Bundespräsidentenwahl:Politisches Kalkül statt Neuanfang

Manch ein SZ-Leser hätte sich eine Frau an der Spitze des Staates gewünscht, nicht wieder Steinmeier.

Forum 15.01.2022

Alle fiebern mit: Wahl des Bundespräsidenten 2022. SZ-Zeichnung: Denis Metz

Zu "Ohne Chance, mit Bedacht" vom 10. Januar, zu "Mann des Ausgleichs", sowie zum Kommentar "Der erste Zocker im Staat" vom 5./6. Januar und zu "Grüne ebnen den Weg für zweite Amtszeit Steinmeiers" vom 4. Januar:

Chance für Neuanfang verpasst

Frank-Walter Steinmeier wird wohl erneut zum Bundespräsidenten gewählt. Aber der politischen Kultur in diesem Land wird damit nur Genüge getan. Mehr nicht. Das Land hätte an seiner Staatsspitze erstmals eine Frau verdient. Katrin Göring-Eckardt hätte dem Land auf diesem Posten gutgetan. Die SPD hat eine historische Chance für einen echten Neuanfang leichtfertig verspielt. Zum einen ist die zweite Amtszeit mit einem Ablaufdatum versehen. Ob man von einer "lame duck" sprechen kann, mag dahingestellt sein, aber dieser Bundespräsident hat seinen Zenit bereits jetzt überschritten. Auch zählt intellektuelle Brillanz nicht zu seinem täglichen Sprachschatz. Gerade in den Folgewirkungen der Pandemie hätte die Sensibilität von Katrin Göring-Eckardt gutgetan. Die SPD hat vor lauter "Machtbesoffenheit" nicht den Mumm, ihrem Bundespräsidenten zu sagen: "Frank-Walter, du bist im Rentenalter, du hast deinen Dienst für dieses Land getan. Du warst kein schlechter Bundespräsident."

Eine Rochade hätte Bündnis 90/Die Grünen quasi an die SPD "gekettet". Da würden die Grünen zukünftig gern mal die eine Kröte schlucken. Jetzt stimmen sie qua Vernunft, aber nicht aus dem Herzen für den Kandidaten Steinmeier. Weitblick ist nicht der Generalquartiermeister der Sozialdemokratie anno 2022. Schade.

Dr. Detlef Rilling, Scharbeutz

Zustimmung, keine Begeisterung

Welcher bisherige Bundespräsident hat Begeisterung ausgelöst? Die Frage stellt sich, wenn die SZ den Bericht über die alternativlose Entscheidung der Grünen-Spitzen für eine Wiederwahl Steinmeiers untertitelt: "Frank-Walter Steinmeier ist kein Bundespräsident, der Begeisterung auslöst." Bei uns löst Steinmeier zwar keine Begeisterung, wohl aber sehr große Zustimmung zu seiner bisherigen Amtszeit aus. Nicht nur in der Pandemie fand er ausgleichende Worte. Als erster Amtsinhaber ließ er die Arisierungsgeschichte seines Dienstsitzes an der Berliner Pücklerstraße untersuchen und an die Verfolgungsgeschichte der jüdischen Vorbesitzer erinnern. Daher ist der Kommentar "Der erste Zocker im Staat" so ärgerlich. Woher bezieht der SZ-Autor die abwegige Idee, die SPD hätte einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin für das Bundespräsidentenamt nominieren wollen?

Die Mäkelei des Kommentators, auch an der Entscheidung der Grünen, lässt sich wahrscheinlich damit erklären, dass so viele Journalisten weder die Niederlage der Unionsparteien noch den Wiederaufstieg der SPD vorhersahen. In vielen Formulierungen schwingt die Überraschung über die Wahlergebnisse noch mit. Die eigenen Fehlprognosen münden nun beim Kommentator in einer äußerst unpassenden Schmähung des Bundespräsidenten.

Angela Prenger und Dr. Friedhelm Wolski-Prenger, Emsbüren

Abwarten wäre besser gewesen

Bisher war es üblich, dass die Regierungsparteien sich jemanden ausgucken und diesen fragen, ob er bereit wäre, das ehrenvolle Amt zu übernehmen. Offenbar hält Frank-Walter Steinmeier sich für so gut und "alternativlos" - ein spätes Vermächtnis der Merkel-Regierung -, dass er das Verfahren abkürzt, indem er sich selbst vorschlägt. Ob er dies für das Amt für angemessen hält, ist seine Sache. Die SPD will ihren Kandidaten, der schon 2017 als eine Art Notnagel galt, haben. Die FDP will keinen Krach mit den Sozis deswegen und die Grünen wollen ohnehin nur regieren, und da kommt es offenbar auf Standpunkte von früher (vor der Wahl) nicht mehr so genau an. Das war beim Tempolimit so, das ist bei der Wahl des höchsten Staatsamts, das eigentlich endlich mal von einer Frau besetzt werden sollte, genauso.

War es nicht Steinmeier, der die SPD zur letzten Groko gewissermaßen genötigt hatte, die die SPD fast in den Untergang geführt hat. Ist es die Aufgabe eines Präsidenten festzulegen, wer die Regierung zu stellen hat? Soll der Präsident, auch wenn er in einer Partei ist, nicht neutral sein? In seiner Amtsführung ist er meines Erachtens nicht durch besondere Glanzlichter aufgefallen. Aber das ist die Crux, wenn mehr oder minder Parteien bestimmen, wer Präsident wird. Über eine Volkswahl wird schon lange diskutiert; die verfassungsrechtlichen und politischen Probleme, die es dabei gäbe, sind bekannt. Letztendlich sind wir bei einem von der Bundesversammlung bestimmten Staatsoberhaupt in den allermeisten Fällen nicht so schlecht weggekommen. Totalausfälle gab es keine. Aber Steinmeier hätte wenigstens abwarten können, bis man ihn fragt.

Thomas Spiewok, Hanau

Politisches Taktieren

Da haben sich also zwei Parteien zügig darauf geeinigt, einen Kandidaten zu wählen, der sich vor gut acht Monaten mal eben selbst ins Spiel brachte, und es bedarf mitnichten einer gewissen Bosheit, ihm als Motivation zu unterstellen, dass er die damals sich am politischen Horizont abzeichnende schwarz-gelbe Koalition in die Bredouille bringen wollte. Um keinen Koalitionskrach zu riskieren, verzichten die Grünen darauf, einen Kandidaten - oder ganz fortschrittlich: eine Kandidatin - zu präsentieren, die möglicherweise mithilfe von Stimmen aus der Union gewählt werden könnte. Hoffentlich maßt sich keiner der Beteiligten jemals wieder den Satz an: "Das Amt darf nicht durch politisches Taktieren beschädigt werden". Der amtierende Bundespräsident wäre in der Tat ein Mann des Ausgleichs, wenn er zugunsten einer geeigneten und vor allem nicht so sehr aus der Zeit gefallenen Person auf seine erneute Kandidatur verzichtet hätte.

Christian W. Degner, Saarbrücken

Respekt für Steinmeier

Wenn Frank-Walter Steinmeier nun voraussichtlich mit großer Mehrheit von der Bundesversammlung in eine zweite Amtszeit entsandt wird, sind die meisten Stimmen sicherlich nicht als Sympathiebekundungen zu betrachten, sondern von taktischen Erwägungen geleitet. Aber viele sind auch Ausdruck großen Respekts vor einer souverän geführten ersten Amtszeit. Diesen Respekt lässt der Kommentar "Der erste Zocker im Staat" schmerzlich vermissen. Entsprechend fragwürdig liest sich die Herleitung seines Anwurfs.

Die aktuelle Konstellation der politischen Parteien hat niemand vorhersehen können, und so macht es keinen Sinn, Steinmeiers Lobesworte an die Grünen zum 40. Geburtstag durch süffisante Rhetorik in einen kompromittierenden Nebel zu hüllen. Jemand, der vor acht Monaten in einer völlig unkalkulierbaren Position für das höchste Amt im Staate kandidiert, der riskiert weder etwas, noch hat er etwas zu verlieren, wenn er bislang überzeugende Arbeit geleistet hat. Die Freude am Gelingen einer verantwortungsvollen Amtsführung ist ein ehrenhaftes Motiv, das jenseits von parteipolitischem Kalkül liegt. Steinmeier hat sich sein Renommee im Laufe seiner politischen Karriere erarbeitet. Gerade seine Glaubwürdigkeit hat ihm eine unangefochtene Amtsführung ermöglicht. Wenn der SZ-Kritiker hier selbstbezogenes Denken und Handeln unterstellt, wirkt das wie der hilflose Versuch, die Wiederwahl zu verhindern. Warum sonst verwendet der Kommentator eine so diskreditierende Bemerkung, Steinmeier habe sich erfolgreich eine zweite Amtszeit erzockt. Die Würde des Amtes zu schützen ist nicht nur die Aufgabe des Amtsinhabers, sondern auch die seiner Beobachter.

Armin Salin, Bochum

Debatte über Armut

Es kann hilfreich sein, dass die Linkspartei den Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert hat. Trabert will sich, in Anlehnung an das Willy-Brandt-Wort "Mehr Demokratie wagen", für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. Das könnte in der Debatte bis zur Bundesversammlung am 13. Februar etwas bewegen. Die soziale Wirklichkeit hierzulande wird oft von der Ampelkoalition ausgeblendet. Doch die Realität ist bitterer, als mancher sie wahrhaben möchte. Eine Debatte über Armut (insbesondere Kinder- und Altersarmut) müsste dazu genutzt werden, um die Koalition zu mehr und konsequenteren Reformen im Sinne einer Umverteilung und Armutsbekämpfung anzuspornen. Insbesondere SPD und Grüne sind hier in der Pflicht. Die Biografie Gerhard Traberts weist den Mainzer Arzt als respektablen und empathischen Mitbewerber um das Amt des Bundespräsidenten aus.

Manfred Kirsch, Neuwied

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort.

Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Zu Artikeln, die im Lokal- und Bayernteil der SZ erschienen sind, senden Sie Ihre Meinung gerne direkt an forum-region@sz.de.

Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: