SZ-Korrespondenten:"Erasmus für Erwachsene"

SZ-Korrespondenten: Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel, der Sitz der Europäischen Kommission.

Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel, der Sitz der Europäischen Kommission.

(Foto: Jochen Tack/imago)

Morgens Seenotrettung, mittags Nato, nachmittags Klimaschutz: Im Brüssel erwartet Journalisten eine gewaltige Themenvielfalt - was anfangs nervt, schon bald aber ungemein bereichernd ist.

Von Karoline Meta Beisel

Wer als Journalist in Brüssel arbeitet, muss ein Profi im Multitasking sein. Es kann vorkommen, dass man dort am Morgen mit Abgeordneten über die Seenotrettung im Mittelmeer spricht, vormittags Neues über die Vorratsdatenspeicherung erfährt, mittags mit einer Quelle bei der Nato telefoniert und nachmittags eigentlich an einer Analyse des neuen Klimaschutzpakets der EU-Kommission arbeiten möchte, dann aber doch nicht dazu kommt, weil in Belgien mal wieder eine Regierung zerbrochen ist. Bisweilen hat man in Brüssel sieben Termine zu sieben Themen am selben Tag. Da darf man nicht den Überblick verlieren.

Diese Themenvielfalt ist zu Beginn eines Korrespondenten-Daseins erst einmal unübersichtlich - schon bald aber ungemein bereichernd. Denn man erfährt nicht nur über die Europäische Union als Gebilde viel, sondern auch über die politischen Debatten und die unterschiedlichen Prioritäten und Befindlichkeiten in ihren 27 Mitgliedsländern. Und das nicht nur aus Büchern oder Zeitungen, sondern aus erster Hand: von Menschen, die aus diesen Ländern kommen, seien es Europa-Abgeordnete, Diplomaten oder andere Journalisten. Ein Kollege hat die Brüsseler Blase mal als "Erasmus für Erwachsene" bezeichnet - und wenn man davon absieht, dass die meisten dieser Menschen deutlich mehr arbeiten als der durchschnittliche Erasmus-Student, ist an dem Vergleich durchaus etwas dran.

Lernen und verstehen muss man in Brüssel aber auch. Zu Beginn vor allem die oft komplizierten Abläufe in den EU-Institutionen. Denn nur, wer diese selbst verstanden hat, kann sie hinterher auch dem Leser erklären - und zwar so, dass der nicht jedes zweite Wort im Lexikon nachschlagen muss. Denn mal ehrlich: Wer außer den Leuten, die in Brüssel arbeiten, kennt schon den Unterschied zwischen dem Rat der Europäischen Union, dem Europäischen Rat und dem Europarat? (Das erste ist das Gremium, in dem die Minister der Mitgliedstaaten über Gesetze beraten, das zweite die Gipfelrunde der 27 Staats- und Regierungschefs, das dritte eine Internationale Organisation mit Sitz in Straßburg - die mit der EU allerdings nichts zu tun hat).

Dieses Erklären und Verständlichmachen, warum "die EU" dieses tut oder jenes mal wieder nicht auf die Reihe bekommt, und wie sich die Vorgänge in Brüssel auf die Politik und die Bürger in Bukarest oder Berlin auswirken, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Korrespondenten in Brüssel.

Was die Arbeit stark erleichtert ist, dass die meisten Politiker und EU-Bediensteten sich gerne ausführlich Zeit nehmen, die SZ-Korrespondenten zu empfangen. Das sollte man nicht als persönliches Verdienst interpretieren: Die Bundesrepublik Deutschland ist qua Einwohnerzahl und Wirtschaftsstärke nun mal das mächtigste Land Europas, und die Süddeutsche Zeitung in diesem Land eine nicht ganz unbedeutende Publikation. Manchmal finden solche Gespräche übrigens an ungewöhnlichen Orten statt - so laden finnische Diplomaten nach Veranstaltungen in der EU-Vertretung manchmal in die Sauna im Keller ein (genau genommen gibt es sogar zwei: eine für Männer, eine für Frauen).

Um das Leben nach Feierabend muss man sich in Brüssel übrigens auch keine Sorgen machen: Sobald man eine Handvoll Leute kennengelernt hat, wird auch abends bei Fritten und Bier noch über das neueste Sanktionspaket gegen Russland diskutiert oder darüber, wie der große Wurf in der europäischen Asylpolitik vielleicht doch noch gelingen könnte (und es fühlt sich dann nicht mal nach Arbeit an).

Außerdem wird man von seinen Kollegen und Kolleginnen ständig zu Festen eingeladen - leider sind das oft Abschiedspartys. Denn genau wie man selbst sind viele der anderen Journalisten oder Diplomaten ebenfalls nur auf Zeit entsandt. So merkt man übrigens auch, wann die eigene Brüssel-Uhr abgelaufen ist: Wenn man niemanden mehr kennt, der schon länger in der Stadt ist als man selbst, dann ist es Zeit, zu gehen und Platz zu machen für ein neues Paar Augen und Ohren.

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