Süddeutsche Zeitung

Corona:G steht für gespaltene Gesellschaft

Geimpft ist gut, aber testen wäre dennoch wichtig, wenn die Pandemie zurückgedrängt werden soll.

Zu "Was uns verbindet" vom 6. Oktober, zu "All die Nebenwirkungen" vom 16. September sowie zu "Für Ungeimpfte wird es schwerer" vom 15. September:

2 G statt 3 G?

Nach wie vor herrscht in Politik wie Medien die Meinung vor, dass der alleinige Ausweg aus der Pandemie die Impfung ist. Nicht-Impfwillige sollen bestraft und ausgeschlossen werden. Aber eine Impf-Pflicht will angeblich keiner. Wie scheinheilig. Dabei kommt man mit dem Argument, der scheinbaren Belastung der Solidargemeinschaft, schnell in Erklärungsnöte. Weshalb sollte die Solidargemeinschaft für die Folgen von Rauchern aufkommen, von jemanden der viermal die Woche Schweinefleisch isst? Sollte man diesen Personen die Behandlung verweigern oder voll für die Kosten aufkommen lassen? Abgesehen davon müsste einem politisch "Verantwortlichen" auch bei den steigenden Zahlen in Israel und andernorts mit hohen Impfquoten dämmern, dass die Impfung allein keine Lösung ist. Auch bei der Fußball-Europameisterschaft waren Geimpfte, Genesene im Stadion - mit bekanntlich steigenden Fallzahlen. Wenn man jetzt alleine auf die 2-G-Regel setzt und zusätzlich Test mit Gebühren belegt, ist das genau der falsche Weg. Die ersten beiden Gs können sich völlig frei bewegen. Beim Friseur benötigt man als Ungeimpfter aber einen PCR-Test. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Spätestens nach der Bundestagswahl werden wohl die Daumenschrauben bei Ungeimpften weiter angezogen. Dabei sollte man nicht einzelne Gesellschaftsgruppen gegeneinander ausspielen. Das ist reiner Populismus und wird die Solidarität in unsere Gesellschaft nachhaltig zerstören. Nach wie vor müssen wir uns mit dem Virus arrangieren und Einschränkungen hinnehmen. Dabei wird man den Virus nur eindämmen können, wenn man weiterhin testet und auch den ersten beiden Gs klar macht, dass sie gegen Mutationen nicht gänzlich immun sind und sich entsprechend umsichtig verhalten sollten. Schon bei 10 Prozent Impfdurchbruch benötigt man nicht viel Fantasie, wie der Winter aussehen wird.

Hermann Haugg, München

Gibt es eine "vernünftige" Angst?

Den Artikel von Christina Berndt beurteile ich als sehr ausgewogen - bis zu folgendem Satz: "Die Ängste der Geimpften sind zweifelsohne die vernünftigeren." Mit diesem Satz hebt sie die Ausgewogenheit wieder auf und positioniert sich ("vernünftiger") auf der geimpften Seite. Für mich als Psychotherapeut, der besonders mit dem Thema Angst arbeitet, ist das eine Ursache für die Spaltung unserer Gesellschaft. Angst ist "nur" ein Oberbegriff für Gedanken, Gefühle, Körperwahrnehmungen und Handlungen. Das Zentrale von Angst ist der Gedanke der allgemein lautet: "Etwas Schreckliches könnte passieren". Ein Gefühl von Unsicherheit. Was das Schreckliche für den einzelnen Mitmenschen ist und wie intensiv es erlebt wird, ist von Person zu Person verschieden: Warum ist jemand von einem Bild einer kleinen ungiftigen Spinne angewidert und wendet sich furchtvoll ab. Die Bewertung von "vernünftigen Ängsten" sollte man nicht machen, weil die Mehrheit der Ängste nicht vernünftig sind. . Die Ängste der Geimpften als "vernünftiger" zu bewerten, entspringt einer Position der Überheblichkeit. Das ist die Spaltung, die Menschen in Richtige und Falsche, Vernünftige und weniger Vernünftige einteilt. Ich muss es sagen: Die Bewertung von Frau Berndt unterstützt die Aufspaltung der Menschen in Richtige und Falsche, in Gute und Böse. Das ist der Beginn von Konflikten in den Familien, in der Gesellschaft.

Alf Lüchow, Trebel

Die ungetesteten Geimpften

Es gibt sie noch die Ungeimpften. Sei es wegen Autoimmunerkrankungen, medizinischer Behandlungen oder wegen Unsicherheit gegenüber schnell entwickelter Impfstoffe. Sie werden von der Politik mittlerweile dazu gedrängt "impfwillig" zu werden. Warum müssen Geimpfte nicht getestet werden, obwohl sie weiterhin an SARS-CoV-2 erkranken können? Ohne Symptome und ohne Test erfährt man von Geimpften nicht, ob sie das Virus in sich tragen. Deshalb haben die Fallzahlen von Geimpften und Ungeimpften keine Aussagekraft, da sie nicht ins Verhältnis gesetzt werden können. Geimpfte werden nur bei Symptomen oder als Reiserückkehrer getestet. Dass kein Vergleich möglich ist, müsste jedem klar sein, der ein mathematisches Grundverständnis besitzt. Nach neuesten Erkenntnissen kommen bei Testdurchführungen auf eine geimpfte Person circa 20 Ungeimpfte. Das wird einfach "vergessen" und somit in der Öffentlichkeit nicht korrekt dargestellt. Wer geimpft ist, verhält sich oft so, als gäbe es die Erkrankung nicht mehr, es müssen keine Regeln mehr beachtet werden. Man erhält sozusagen einen "Freibrief". Zumindest bestärkt die Politik dies. Jedoch haben Geimpfte bei einem Impfdurchbruch mit der Deltavariante die gleiche Viruslast und ct-Werte wie Ungeimpfte. Wenn man das nachvollzieht, dann müssen sich jetzt die getesteten Ungeimpften vor den ungetesteten Geimpften schützen.

Ulrike Geltinger, Neumarkt-St.Veit

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Quelle:
SZ vom 19.10.2021
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