Süddeutsche Zeitung

Deutsche Sprache:Zwischen Hegelei und Jugendslang

Von überheblichen Eliten und erfrischendem "Dazuerfinden", von selbsternannter Sprachpolizei, Ausgrenzung und Macht - die vielseitige deutsche Sprache inspiriert Leser und Leserinnen zu vielfältigen Meinungsäußerungen.

Zu "Vom Untergang des Meuchelpuffers" und "Im Fremdwörter-Trommelfeuer", beide vom 7./8. September:

Rolle der Sprachpolizei

Was für ein Glück, dass wir in Deutschland keine Akademie der Sprache haben, die verbindlich für Schulen, Behörden und anderes öffentliche Leben Vorschriften macht. In Spanien (Real Academia) und Frankreich (Académie française) haben sie solche aus feudalistischen Zeiten herübergerettet. Die, nebenbei, nicht nur verschiedene Sprachen im jeweiligen Mutterland ignorieren, sondern auch die Landessprachen ihrer ehemaligen Kolonien normativ dominieren. So was haben wir zwar nicht, aber selbsternannte Sprachpolizisten zuhauf.

Es gibt sie auch als Gruppe, landesgemäß im Verein. Vor allem der Verein "Deutsche Sprache" hat sich zum Ziel gesetzt, Reinheitsgebote auch für Gesprochenes und Geschriebenes zu formulieren. Er gibt regelmäßig Verdeutschungsbücher heraus, die das bewerkstelligen sollen. Aber der Artikel "Vom Untergang des Meuchelpuffers" macht sehr deutlich, dass neue Wörter aus anderen Sprachen sich entweder im Gebrauch durchsetzen - oder eben nicht. Und die deutsche Sprache besteht zu einem großen Teil aus Wörtern, die zum Beispiel ursprünglich romanisch (vor allem Französisch und Lateinisch) waren und so deutsch sind wie nur was. Man beachte alle Wörter, die etwa auf -ieren oder -ion enden - oder mit in- beginnen. Die dem Französischen entlehnten Mama und Papa haben hierzulande Mutti und Vati weitgehend abgelöst.

Die nationalistischen Interessen der Sprachpuristen lassen sich nicht leugnen, zumindest nicht in ihrem historischen Zusammenhang. Dabei hat das nationalsozialistische Deutschland die Deutschtümelei aufgegeben und sogar verboten (Erlass von Hitler 1940). Nach dem Überfall auf die Sowjetunion setzte es auf europäisch, also statt "Großdeutsches Reich" auf "Verteidigung des Abendlandes". Man beachte heute wieder aufkommende agitatorische Richtungen. Michael Filzen-Salinas, Weinstadt

Spaß oder Ernst?

Echt jetzt?! Ihr Artikel ist ja mal ganz gechillt, aber Sie hätten noch mehr auf die Sprache der Jugendlichen eingehen können! Schließlich sind wir die, die neue Wörter und Abkürzungen dazuerfinden. Wir sind die Zukunft, und wenn Sie jetzt nicht mal slowly anfangen, unsere Sprache zu checken, könnte es sein, dass wir in zehn Jahren Chinesisch für Sie reden. Wahrscheinlich haben Sie jetzt schon kP, was wir da reden und was gemeint ist ('keinen Plan'; d. Red. - doch, haben wir, auch Redaktionsmitglieder haben Kinder). Wie wäre es mal, einen ganzen Artikel in Jugendsprache zu schreiben? Also HDGDL. Ach und übrigens heißt das nicht ,hab dich ganz doll lieb', sondern ,hab dich gedisst, du Lappen' (jugendliche Finte? - wir nehmen die "lieb"-Variante; d. Red.).

Greta Bäck, 12 Jahre, Aachen

Sprache als Machtmittel

Sprache ist grundsätzlich als Mittel zur zwischenmenschlichen Verständigung zu sehen. Voraussetzung dafür ist, dass Sprache verstanden wird, damit Gefühle, Stimmungen oder Sachverhalte transportiert werden können. Menschen jedoch verkomplizieren ihre Ausdrucksweise aus den verschiedensten Gründen. Der Wille zu Ab- und Ausgrenzung kommen hier ebenso ins Spiel wie Wichtigtuerei und Abgehobenheit.

Sprache wird dann als Macht benutzt mit dem Ergebnis, dass sie nicht mehr von allen verstanden werden kann. Sprache sollte einfach und klar sein und als einende Basis dienen. Doch die Deutschen lassen es zu, dass ihre Sprache zunehmend amerikanisiert wird, ein Phänomen, das bei keiner anderen Sprache in Europa so ausgeprägt ist wie im Deutschen. Mir wurde in der Schule beigebracht, Fremdwörter und Anglizismen nur dann zu benutzen, wenn es dafür keinen einfachen, gleichbedeutenden und gebräuchlichen deutschen Begriff gibt, was Absonderlichkeiten wie "Meuchelpuffer" ausschließt. Was spricht also dagegen, dass man statt zu "chillen" einfach "ausspannt" oder "sich erholt" und dass man statt von einer "Challenge" eben von einer "Herausforderung" spricht, auch wenn sich das vielleicht nicht ganz so abgefahren anhört.

Dann könnte "Retail Experience" auch wieder zur allseits verständlichen "Erfahrung im Einzelhandel" werden.

Josef Geier, Eging am See

Hochtrabendes für Lehrer

Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung (Lehrer) habe ich folgenden Vortrag eines Hochschuldozenten über mich ergehen lassen müssen: "Kommentierte Transkription einer kontinuierlichen Sequenz der spontanen Sprechsprache einer 5-jährigen; Beitrag zur Aufstellung eines ideolektalen Sprechsprachenkorpus". Eike Thiele, Arnsberg

Prominentes Vorbild

Die von Sebastian Herrmann im "Fremdwörter-Trommelfeuer" beschriebene Unsitte, die eigenen, teilweise recht dünnen Gedanken durch ein Höchstmaß an Geschwurbel "aufzupimpen", hatte bereits Schopenhauer sehr griffig als "Hegelei" bezeichnet: "Die Deutschen sind gewohnt, Worte statt der Begriffe hinzunehmen: Dazu werden sie, von Jugend auf, durch uns dressiert, — sieh nur die Hegelei, was ist sie anderes, als leerer, hohler, dazu ekelhafter Wortkram? Und doch, wie glänzend war die Karriere dieser philosophischen Ministerkreatur! Dazu bedurfte es nichts weiter, als einiger feilen Gesellen, den Ruhm des Schlechten zu intonieren (sic!), und ihre Stimme fand an der leeren Höhlung von tausend Dummköpfen ein noch jetzt nachhallendes und sich fortpflanzendes Echo: sieh, so war bald aus einem gemeinen Kopf, ja einem gemeinen Scharlatan, ein großer Philosoph gemacht" (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, § 20). Immerhin können die modernen Epigonen des "Dr. Fox" sich also auf ein höchst prominentes Vorbild berufen. Mario Baier, München

Überheblichkeit einer Elite

Sebastian Herrmann schreibt richtig, dass komplizierte Begriffe und Formulierungen oft Eindruck schinden sollen. Es ist aber noch schlimmer: Die Fremdwörterei ist Ausdruck der Überheblichkeit einer "Elite" über das "gemeine Volk", auf das diese "Elite" herablassend lächelnd herabschaut, weil es nicht oder nur ungefähr mit dem Gesagten oder Geschriebenen mitkommt. Und es ist Ausdruck von Faulheit, einen treffenden Begriff zu suchen. Lieber ein Fremdwort, klingt eindrucksvoll, und ist schwammig genug, immer ungefähr zu passen.

Neben der Performance und der Genderei hat es das (oder der?) Narrativ geschafft, seinen Weg vom geisteswissenschaftlichen Oberseminar in den Sprachgebrauch der geisteswissenschaftlichen (nur dieser) "Elite" zurückzulegen. Sie spricht halt gern Denglisch. Übrigens gab es auch mal einen Bindestrich und einen Schrägstrich. Sie sind fast ausgestorben, heutzutage wird "geminust" und "geslasht". Rüdiger Berger, Neubiberg

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Quelle:
SZ vom 24.09.2019
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