Bundespräsident Steinmeier:Rätseln über frühe zweite Kandidatur

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Warum erklärt er sie jetzt, lange bevor die Bundestagswahl bestritten ist? Das fragen sich manche. Weil die Besetzung des obersten politischen Amtes immer auch eine Richtung vorgibt, meinen andere. Es gehe auch um die Würde des Amts.

Will noch mal gewählt werden: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit an. (Foto: AP)

Zu " Steinmeiers Kampfkandidatur" und " Ziemlich viel Mut" vom 29./30. Mai:

Warum so voreilig?

Es verwundert doch ein wenig, dass Frank-Walter Steinmeier schon jetzt seine Bereitschaft für eine zweite Amtszeit signalisiert hat. Dies aus zwei Gründen: Bis zur Wahl durch die Bundesversammlung wird noch viel Wasser die Spree hinunterfließen. Im fortgeschrittenen Alter von bald 66 Jahren vermag niemand seine gesundheitliche Verfassung als garantiert voraussagen, jetzt ganz unabhängig von Corona. Zum anderen könnte er als Kandidat doch erst die Zusammensetzung des neuen Bundestages abwarten und sich der Unterstützung der wichtigsten Parteien versichern.

Hermann-Josef Kromer, Bad Urach

Zuspruch oder Anspruch?

Politische Ämter sollten auf der Basis von Vertrauen ausgeübt werden. Dass der Bundespräsident, deutlich vor Ablauf seiner Amtszeit ganz offiziell verkündet, dass er diese Funktion gerne weiter ausführen möchte, kann ihm niemand verwehren. Vielleicht ist bis zum Schloss Bellevue nicht durchgedrungen, dass es nicht nur den Anspruch auf ein Amt, sondern auch das vertrauensbildende und mündigen Bürgern angemessene Verfahren des Zuspruchs gibt.

Anspruch heißt, ich melde meinen Wunsch selbst an, Zuspruch heißt, ich werde gefragt, ob ich bereit und willens bin, ein Amt zu übernehmen. Anspruch ist das übliche, selbstbezogene Prozedere beim Gerangel um politische Ämter, Zuspruch wäre das angemessene selbstlose Verfahren für das höchste zu vergebende politische Amt, und Zuspruch würde zeigen, ob und wie viel und bei wem Vertrauen dafür besteht. Schade, dass Frank-Walter Steinmeier durch seine "Kampfkandidatur", wie die SZ das treffend nennt, ins gewöhnliche Politgebaren zurückfällt und damit dem gerade heute im demokratischen Prozess dringend benötigten Zuspruch-Prinzip eine Absage erteilt.

Dr. Gerhard Herz, Gröbenzell

Wieso wählen nicht alle Bürger?

Im Februar 2022 wird der nächste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland von der Bundesversammlung gewählt. Eine, wie ich meine, sehr unglückliche Bestimmung unserer Verfassung. Beschränkt sie doch die Zahl der Wahlberechtigten auf 1260 Personen, davon 630 Mitglieder des Bundestages und weitere 630 Vertreter der Landtage beziehungsweise von diesen berufenen Persönlichkeiten der deutschen Gesellschaft. Die 60,4 Millionen Wählerinnen und Wähler aber, die zwar den Bundestag wählen dürfen, sind in diesem Fall jedoch ausgeschlossen.

Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt also im Dunstkreis parteibestimmter Zirkel - um nicht zu sagen - Klüngel. Das halte ich für falsch und der großen Bedeutung des Amtes des Bundespräsidenten nicht angemessen. Es schwächt meiner Meinung nach auch die Autorität des Amtes. Der Bundespräsident vertritt alle Menschen in Deutschland, ob wahlberechtigt oder noch jünger, ob mit deutschem Pass oder als Ausländer hier lebend. Es wäre richtig, meine ich, dass alle Menschen mit Wahlrecht zur Bundestagswahl auch den obersten politischen Vertreter Deutschlands in einer Bundespräsidentenwahl wählen dürfen.

Ja, ich höre schon: Da wird es eine Schlammschlacht unter den Bewerberinnen oder Bewerbern geben, die das Amt beschädigen könnte. Diese Sorge erscheint mir völlig unbegründet: Wenn sich jemand für das Amt bewirbt, dann wird er naturgemäß seine Lebenserfahrung, seine Kompetenzen und seine Persönlichkeit für die Qualifizierung zu diesem Amt präsentieren und nicht Wettbewerber angreifen - dies würde ihn im Übrigen ja auch für die Position und Aufgabe disqualifizieren.

Ein Beispiel dafür mag Österreich sein, wo eines der höchsten demokratischen Güter die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk ist. Seit 1945 hatte Österreich neun Bundespräsidenten. Die Wahlkämpfe der einzelnen Bewerber über diese mehr als 75 Jahre waren nahezu ausnahmslos vom fairen Wettbewerb der zur Wahl stehenden Persönlichkeiten geprägt, marginale Ausnahmen davon sind kaum erwähnenswert. Natürlich aber bedeutet dies, dass die politischen Parteien die Position des Bundespräsidenten nicht mehr als Verhandlungsmasse in ihrem Parteienwettbewerb haben, aber ehrlich - wäre das so schlimm?

Kurt Kantner, Rosenheim

Gibt es da einen Plan?

Da hat der ehemalige Büroleiter Gerd Schröders, der jetzige Bundespräsident Steinmeier, zusammen mit seinem früheren Chef wohl folgenden Plan entwickelt. Steinmeier will wiedergewählt werden. Denn traditionell war das Amt des Bundespräsidenten in der Bundesrepublik immer mit Richtungsentscheidungen verbunden. 1949 wurde Theodor Heuss von der FDP ins Amt gewählt und festigte damit das Bündnis mit der Union. 1969 wurde der ehemalige Unionschrist Gustav Heinemann, der dann wegen der Wiederbewaffnung der Bundeswehr zur SPD überlief, Bundespräsident, was das Zeitalter der sozialliberalen Koalition einläutete. Jetzt geht es Schröder und Steinmeier meines Erachtens darum, die Grünen im Bundeskanzleramt zu verhindern. Also jetzt soll der Realo Armin Laschet Kanzler werden, die SPD und dann die FDP dazu sollen eine Deutschland-Koalition (schwarz, rot, gelb) ins Leben rufen. So sehen sozialdemokratische Sieger aus.

Dr. Detlef Rilling, Scharbeutz

Wo bleibt die Würde des Amtes?

Man kann die frühzeitige Kandidatur Frank-Walter Steinmeiers sicher erstaunt zur Kenntnis nehmen oder als nicht angemessen kommentieren, das sollte es dann aber auch gewesen sein. Die Berichterstattung und Würdigung durch die SZ erweckt hingegen den Eindruck, als gehe es bei der Besetzung des höchsten Amtes im Staat vordringlich um Verhandlungsmasse im parteipolitischen Geschacher. Allein die nur vage Aussicht, dass der Amtssitz auch erfolgreich "verteidigt" werden kann, bestimmt bei einigen SZ-Redakteuren die Wahrnehmung der Motive Steinmeiers und verdichtet sich in meines Erachtens fragwürdigen Einschätzungen wie "Kampfkandidatur" oder: Man kann das Harakiri nennen.

Steinmeier wird selbstverständlich die privaten Gründe für seine mittelfristige Lebensplanung und die Offenlegung dieses konkreten Schrittes sorgfältig abgewogen haben. Das verdient unbedingt Respekt und nicht die implizite Unterstellung, er handle taktisch dumm oder versuche mit einem Überraschungscoup zu punkten. Wer so argumentiert, verkennt, dass es durchaus auch uneigennützige Motive für eine erneute Kandidatur gibt, die eigentlich näherliegen, wenn man auf Steinmeiers bisherige Lebensleistung blickt. Diese Perspektive fehlt mir in Stefan Brauns Kommentar, obwohl Steinmeier sie in seiner Begründung anspricht. Die Würde des Amtes zu schützen ist nicht nur die Aufgabe des Amtsinhabers, sondern auch die seiner Beobachter.

Armin Salin, Bochum

© SZ vom 08.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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