetzungen für die elektronische Patientenakte unausgereift und störungsanfällig, es gibt keine Formate, mittels derer die Datenfluten für Arzt und Patient schnell und einheitlich nutzbar wären. Relevante Risikoabschätzungen zum Datenschutz werden nicht durchgeführt. Ärzte, die die Gefahren erkennen, IT-Experten ernst nehmen und sich nicht anschließen lassen wollen, werden mit Honorarabzügen eingeschüchtert. Während fortgesetzt als sicher beschworen wird, was offensichtlich nicht sicher ist, hat keine öffentliche Debatte zur Datenethik für alle Akteure stattgefunden, in der Bürger und Versicherte klar, fair und verständlich aufgeklärt würden über das hochkomplexe System mitsamt den Risiken, die es mit sich bringt.

Alexandra Obermeier, München

Firmen verdienen Milliarden

Über drei Milliarden Euro wurden bisher dafür ausgegeben, dass in den Praxen von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten beim Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ein Versichertenstammdatenmanagement erfolgen soll: Es werden dabei in der Praxis die von Krankenkassen auf der eGK gespeicherten Stammdaten (Name, Vorname, Versichertennummer, Geburtsdatum, Adresse) mit den bei der Krankenkasse gespeicherten Stammdaten online abgeglichen. Macht das Sinn? Ungültige Versichertenkarten werden so erkannt. Manchmal werden auch gültige nicht erkannt. Da fragt man sich, ob das nicht ein bisschen wenig Ergebnis für so viel Geld ist. Dafür kommt aber eine hochkomplexe Technik in versiegelten "Konnektoren" zum Einsatz, für die es bisher aber nicht einmal eine Datenschutzfolgeabschätzung gibt. Wer hat also etwas von dieser sehr teuren "Digitalisierung"? Der finanzielle Vorteil bei Unternehmen, die über die Verfügbarkeit von Daten auf zentralen Servern ihre Märkte besser erschließen wollen oder die durch die Bereitstellung von Hard- und Software im Milliarden-Eurobereich profitieren, ist offenkundig. So hat die CompuGroup Medical SE (CGM), einer der nach eigenen Angaben weltweit führenden Anbieter von E-Health-Lösungen, im Februar einen Konzerngewinn von 182 Millionen Euro verkündet - das entspricht einem Wachstum von 23 Prozent - und kann so auf ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2018 zurückblicken, wozu nach eigenen Angaben "insbesondere der bundesweite Rollout der Telematikinfrastruktur (TI) in Deutschland beigetragen hat". Jemand hat also profitiert, der Patient war es nicht. Der Heilberufler auch nicht: Viele angeschlossene Kolleginnen und Kollegen berichten von allerlei technischen Problemen, die durch den TI-Anschluss an ihren Computersystemen entstehen und sie und das Praxispersonal viel Zeit und Nerven kosten.

Also, warum sollten sich Heilberufler überhaupt an einem Prozess beteiligen, bei dem IT-Firmen massive Gewinne einfahren, der aber nicht erkennbar zur verbesserten Patientenversorgung beiträgt, möglicherweise die Sicherheit von Gesundheitsdaten gefährdet und bei dem der Heilberufler letztendlich die alleinige Haftung trägt? Und warum will sie die Politik um jeden Preis und mit Strafzahlungen dazu zwingen? Auch wir als Landzahnärzte werden uns dem Anschluss an die Telematikinfrastruktur verweigern. Zu viel ist ungeklärt, zu wenig ist ein tatsächlicher Nutzen belegt. Daher sollte der Zwang zum Anschluss endlich aufgehoben werden.

Dr. Thomas Weber, Krumbach

Diktatorische Züge

Der gesetzliche Zwang zur Digitalisierung im Gesundheitswesen und auch im Allgemeinen nimmt zunehmend diktatorische Züge an, die Toleranz gegenüber Menschen vermissen lassen, die der Digitalisierung kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Da ist Gegenwehr notwendig!

Helmut Opitz, Dobel

Patient wird nicht gefragt

Gut, dass einmal darauf hingewiesen wird: Mit der neuen Patientenkarte ist jeder Versicherte zwangsverpflichtet, seine Gesundheitsdaten ins Netz zu stellen. Wo sie gehackt werden können, von wem auch immer, oder verscherbelt werden können von einer profitorientierten IT-Branche. Dem deutschen Datenschutz ist es wohl gleichgültig, der Patient muss weder einwilligen, noch darf er widersprechen. Der Nutzen des Projekts für Patienten und Therapeuten ist minimal - der Profit für die IT-Branche gigantisch. Bei erbärmlicher Gegenleistung: Nach einer Umfrage des deutschen Facharztverbands sind mehr als 70 Prozent der Nutzer unzufrieden mit den gelieferten Komponenten. In unserer Praxis ist das System seit September 2018 installiert, mit katastrophalen Auswirkungen auf den Praxisablauf: Versichertenkarten konnten nicht mehr gelesen werden, die Diagnosekodierung versagte, im Dauerkontakt mit der Hotline des IT-Anbieters musste versucht werden, einen halbwegs geregelten Praxisablauf aufrechtzuerhalten. Nach vier Monaten kontinuierlichen Desasters kann das System endlich Stammdaten einlesen. Was es sonst noch kann, wissen wir nicht, für komplexere Leistungen ist das System noch nicht freigeschalten.

Dr. Gerhard Waitz, Eichstätt

Risiken für den Datenschutz

Eine zentrale Datenspeicherung bedeutet ein enormes Sicherheitsrisiko für die Patientendaten, die doch besonders schützenswert sind. Daten, die erst einmal ungewollt ins Netz gelangt sind, können nie wieder zurückgeholt werden. Der entstehende Schaden kann für betroffene Patienten lebenslange Folgen haben, etwa bezüglich Arbeitsplatz, Versicherungen, Reputation. Diese zentrale Datensammlung aller Gesundheitsdaten sämtlicher deutscher Kassenpatienten weckt Begehrlichkeiten, zum Beispiel bei Wissenschaftlern, Versicherungen oder Arbeitgebern. Interessanterweise wollen gerade diejenigen meiner Patienten, die im IT-Sektor tätig sind, ihre sensiblen Patientendaten nicht auf einem zentralen Server speichern lassen. Ich wünsche mir eine dezentrale Speicherung der wichtigsten Patientendaten wie Medikamentenplan oder Allergien auf der Chipkarte. Für den Bedarfsfall brauchen wir sichere elektronische Übertragungswege für die Übermittlung der im Akutfall benötigten Befunde.

Dr. Karen von Mücke, München

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Quelle:
SZ vom 07.03.2019
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