„‚Ich schäme mich jeden Tag für dieses Unternehmen‘“ vom 5. August, „Fahrplan-Chaos bei der Bahn“ vom 19. August, „Kein Personal, keine Züge“ vom 29. August:
Der Preis für die schwarze Null
Die alltägliche Daseinsvorsorge wie Unterhalt von Straßen, Schulen, Brücken oder öffentlichen Verkehrsmitteln ist für Politiker nicht besonders sexy. Was wir hier mit der Deutschen Bahn erleben, geht weit darüber hinaus. Ein wichtiger Teil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur wurde 30 Jahre lang systematisch kaputtgespart. Begonnen mit der Privatisierung unter Helmut Kohl, einmütig fortgeführt von allen Regierungen seitdem, oft mit dem Totschlagargument, dass die Bahn „erst mal ihre Hausaufgaben machen müsse“, bevor man sie mehr unterstützen könne. Experten und Institutionen wie der Fahrgastverband Pro Bahn haben das längst erkannt, erste Anzeichen des Verfalls der Bahn zeigten sich schon vor 15 oder 20 Jahren.
Das ist ein Kollektivversagen der Politik aller Regierungen. Eine zentral verantwortliche Person ist Wolfgang Schäuble. Gerade weil er ein so fähiger und erfahrener Politiker war, hat er zweifellos gewusst, was hier geschah. Er hätte das Format gehabt, dies zu ändern, hat aber die längst überfällige Sanierung der Bahn, die vorübergehend mit Null-Zins-Krediten zu haben gewesen wäre, seinem Ziel der „schwarzen Null“, des ausgeglichenen Haushalts, geopfert. Was für eine Milchmädchenrechnung! Es bleibt für mich ein Rätsel, wie die Politiker auch heute weiterhin gut schlafen, reden und agieren können, ohne dieses auch klimatechnisch wichtige Thema endlich angemessen anzugehen, rhetorisch wie praktisch.
Prof. Ludwig Paul, Hamburg
Ramsauer, Dobrindt, Scheuer
In dem Artikel habe ich die Namen von drei Verantwortlichen vermisst: Ramsauer, Dobrindt und Scheuer – allesamt von der CSU gestellte Verkehrsminister. Das DB-Desaster ist ja nicht von einem wolkenlosen blauen Himmel heruntergefallen, es ist das Ergebnis der von 2009 bis 2021, also 13 Jahre, von der CSU betriebenen Verkehrspolitik, die das Auto präferiert hat. Allein in Dobrindts eigenem Wahlkreis wurden 800 Millionen Euro in Straßenbauvorhaben investiert (siehe dazu etwa den Online-Beitrag „Dobrindts teure Tunnel-Projekte“ vom 14. Januar 2019, Frankfurter Rundschau), was – ganz nebenbei – natürlich auch kräftig Wählerstimmen bringt. Die Schiene hingegen war der CSU weitgehend egal. Das Ergebnis dieser Politik können wir heute besichtigen. Wir sollten das den Unionsparteien nicht vergessen, wenn uns in einem Jahr Bundestagswahlen ins Haus stehen.
Dr. Eberhard Wildenhahn, Potsdam
Sachfremde Manager
Was bei dem Unternehmen jetzt zutage tritt, war für jeden gelernten Eisenbahner bereits ab dem Zeitpunkt der Bahnreform 1994 erkennbar. Diese Leute wurden von den wie Heuschrecken über die Firma hergezogenen Managern aber nur belächelt und aus dem Unternehmen gedrängt. Außerdem waren sie ja auch noch Beamte und hatten somit den Paria-Status. Deren Wissen und Können galt nichts und wurde natürlich auch nicht an die nächste Generation transferiert. Völlig in der Sache unkundige, aber dennoch alles besser wissende Manager mit ihren BWL-Kohorten haben das Unternehmen auf dem Gewissen. Keine andere europäische Bahngesellschaft würde es auch nur geschenkt nehmen.
Nikolaus Jöckel, Offenbach am Main
Doppelte Misere
Ob der Bahnvorstand noch bei Sinnen ist, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht spricht aus dessen Verhalten schlicht die pure Verzweiflung. Seit Gerhard Schröder Hartmut Mehdorn zum Bahn-Chef berufen hat, war das politische Ziel, aus einer Behörde ein börsenfähiges Unternehmen zu machen. Ich war angestellt in einem Dax-Unternehmen und habe durchaus positive Erinnerungen an die Entscheidungsabläufe in der Wirtschaft. Sicher ist es ein Unterschied, ob man in seiner Produktentwicklung frei entscheiden kann oder ob man Teil der gesellschaftlichen Grundversorgung ist. Dass die Bereiche unserer Grundversorgung, die staatlich organisiert sind, Bildung, Sicherheit, Altersversorgung, Gesundheit, alle Probleme mit ihrem politischen Management haben, zeigt vielleicht, dass die Bahn als organisatorische Chimäre in einer doppelten Misere steckt.
Einerseits kann sie sich nicht einfach aus unrentablen Bereichen zurückziehen, diese aber zu fördern und zu sichern, dafür scheint es kein politisches Interesse zu geben. Es ist hier ja besonders leicht, sich vor der Verantwortung zu drücken; Ausrede: Schließlich sei die Bahn ja ein eigenständiges Unternehmen. Die DB-Teams vor Ort sind die Leidtragenden.
Gut, dass hier mal ein Anfang gemacht wird, den aufgestauten Unmut zu äußern. Nur, was wäre die Abhilfe? Vermutlich müssen wir Steuerpflichtige darauf drängen, uns entsprechend den Notwendigkeiten stärker zu belasten. Schließlich ist ein Grund der Missstände, dass wir unsere Grundversorgung zum Schnäppchenpreis haben wollten. Das funktioniert aber offensichtlich nicht auf Dauer.
Hermann Pütter, Neustadt
Ohne Auto keine Mobilität
Gestern durfte ich ein „Best of Deutsche Bahn“ erleben (Strecke Berlin–München): von verschlossenen Toiletten bis zur Nichtexistenz meines reservierten Wagens, der plötzlich ein Bistro war – und der Krönung, das Abteil in Nürnberg räumen zu müssen. Für mich ist in dem Zusammenhang am krassesten das häufige Nichtfunktionieren von Bahn und S-Bahn (München) und dem trotzdem verbissenen Festhalten der Grünen, es den Autofahrern so schwer wie möglich zu machen. Das geht einfach an der Realität vorbei, und da helfen auch Radwege nicht. Ohne Auto keine Mobilität. Das ist die Realität in Deutschland.
Gisela Kranz, Oberschleißheim
Pendeln für den Vorstand
Ich hatte Ihnen vor geraumer Zeit im Zusammenhang eines Ihrer Artikel über die Deutsche Bahn einen Leserbrief geschrieben mit der Empfehlung, die Deutsche Bahn für einen Euro an die Schweizerischen Bundesbahnen zu verkaufen. Dann würde die Deutsche Bahn in etwa zehn oder zwanzig Jahren funktionieren. Sie haben es vorgezogen, diesen Leserbrief nicht zu veröffentlichen.
Seither konnte man vielfach, nicht nur in Ihrer Zeitung, erfahren, in welch miserablem Zustand die Deutsche Bahn ist. Das muss einen nicht wundern, wenn man sich den Werdegang der Mitglieder des Vorstands der Deutschen Bahn anschaut: Es findet sich darunter kein einziger Diplomingenieur mit der Fachrichtung Eisenbahnwesen. Kann sich irgendwer vorstellen, wie ein so zusammengesetzter Vorstand vernünftige, sachgerechte Lösungswege für die Misere der Deutschen Bahn in die Wege leiten kann? Deswegen bleibe ich dabei: Verkauf für einen Euro an die SBB. Alternativ schlage ich vor, dass zur Stellenbeschreibung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn gehört, dass dieser seinen Wohnsitz wöchentlich abwechselnd in Hamburg und in München zu nehmen und seinen täglichen Dienst in Berlin von diesen Orten aus per Bahn anzutreten hat.
Dr. Gernot Gruber, Wiesloch
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