Süddeutsche Zeitung

Deutschkenntnisse:Sprachlos

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Was tun mit schulpflichtigen Migranten-Erstklässlern ohne ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache? SZ-Leserinnen und -Leser hätten da auch ein paar Vorschläge.

Zu "Aufreger" vom 9. August, "Manche Kinder kennen die deutschen Begriffe einfach nicht" und "Rhetorik der Ausgrenzung" vom 7. August, "Populistischer Unfug" vom 6. August:

Vorsätzliche Missverständnisse

Der Hintergrund der meiner Meinung nach berechtigten Anregungen von Carsten Linnemann sind die dramatischen Veränderungen des deutschen Schulalltags, die einen ordnungsgemäßen Ablauf in vielen Grundschulen nicht mehr möglich machen. Laut einer Pisa-Sonderauswertung weisen fast die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund "sehr schwache Leistungen" wegen vor allem geringer Sprachkompetenz in der Schule auf. 80 Prozent der Kinder aus der ersten Migrantengeneration sprechen in der Familie eine andere Sprache als Deutsch, bei in Deutschland geborenen Migranten der zweiten Generation liegt der Anteil bei 50 Prozent laut derselben Studie.

Gemäß einer Erhebung des Hamburger Senats sind an den 191 Hamburger Grundschulen Kinder mit Migrationshintergrund in der Mehrheit, es herrschen chaotische Zustände, weil das Lehrpersonal nicht verstanden wird. Auf diese Faktenlage reagieren Linke-Chefin Katja Kipping mit "Stimmenfang im rechten Sumpf" und die SPD-Bildungspolitikerin Marja-Liisa Völlers mit Aussagen wie "wirklich zum Fremdschämen". Dass die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) den Vorstoß Carsten Linnemanns mit einer ebenfalls abfälligen Bemerkung zurückwies, macht die Kritik nicht verständlicher. Der Skandal ist nicht die Forderung Linnemanns, sondern der Umgang damit und die unredlichen und vorsätzlichen Missverständnisse durch einzelne Politiker sowie einiger Medien, die damit auch noch Wahlkampfhilfe für rechtspopulistische Parteien leisten.

Jan-Patrick Jarosch, München

Welt- und kinderfremd

Mit sechs Jahren in Argentinien angekommen, bin ich dort in einer Dorfschule eingeschult worden. Mein spanischer Wortschatz beschränkte sich auf einen Satz: "buenas tardes, señora". Alle waren freundlich-interessiert und ließen mich spüren, dass ich dazugehöre. Nach ein paar Monaten - und schrecklichen Diktatfehlern - war ich am Jahresende fehlerfrei im Diktat, und sprachlich gab es auch keine Einschränkungen mehr. Immer wieder bin ich überrascht, wie welt- und kinderfremd oft argumentiert wird.

Evelin Höhne, Córdoba/Argentinien

Von Deutschen lernen

Die vier jungen Leute mögen nicht stellvertretend sein für ihre Generation, aber man lernt aus ihren Erinnerungen viel über den oft verständnislosen Umgang der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit zunächst Fremden. Einen Satz der gebürtigen Serbin Gigi sollten sich ihrerseits alle einprägen, die als Fremde kommen und Teil der deutschen Gesellschaft werden wollen: Man integriert sich und lernt dadurch, dass man Menschen kennenlernt, die aus Deutschland kommen und die Sprache sprechen. Wer diesen Satz nicht beherzigt, macht es sogar wohlmeinenden Politikern schwer.

Gisbert Horn, Korschenbroich

Denkverbot

Ob schulpflichtige Kinder ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse in die erste Klasse gehören, darüber ist eine hitzige Debatte entbrannt. Wobei die Tugendwächter der "political correctness" dahinter sogleich infame Ausländerfeindlichkeit wittern. Das lehrt einmal mehr, dass für viele die Erörterung bestimmter Tatsachen a priori tabu ist. Denkverbote also. Dabei ist die Überlegung nicht verkehrt, diesen Zugewanderten zunächst eine Sprachförderung zukommen zu lassen. So wurden noch vor nicht allzu ferner Zeit in kleineren Ortschaften unterschiedliche Alterskohorten in einer Klasse unterrichtet und das nicht zum Nachteil der Schüler. Das System war durchlässig, davon profitierten die Intelligenteren und haben manche Klasse übersprungen. Bei Grundschulklassen mit geringem Ausländeranteil kann dies ebenfalls funktionieren.

Christoph Schönberger, Aachen

Es braucht separate Klassen

Linnemanns Vorschläge sind sachlich richtig, keinesfalls populistisch oder gar ausländerfeindlich und der Zeitpunkt zum Schuljahresbeginn passt auch. Was soll ein Unterricht bewirken, wenn die Kinder nicht verstehen, wovon der Lehrer spricht? Internationale Schulen bringen den Kindern ohne ausreichende Englischkenntnisse diese in einer separaten Klasse bei. Je nach Lernerfolg kann die Teilnahme daran ein halbes oder ein ganzes Schuljahr dauern. Allerdings werden in diesen Klassen auch bereits in verständlicher Form Lerninhalte in einzelnen Fächern vermittelt. Übertragen auf deutsche Schulen, ist deshalb unwesentlich, ob dieses Verständnis für die deutsche Sprache in "Vorschulklassen" vermittelt wird, wie Linnemann vorschlägt, oder in "getrennten Vorbereitungsklassen", wie Christian Lindner (FDP) meint. Diesen Zusammenhang haben manche Integrationsbeauftragte anscheinend nicht kapiert, wenn sie einerseits richtig hervorheben, dass Mehrsprachigkeit ein wertvolles soziales Kapital ist, dann aber davon faseln, dass "die Kinder, von denen Linnemann spricht, nicht sprachlos sind, sie bringen ihre Herkunftssprache mit". Mehrsprachigkeit muss doch erst einmal geschaffen werden. Die Kinder müssen zumindest auch Deutsch können, um hier bei uns und unter uns mithalten zu können.

Dr. Josef Köpfer, München

Empathie als Grundkompetenz

Anstelle der überflüssigen Diskussion über Deutschkenntnisse von Kindern beim Schuleintritt schlage ich eine Debatte darüber vor, inwieweit empathielose Politiker überhaupt etwas in unserm Bundestag zu suchen haben. Wie billig, wie inhuman ist es, wenn Politiker sich auf dem Rücken ohnehin schon permanent verunglimpfter Bevölkerungsgruppen in die Schlagzeilen zu bringen versuchen. Danke an Jagoda Marinić für den Hinweis, dass man die Namen solcher gerne Großen sich weder einzuprägen, noch sie zu nennen braucht. Alles Mögliche kann man heute irgendwelchen Checks unterziehen. Was sich lohnen würde: einen Test zu entwickeln, an dem sich die Einfühlungsvermögen von Bundestagskandidaten erkennen ließe. Wer durchfällt, so schlage ich vor, hat in unserer Legislative zumindest so lange keinen Platz, bis er diese Grundkompetenz humanen Handelns erlernt hat.

Hans-Georg Folz, Engelstadt

Schubladendenken bringt nichts

Die aktuelle Diskussion um die Sprachkompetenz von Migrantenkindern erinnert mich sehr stark an einen Artikel, der kürzlich im Wirtschaftsteil der SZ stand: Es ging dabei um das meist unbewusste Denken in Schubladen. Genauso läuft es meines Erachtens gerade wieder einmal ab. Das "Reizwort" Migration löst bei den "konservativen" Gruppen den uns allen bekannten Reflex aus. Bei den eher liberalen Wortmeldern aber kommt genauso wie aus der Pistole geschossener Protest und die Leugnung vieler Probleme. Auch in der SZ werden fast nur Beiträge gebracht über Menschen, bei denen die Integration geklappt hat. Ist es aber nicht so, dass die Wahrheit meist in der Mitte liegt? So stand doch auch vor Beginn dieser Diskussion in der SZ, dass der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zugenommen habe, auch, weil viele Migranten noch sprachliche Probleme haben. Einen funktionierenden Konsens kann man bei Meinungsverschiedenheiten nur dann finden, wenn beide Seiten die Bereitschaft mitbringen, auch einmal eine andere Schublade einen Spalt breit aufzumachen.

Cornelia Priller, München

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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