Süddeutsche Zeitung

Corona-Politik:Strategie gegen Frust und Chaos

Das Hin und Her zwischen Lockdown und Lockerung hat viele Menschen mürbe gemacht: Leser beschweren sich über ungerechte Regeln, schlechte Konzepte und die fehlende Linie zu Urlaubsreisen. Andere mahnen zu Besonnenheit.

Zu "Es lebe die CoronaImpfV" vom 29. März, "Wird schon schiefgehen" vom 27./28. März und "Mallorca darf sein" vom 26. März sowie zu weiteren aktuellen SZ-Berichten über die Pandemie:

Bürger sind mitverantwortlich

Seit Monaten hangeln sich die deutschen Regierungen mit Spielarten von Lockdown light durch die Covid-19-Pandemie. Das Ostern-Hin-und-Her war lediglich die Kurzform dessen, was seit dem letzten Frühjahr generell gilt: Noch wichtiger als die Pandemie ist "die Wirtschaft". Damit der Schornstein weiter raucht, wird den Bürgern das Privatleben mit Verboten beschränkt, im Arbeitsleben dagegen gelten vorwiegend Kann-Bestimmungen.

Diese Prioritätensetzung ist der Ausdruck des deutschen Politik-Modells mit seinen immer wieder gewählten Parteien; Lobbyismus und Klüngelwirtschaft inklusive. Dem entspricht auch das fortgesetzte Nicht-wissen-Wollen über die Verbreitung von Covid-19 am Arbeitsplatz. Dem RKI zufolge ist das eigene Heim am gefährlichsten. Wenn 58 Prozent aller Deutschen in Mehrpersonenhaushalten leben, sind 57 Prozent aller Übertragungen im häuslichen Bereich jedoch keine Erklärung, sondern nur folgerichtig. Von wo das Virus nach Hause mitgebracht wurde, will man in Deutschland lieber nicht so genau wissen. Der anschwellende Bocksgesang über den fortdauernden Lockdown, über hü und hott, "Öffnungsperspektiven" und "Impfchaos" leugnet bloß die Mitverantwortung der Bürger für die eigene Lage.

Das Coronavirus wird schließlich nicht von der Bundes- oder den Landesregierungen verbreitet, sondern von den Menschen selbst. Würden die AHA-Regeln nämlich konsequent eingehalten, auch am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin, einschließlich entsprechender Verbote und Kontrollen, wäre die Covid-19-Pandemie meines Erachtens auch ohne Impfung schon im Griff.

Christian Saß, Hamburg

Regeln mit zweierlei Maß

Der Staat zerreißt die Gesellschaft mit "Ausnahmeregelungen" im Lockdown. Bekleidungsgeschäfte müssen mal wieder schließen. Aber die Systemrelevanten dürfen öffnen. Babybekleidung. Ja klar, eine Mutter kann zwar für sich online Bekleidung bestellen, aber für das Baby nicht. Ein Kinderbekleidungsgeschäft darf also öffnen und streng genommen nur Bekleidung für Neugeborene verkaufen. Wie geht das in der Praxis? Für das zum Beispiel neunjährige Geschwisterchen muss das Kleid vor der Tür mit Click and Collect gekauft werden. Ein Witz!

Und was ist mit Blumenläden und Friseuren, die in ihrem Geschäft zusätzlich Bekleidung verkaufen? Derjenige, der sich die Haare schneiden lässt und ein paar nette Anziehteilchen findet, wird diese sicher erwerben können. Und warum muss ein Aldi, Lidl etc. nicht seine Regale mit Schuhen und Bekleidung geschlossen halten beziehungsweise sie erst gar nicht füllen? Kann man wahrscheinlich nicht verlangen. Ja, man bräuchte eben die richtige Lobby! Ich bin eine sehr verärgerte Einzelhändlerin, die in ihren Laden eh nur eine Person zum Einkaufen hineinlassen darf. Aber das ist ja sicher gefährlicher, als bei Aldi, Lidl einzukaufen oder zum Friseur oder Blumenladen zu gehen.

Sibille Barth, Gilching

Regieren mit Karl Valentin

Ich habe mich wahrscheinlich auch mit Corona infiziert. Ich glaube nicht, dass es die britische oder südafrikanische Variante ist, denn ich habe weder Fieber noch leide ich an Geschmacksverlust. Stattdessen beobachte ich bei mir kaum kontrollierbare Wutausbrüche auf "die da oben", ich teile unfairerweise Politiker nur noch ein in solche, die nichts auf die Reihe kriegen, Schaden anrichten, und moralisches Prekariat, das sich in der Pandemie persönlich bereichert. Ich frage mich, warum es nach einem Jahr immer noch kein flächendeckendes Testkonzept gibt, das es erlaubt, jeden Bürger jeden Tag zu testen; über Pooltests in Firmen, Schulen, Behörden könnte man weite Teile der Bevölkerung erreichen.

Ich verstehe nicht, warum nicht schon im März vergangenen Jahres damit begonnen wurde, Produktionsstätten für die Herstellung von mRNA-basierten und vektorbasierten Impfstoffen aufzubauen. Dann hätte man im November, Dezember vergangenen Jahres diese Produktionsstätten an die aussichtsreichsten Hersteller vermieten können. Mir erschließt sich auch nicht, warum zum Beispiel das Gesundheitsministerium für die Ermittlung der Großhandelspreise von FFP2-Masken die Unterstützung von Beratern eines Wirtschaftsprüfers benötigt. Nun, vielleicht haben die Ministerialbeamten morgens ihre Faxgeräte angeschmissen und festgestellt, dass diese nicht internetfähig sind.

Was wir stattdessen im Überfluss haben, sind ständig wechselnde und immer kompliziertere Lockdown-Regelungen, die ihren Höhepunkt in dem Chaosbeschluss für Ostern hatten. Im Vergleich dazu war der Vorschlag von Karl Valentin zur Verkehrsordnung (täglich von 7 Uhr bis 8 Uhr Personenautos, von 8 bis 9 Uhr Geschäftsautos etc.) ein Ausbund an Klarheit und Stringenz.

Ich wünschte, wir würden anstatt von Juristen von Karl Valentin regiert. Das Personal, das wir jetzt an den Schaltstellen von Politik und Verwaltung haben, würde im Falle einer Sturmflut wie in Hamburg 1962 erst einmal eine Ausschreibung starten unter den Armeen der Nato, aus Angst davor, juristisch belangt zu werden, wenn man rasch die fachlich richtige Entscheidung trifft, um Menschenleben zu retten, dabei aber gegen, sagen wir, das Arbeitnehmerüberlassungsrecht verstoßen hat.

Ich nenne meine mal die deutsche Variante des Coronavirus, die mich zum Wutbürger hat mutieren lassen, und sicher tue ich einer Menge Leute unrecht.

Ich denke, ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, wenn wieder mehr fachlicher Sachverstand statt Juraexamen gefragt wäre. Denn wer Juristen sät, wird Paragrafen ernten, und davon gibt es in Deutschland genug.

Rafael Treml, München

Urlaub für die Seele - mit Test

Die Covid-19-Pandemie ist nun im zweiten Jahr. Fürsorge für die gefährdeten Mitglieder der Gesellschaft ist und bleibt unser aller oberste Pflicht. Zugleich sind viele Menschen aber müde, sie können einfach nicht mehr und brauchen etwas Erholung. Deshalb sollte man unverzüglich die Möglichkeit schaffen, eine Ferienwohnung zu mieten, und dies mit der Pflicht verbinden, der vermietenden Person einen PCR-Test vorzulegen.

In Spanien wird Ähnliches seit längerer Zeit erfolgreich praktiziert: Wer dort in eine touristische Unterkunft (Hotel, Ferienwohnung oder Campingplatz) einchecken möchte, muss einen PCR-Test vorlegen. Letztlich würden sich die Menschen dann mehr testen lassen, und das Virus würde wahrscheinlich sogar zurückgedrängt. Von den positiven Auswirkungen auf die seelische Volksgesundheit ganz zu schweigen.

Klaus Hartmann, München

Mallorca darf nicht sein

Freier Flug für freie Bürger - das ist das Fazit des Kommentars "Mallorca darf sein". Wenig hilfreich; denn das Signal, das von dieser (gesetzlich angebotenen) Freiheit ausgeht, wird nicht bedacht: "Wenn die nach Malle dürfen, dann will ich ..." Die gesellschaftliche Solidarität lässt nach. Auf die sind wir aber über die Maßen angewiesen, wenn steigende Todesraten drohen. Die Viren feiern. Geboten ist Vernunft. Und Vernunft muss sich nicht immer am Gesetz ausrichten. In Notzeiten kann es auch die Legitimität sein.

Gert Reese, Husum

Weghören und verdrängen

Meine jugendlichen Patienten sagen zu Corona und den Vorgaben der Politiker: "Ich höre nicht mehr zu." Meine psychotherapeutische Kollegin sagt zum staatlichen Vorgehen in Corona-Angelegenheiten: "Ich verdränge. Verdrängen ist gesund." Ich selbst kapituliere vor einer Regierung, die es so nicht mehr gibt.

Dr. med. Ulrich Rüth, München

Seid achtsam, weniger zynisch

Aufhören mit dem Zynismus respektive Gejammer! Wir müssen da einfach durch; wir konnten die Pandemie nicht üben, die jeweils Verantwortlichen auch nicht - sie machen Fehler, aber ich konzediere ihnen, dass sie sich Mühe geben. Frühere Generationen mussten ebenfalls schlimme Herausforderungen bewältigen, und es ging ihnen nicht so gut wie den meisten von uns.

Meine Familie und viele andere verloren bei einem Angriff auf meine Heimatstadt im März 1945 alles. Sie haben angepackt, und aus den Trümmern entstand wieder Leben. Lasst uns überlegen, wie wir den wirklich existenziell Betroffenen und vor allem unseren Kindern und jungen Leuten helfen können. Vielleicht sollten wir auch unser Familienbild überdenken. Es kann doch nicht sein, dass mit dem jetzt nicht möglichen "Outsourcing" des Nachwuchses alles zusammenbricht.

Welchen Eindruck für ihr Leben müssen die Kinder gewinnen, wenn sie nur als Last in dieser Situation empfunden werden. Der Staat kann den Eltern die Verantwortung nur zu einem gewissen Teil abnehmen. Kindererziehung ist jedoch primär Sache der Eltern. Und: Lasst den Zynismus einfach mal weg. Er passte vielleicht zum neuen Berliner Flughafen, jetzt ist er fehl am Platze.

Renate von Törne, Hof/Saale

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Quelle:
SZ vom 08.04.2021
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