"Die Freiheit, sich zu schaden" vom 11. November, "Nur eine Notlösung" vom 28. Oktober, "Wie Karl Lauterbach geblitzdingst wurde" vom 27. Oktober
Bankrotterklärung der Politik
Was will uns Karl Lauterbach mit seinem heroischen Selbstversuch sagen? Etwa, dass man schon bekifft sein muss, um eine Droge wie Cannabis im Grunde jedermann zugänglich zu machen? Unsere Regierung erweist sich bei dieser Entscheidung einmal mehr als erfahrungsresistent. Unsere Gesellschaft mag damit leben können, dass zu den betrunkenen noch ein paar berauschte Fahrer hinzukommen. Doch wenn es um den Schutz Jugendlicher und junger Erwachsener geht, sollte unsere Toleranzschwelle höher liegen. Es ist bisher nicht gelungen, diese Altersgruppe hinreichend vor der Droge Alkohol zu schützen, und es erschließt sich aus den Intentionen der Politik mit Cannabis nicht, wie dies ausgerechnet damit gelingen sollte.
Die jungen Leute werden nicht bei dem "Cannabis light", das die Regierung anbieten will, bleiben, so wie sie sich zum Komasaufen auch kein Dünnbier, sondern Wodka oder Korn besorgen. Und damit landen sie wieder beim Drogendealer, nur eben mit weniger schlechtem Gewissen. Es ist ein Witz, es als wirksamen Jugendschutz zu verkaufen, wenn im Umkreis von Kitas und Schulen die Abgabe von Cannabis untersagt werden soll. Aber vielleicht schützt das ja die Erzieher. Die Freigabe des Konsums von Cannabis ist letztlich nichts anderes als die Bankrotterklärung der Politik gegenüber der Drogenmafia.
Dr. Rainer Götz, Moers
Ein Mensch ist keine Insel
Die Forderung, das strafrechtliche Verbot der Droge Cannabis abzuschaffen, ist in einigen Punkten nachvollziehbar. Allerdings beruhen die Begründungen Steinkes nicht auf Fakten, sondern einzig auf seiner persönlichen Meinung, dem Recht zur "Freiheit, sich zu schaden". Oft geht es doch beim Cannabiskonsum gar nicht um die bewusste Entscheidung, sich zu schaden, sondern um den Wunsch nach Spaß, ohne die Konsequenzen für sich selbst zu kennen. Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Manifestation von Schizophrenie, Depression, Angst als Folge von Cannabiskonsum - welcher Jugendliche oder junge Erwachsene weiß davon und entscheidet sich wissentlich für dieses Risiko? Dabei handelt es sich um Schicksale, nicht um leere Worthülsen.
Und wer sich eine Grube gräbt, zieht andere mit hinein. Das Pochen auf sein Recht, sich schaden zu dürfen, ohne dabei anderen zu schaden, ist schon in sich widersprüchlich. Denn welcher Mensch ist eine einsame Insel? Jeder hat immer jemanden, der mitbetroffen, mitgeschädigt ist: Partner, Freunde, Eltern, Kinder, Geschwister, Mitarbeiter, Arbeitgeber, Nachbarn, Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter, Sanitäter, deren Familien, Krankenhäuser, Sanatorien, Arbeits-, Sozial- und Wohnungsämter, und das geht den Staat nichts an? Die Gesellschaft hat Anspruch, vor Schaden bewahrt zu werden. Erwachsene haben Vorbildfunktion in Sachen Eigen- und Fremdverantwortung. In Trotzaltermanier Eigeninteressen ohne sachliche Argumente vorzuführen, und zu behaupten, dies schade keinem, das ist vielleicht zeitgemäß, aber nicht altersgemäß.
Dr. med. Claudia Lorenz-Horn, München
Was darf der Rechtsstaat?
"Erwachsene Menschen sollten tun dürfen, was sie wollen, solange sie damit niemand anderem schaden - dieser Satz ist die Grundlage eines liberalen, das heißt den Respekt vor individuellen Grundrechten ernst nehmenden Rechtsstaats", schreibt Ronen Steinke zur Freigabe von Rauschgift. Klingt das nicht ein bisschen sehr deutsch? Unser liberaler Rechtsstaat ist nicht der einzige Rechtsstaat auf der Welt. Davon auszugehen, dass andere Staaten, die die sich selbst schadende Freiheit für regel- und strafbedürftig halten, den "Respekt vor individuellen Grundrechten" nicht ernst nähmen, ist ein wenig selbstgerecht. Corona hat gezeigt, dass es nicht so einfach ist festzustellen, ob und wie anderen, physisch und psychisch, geschadet wird durch das Ausleben oder Aussetzen individueller Grundrechte.
Wie Ronen Steinke schreibt, ist es eine Frage des Rechts, wie man mit Drogen umgeht. Eine Gesellschaft sollte sich zwar nicht unbedingt einig, aber doch im Klaren sein, was der liberale Rechtsstaat an individuellen Rechten durch Strafen beschneiden will und was nicht. Dazu gehört auch, sich am Nutzen und Schaden zu orientieren, den "der staatliche Strafapparat mit seiner ganzen moralischen Verurteilung und darauf basierender Härte" anrichtet, - und das gilt für vielerlei "Delikte", die in den liberalen Rechtsstaaten Europas unterschiedlich gehandhabt werden.
Gabi Baderschneider, Sinzing
Cannabis hat keine Tradition
Was würde Steinke wohl schreiben, wenn es darum ginge, die Anschnallpflicht für Erwachsene im Auto oder die Helmtragepflicht für Motorradfahrer wieder abzuschaffen? Da wird nun nach meinem Eindruck auch kein Dritter geschädigt - außer vielleicht die beteiligten Familienmitglieder? Ja, und die Gesellschaft insgesamt, weil das Kranken- und Sozialversicherungswesen bei Unfällen finanziell stärker belastet wird? Es wäre interessant, die Erwägungen bei Einführung der Anschnallpflicht in den 1970er-Jahren nachzulesen.
Bei der Frage der Legalisierung des Cannabiskonsums geht es also nicht in erster Linie um die Freiheit des Einzelnen, sondern um eine gesellschaftliche Grundentscheidung - insbesondere um den Schutz junger Menschen. Mir will nicht einleuchten, dass die Legalisierung und damit für alle sichtbar die Normalisierung einer schädlichen Droge, die bei Weitem nicht die kulturelle Verankerung hat wie der Alkoholkonsum, im gesellschaftlichen Interesse liegen soll.
Ernst Lindl, Tutzing
Präventionsarbeit ist wichtig
Mag sein, dass das Ende der Kriminalisierung von Cannabiskonsum jetzt einfach kommen muss. Fatal wäre die von vielen geforderte Altersgrenze von 18 Jahren, da mittlerweile kein Zweifel daran besteht, dass vor allem das männliche Gehirn zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs "ausgereift" ist. Substanzen wie THC können im sich entwickelnden Organ schwere Psychosen bis hin zur Schizophrenie verursachen. Solche Erkrankungen belasten nicht nur die Solidargemeinschaft der Krankenversicherungsbeitragszahler, sondern auch die Kommunalhaushalte erheblich.
Als langjähriger Kommunalpolitiker kann ich berichten, dass nicht nur die jugendpsychiatrischen Einrichtungen völlig überlastet sind, sondern auch die Jugendhilfehaushalte aus den Nähten platzen. Da gibt es schon jetzt vielfach einen Drogenhintergrund. Ob die Entkriminalisierung hier Verbesserungen schafft oder eher eine Zunahme der Fälle bringt, wird sich zeigen. Immens wichtig - darin sind sich alle einig - ist aber die Intensivierung der Präventionsarbeit auf allen Ebenen; auch diese wird ohne Geld aus der Solidarkasse nicht zu bewerkstelligen sein. Deshalb mein Fazit: Drogenkonsum ist keineswegs reine Privatsache. Wenn die Freigabe kommt, dann allenfalls mit einer Altersgrenze von 25 Jahren.
Bernhard Suttner, Windberg
Süchtige schaden auch anderen
Unsere ethischen Grundsätze verbieten es, den Drogensüchtigen hilflos in der Gosse sterben zu lassen. Auch der Staat reagiert, unter anderem mit der Strafandrohung für unterlassene Hilfeleistung. Mit der Hilfeleistung werden medizinische und therapeutische Kapazitäten gebunden, die möglicherweise an anderen Stellen fehlen, wo schuldlos Kranke dringend auf Hilfe warten. Diese Menschen werden sehr wohl geschädigt. Dieser Bereich unseres Gesundheitssystems verschlingt große Summen, die von Staat oder Krankenversicherung aufgebracht werden müssen. Mittelbar bedeutet dies eine finanzielle Schädigung des Steuerzahlers oder des Mitglieds einer Krankenversicherung. Zudem betreiben die meisten Drogenabhängigen eine aggressive Rekrutierung von Neukunden. Damit schädigen sie die Gesundheit der (meist jugendlichen) Nachwuchskunden.
"Mangelnden Respekt des Staates vor individuellen Grundrechten" zu wittern, ist absurd. Das individuelle Grundrecht findet seine Grenze am Grundrecht des Nachbarn oder der Allgemeinheit.
Wolf Kutzbach, Grassau
Legalisierung erleichtert den Einstieg
Die Strategie, den Drogenmissbrauch, hier Cannabis, durch Legalisierung von "kleinen Mengen", kontrollierte Abgabe und staatliche "Beobachtung" zu verringern und "in den Griff" zu bekommen, ist selbst als "Notlösung" vorhersehbar zum Scheitern verurteilt. Weder in Colorado oder in den Niederlanden noch sonst wo ist dies gelungen.
Ein Suchtverhalten definiert sich gerade dadurch, dass es vom Betroffenen nicht mit rationaler Begründung wieder abgestellt werden kann, sondern dass aufgrund der Abhängigkeit jede rationale Begründung von ihm ignoriert wird. Der Einstieg ist einfach und verführerisch, zumal das versierte Marketing der profitorientierten Interessenten die Auswirkungen und Gefahren eines einmaligen oder gelegentlichen Konsums bagatellisiert. Die langfristigen psychosozialen Folgen für den Betroffenen selbst und die ganze Gesellschaft und die damit verbundenen Kosten für die unbeliebte "Aufklärung", Kontrolle, Therapie und Rehabilitation sind trotz sehr begrenzter Wirksamkeit enorm und von uns allen dauerhaft zu tragen.
Voraussetzung für Gesundheit und eine nachhaltige Heilung ist der gesellschaftliche Konsens, den Konsum abhängig machender Drogen zu tabuisieren, nicht als "hip" gelten zu lassen und ohne Wenn und Aber vor dem Konsum rechtzeitig zu warnen. Das heißt nicht, dass der Besitz und Konsum geringer Mengen nach Prüfung der Gesamtsituation im konkreten Einzelfall straffrei bleiben kann.
Dr. med. Norbert M. Hien, München
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