Bundeswehr:Sind die 100 Milliarden Euro gut investiert?

Die Unterstützung der Soldaten ist längst überfällig, meinen die einen, um die Truppe wieder einsatzfähig zu machen. Andere fürchten nun ein unkontrolliertes Aufrüsten.

Bundestag - Ausstattung der Bundeswehr

Die Soldaten der Bundeswehr haben Stellung bezogen, das Bundeskabinett ebenso.

(Foto: dpa)

"Und das ist erst der Anfang" vom 15. März, "Klar zur Wende" vom 5./6. März, "Altes Denken, neues Denken" vom 19./20. März, "Zoff ums Sondervermögen" vom 22. März und weitere Artikel:

Schlecht gerüstet

Meine Generation hat 30 Jahre lang die Bundeswehr zu einer schlagkräftigen Armee aufgebaut und damit einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung der Freiheit und zur Aufrechterhaltung des Friedens in Europa geleistet. Nicht zuletzt aus diesem Grunde brach das kommunistische System in der Sowjetunion zusammen.

Die nachfolgende Generation hielt die Ausgaben für Verteidigung nicht mehr für erforderlich und reduzierte in 30 Jahren die Streitkräfte in nicht zu verantwortender Weise. Viele waren der Meinung, dass die Ausgaben für Verteidigung besser für soziale Zwecke angebracht wären. Sie hielten das Aufsteigenlassen von Tauben für eine ausreichende Friedenssicherung und waren nur bemüht, ihren Wohlstand zu steigern. Die Folge ist ein desaströser Zustand der deutschen Streitkräfte, der von führenden Politikern und Militärs bestätigt wird. Dabei geht es nicht nur um Bewaffnung, sondern um die gesamte Infrastruktur. So zum Beispiel ist von sechs Flugplätzen der Luftwaffe in Bayern, auf denen ich Dienst geleistet habe, keiner mehr in Betrieb.

Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ein Krieg in Europa nochmals möglich wäre. Aber Putin hat uns eines Besseren belehrt. Doch anstatt die Ukraine militärisch zu unterstützen, beschränkt man sich auf allgemeine Floskeln. Doch auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Die Angst vor einem Nuklearkrieg darf nicht dazu führen, dass wir unsere Ideale aufgeben oder unsere Freiheit auf's Spiel setzen. Wie kann man nur angesichts der zerstörten ukrainischen Städte hoffen, dass der Krieg auf die Ukraine beschränkt bleiben und nicht in Kürze auf unser Land übergreifen wird? Die nachfolgende Generation, unsere Enkel, wird die Folgen der Fehler ihrer Väter auszubaden haben.

Rolf Bredtmann, Oberstleutnat a. D., Inzell

Gefahr eines Angriffs

Es ist erschreckend, dass Mike Szymanski trotz der Gefahr einer nuklearen Eskalation des Konflikts mit der Ukraine für die Fortsetzung der völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe in Deutschland plädiert. Die Atomwaffen in Büchel sind keine Abschreckungswaffen, sondern sie erhöhen die Gefahr eines Angriffs auf Deutschland. Da ihr Standort bekannt ist und da es Tage bis Wochen dauert, bis sie einsatzbereit sind, wären sie im Kriegsfall erstes Angriffsziel. Der Kauf der F-35-Kampfjets ermöglicht nicht nur die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe, sondern bereitet gleichzeitig die ab 2023 geplante Stationierung von B 61-12-Atombomben vor, die nur von modernen Kampfflugzeugen eingesetzt werden können.

Deutschland hat im Zwei-plus-vier-Vertrag, der die rechtliche Voraussetzung für die Wiedervereinigung war, ohne jeden Vorbehalt auf Massenvernichtungswaffen verzichtet. Wenn wir in der Krise nuklear aufrüsten, drohen eine Eskalation und ein nukleares Wettrüsten in Europa. Putin hatte bereits 2015 erklärt, dass er auf die Stationierung der B 61-12 mit Gegenmaßnahmen reagieren würde. Belarus hat am 28. Februar seinen Status als atomwaffenfreie Zone aufgegeben, um möglicherweise russische Atomwaffen zu stationieren, und aus Polen werden seit Jahren Forderungen nach Nato-Atomwaffen laut.

Dr. Inga Blum, Rosengarten, Vorstandsmitglied Internationale Ärzte und Ärztinnen zur Verhütung des Atomkrieges

Unfähig zu lernen

"Unterrüstung" war nicht der Auslöser dieses Krieges. Der bei gutem Willen verhinderbar gewesene, dumme, unnötige und völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands, unter dem die Menschen in der Ukraine so schrecklich leiden, wird dafür sorgen, dass die globalen Ausgaben zur Kriegsvorbereitung massiv steigen werden. Bei den Rüstungslobbyisten knallen die Champagnerkorken. 100 Milliarden Euro will die Bundesregierung zusätzlich für Aufrüstung ausgeben. Vor dem Krieg lagen die Rüstungskosten der Nato bei 1100 Milliarden Dollar, die Russlands bei 61 Milliarden Dollar. Die USA haben 2020 knapp dreimal so viel Geld für Verteidigung ausgegeben wie ihre Rivalen China und Russland zusammen. Westliche "Unterrüstung" war also nicht der Auslöser dieses Krieges.

Der Impuls, jetzt noch viel mehr Geld ins Militär zu stecken, geht an den Ursachen des Krieges vorbei. Er entspringt einer uralten, nur stammesgeschichtlich erklärbaren Kriegslogik. Zu den größten Problemen der Menschheit zählt die Apokalypse-Blindheit und die Unfähigkeit, aus vergangenen Kriegen und menschengemachten Katastrophen zu lernen. Wir müssen jetzt auf ein Ende des Krieges drängen und alles dafür tun, dass aus dem lokalen Krieg in der Ukraine kein Atom- und Weltkrieg wird. Er wäre für die Menschheit der letzte Krieg.

Axel Mayer, Endingen

Truppe muss einsatzfähig sein

Ja, die böse Rüstungsindustrie erhält jetzt "einen, nun ja, Booster"; bekommt künftig mehr Aufträge, verdient womöglich sogar Geld damit. Man muss diese Branche nicht mögen, aber die letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass ihre Produkte in bestimmten Situationen einen gewissen Sinn ergeben. Eine Armee kann ihre Aufgabe - ich meine Verteidigung - nur dann erfüllen, wenn ihre Technik voll einsatzfähig ist. Diverse Generäle haben die Situation recht drastisch geschildert. Deswegen geht es nicht um "das große Aufrüstungsprogramm", sondern um die Beseitigung eines unhaltbaren Zustandes. Selbstverständlich gehört dazu auch eine Neukonzeption der Beschaffungsprozesse.

Im Übrigen erscheint es mir sinnvoller, wenn die deutsche Rüstungsindustrie mehr für die Sicherheit unseres Landes arbeitet und nicht vorrangig für den Export in angeblich krisenfreie Weltregionen. Da könnte man bei der Ausfuhrkontrolle gern strenger sein.

Harald Kötter, Berlin

Friedliches Vorbild sein

Es geht uns um die 100 Milliarden für Aufrüstung: Beschlossen von einem Mann (Bundeskanzler Olaf Scholz) - ohne parlamentarische Beratung oder Beschluss. Das ist keine Demokratie. Wie kann man Frieden schaffen mit mehr Waffen, insbesondere mit atomwaffenfähigen Kampfbombern? Dieser Krieg gegen die Ukraine führt diese Abschreckungstheorie ad absurdum. Er findet unter der Atombedrohung statt, vielleicht gerade wegen dieser. Eine militärische Unterstützung der Ukraine ist wegen der Atomwaffenarsenale nicht möglich. Der russische Aggressor konnte damit rechnen, dass die anderen Länder faktisch zum Nicht-Handeln verdammt sind. Für was also jetzt eine weitere Aufrüstung?

Wenn die Nato nach dem Zerfall der Sowjetunion auf ein anderes Konzept ausgerichtet worden wäre, nämlich Schaffung von breiten neutralen Korridoren zwischen den Blöcken (Modell Finnland bis runter zum Schwarzen Meer), dann wäre ein dauerhafter "Modus vivendi" vielleicht möglich geworden. So nicht. So wird die Spirale der Auseinandersetzungen fortgeführt. Nächstes Streitgebiet: der östliche Pazifikraum nahe China. Die US- und Nato-Militärs sind schon da.

Die Rüstungsgelder fehlen für Frieden schaffende Maßnahmen: Der Hunger kann nicht bekämpft werden, wie es nötig wäre, das Klima kann nicht ausreichend gerettet werden. Die Folge: noch mehr Hunger, noch mehr Verwüstung unserer Erde, noch mehr Fluchtbewegungen...

100 Milliarden für eine turboschnelle Änderung der Wirtschaft weg von den fossilen, zerstörenden Energien hin zur umweltrettenden Energiegewinnung (Wasserstoff, Wind, Sonne): Damit würden wir alle Wirtschaften beziehungsweise Länder dieser Erde (wie Russland) unter Druck bringen, die noch den alten Weg der Ausbeutung der Erde (Kohle, Erdöl, Erdgas) gehen. Diese würden abgehängt. Für "Oligarchen der alten Art" wäre nicht mehr viel zu holen. Damit würden wir auf Dauer zukunftsrettende und -gestaltende Kräfte mobilisieren. Die Gestaltungskraft des "Westens" würde so deutlich. Damit wäre etwas für unser aller Zukunft auf den Weg gebracht. Das wäre ein friedlicher, vorbildhafter Weg, der unserem Land gut zu Gesicht stehen würde, nach dem letzten Jahrhundert der Zerstörung, die von deutschem Boden ausging. Seien wir ein friedliches, zukunftssicherndes Vorbild. Das schreibt uns unsere Geschichte vor.

Peter und Cornelia Lais, München

Verhandlungsposition definieren

Liest man, dass sich die Rüstungsindustrie die Hände reibt, vermittelt dies ein negatives Bild. Sieht man dahinter Arbeitnehmer, denen so eine Sicherung ihrer Arbeitsplätze zukommt, relativiert sich dies wiederum. Ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen bei den Zulieferern, von Stahlarbeitern bis zur Elektronikbranche. Diplomatie und Verhandlungen sind Krieg und Gewalt vorzuziehen, obwohl Putin hier wohl anderer Meinung ist. Bei einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung definiert sich die eigene Verhandlungsposition jedoch über die Wehrhaftigkeit, die man dem Aggressor entgegensetzen kann.

Sicher wären die 100 Milliarden in einem Europa ohne Putin an anderen Stellen sinnvoller einsetzbar, aber haben wir das nicht in den letzten Jahrzehnten schon zulasten der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gemacht? Der Hinweis, dass durch die Finanzierung der Bundeswehr der Ukraine nicht geholfen wird und dort niemand vor Schaden bewahrt wird, ist zwar zutreffend, aber unsinnig, da ein unzutreffender Zusammenhang hergestellt wird.

Die Forderung, die 100 Milliarden in den Ausbau erneuerbarer Energien zu stecken, um Putin zu treffen, sorgt allenfalls für Stirnrunzeln. Um die erforderlichen Energiemengen generieren zu können, müssen entsprechende Anlagen gebaut werden, was mehrere Jahre dauert. Das weiß Putin. Auf den Krieg in der Ukraine hat das keinen Einfluss. Dass ganz Europa den Ausbau erneuerbarer Energien seit mehreren Jahren vorantreibt, weiß Putin ebenfalls. Sein Öl kann er als wichtigen Industrierohstoff aber weiterhin verkaufen.

Josef Feuerstein, Markt Schwaben

Mitschuld

Mit erzwungener ehrlicher Analyse und Büßerhemd nimmt die Politik sich selbst in die Verantwortung für Mangelverwaltung in den Streitkräften und die fehlende Wahrhaftigkeit in der Sicherheitspolitik. Ein schneller Wandel vom Idealismus hin zu einer Anerkennung der Realität. Ich frage mich jedoch, was die Streitkräfte selber dazu beigetragen haben, dass sie in einer zerfledderten militärischen Organisationslandschaft nur mit viel Mühen wenige Großverbände aufstellen können, denen zum Gefecht wesentliche Fähigkeiten und der Wille zum Zusammenwirken fehlen?

Zwei Beispiele aus den letzten Jahren: In einer Ausbildung betrat ein Vorgesetzter einen Hörsaal. Thema: Befreiung einer Stadt und deren Bevölkerung, die von einem Feind eingenommen wurde. Der Vorgesetzte hörte zu und fragte süffisant den Ausbilder: "Brauchen wir das in Zukunft wirklich noch?" Die Antwort des Ausbilders: "Wissen Sie, wie der nächste Krieg aussieht? Wenn ja, stelle ich die Ausbildung ein." Eine Diskussion fand nicht statt. Ein anderer Vorgesetzter redete zur selben Zeit von einem Weltklasse-Heer und "verkaufte" das der Politik und seinen Soldaten genauso.

Ehrlichkeit ist keine Einbahnstraße - einige aus der Elite der deutschen Streitkräfte haben die Verschleierung der Situation mitzuverantworten. Hier sollte man vor der eigenen Tür kehren. Durch eine Verantwortungsdiffusion (Outsourcing), die unter Rudolf Scharping eingeführt wurde, ist dies fast unmöglich. Unsere Streitkräfte sind aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht, als mit dem jetzigen General- und Heeresinspekteur die Zeitenwende mit klaren Forderungen an die zukünftigen Fähigkeiten eingeleitet wurde.

Henning Klement, Hamburg

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