Brexit:Wollte das Volk dieses Chaos?

Das Vereinigte Königreich will aus der EU austreten und rettet sich dabei von einer Verlängerung in die nächste. Viele Leser wundern sich über sich, dass immer noch nichts konkret ist.

Brexit

Großbritannien in der Dauerschleife: Seit Monaten ist unklar, wann und wie der Brexit umgesetzt wird.

(Foto: dpa)

Zu "Dämpfer für May" und "Zurück auf Anfang" vom 19. März, "Planspiele der Ratlosen" vom 20. März, sowie weiteren Artikeln, die sich mit dem Brexit beschäftigen:

Kasperltheater

Man sollte sich angesichts des Brexit-Durcheinanders auch einmal überlegen, ob sich die Demokratie in dieser heutigen Form nicht überlebt hat, nach 150 Jahren. Kein Volk braucht so eine Regierung wie in Großbritannien. Es beginnen ja auch bei uns Parlament und Regierung zu korrodieren. Das beginnt bei den Parteien und Parteistrukturen, Entwicklungen wie die Erfolge der AfD sind massive Warnzeichen, dass mit der aktuellen Staatsform etwas nicht stimmt.

Das gilt analog für fast alle europäischen Länder und auch für die USA. Es hat keinen Sinn, am Brexit-Kasperltheater zu verzweifeln, es wird alles einen historischen Gang gehen, traditionell wie damals, als die Römer Britannien (nach 300 Jahren!) verließen. Es ist unsinnig, sich in Sorgen um das unvermeidliche Chaos zu verlieren. Wir müssen unser Denken davon frei machen. Und wir sollten dabei nicht am Liebgewordenen festhalten, wie ein Automobil-Dinosaurier am Diesel, bis der Zeitenwandel die Pleite (den Untergang?) diktiert.

Dr. Eckart Grebner, München

Spiel auf Zeit

Langsam wird das Referendum um den Brexit zu einem schlechten Schauspiel, wissen die Briten eigentlich noch, was sie wollen? Hierzu kann man eigentlich nur noch sagen, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, aber dieses Hin und Her ist kaum irgendwie noch nachvollziehbar! Es sind bald Europawahlen, und man wird das Gefühl nicht los, dass die Regierung von Großbritannien mit Absicht auf Zeit spielt!

René Osselmann, Magdeburg

Selbst schuld

Nur Politiker glauben, dass sich mit einer Verschiebung des Austrittsdatums für den Brexit etwas zum Besseren wenden könnte. Das britische Chaostheater wird sich weder auflösen noch verschwinden. Ein sogenannter ungeordneter Brexit wird mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller zu einer vernünftigen Klärung der gegenseitigen Verhältnisse führen als dieses ständige Warten auf eine konstruktive Änderung der britischen Position. Das britische Volk hat entschieden, nur wir wollen das nicht wahrhaben. Also macht ein Ende, damit wir (die EU) uns der Zukunft zuwenden können. Da gibt es wirklich wichtige Dinge zu tun.

Hans-Kurt Henning, München

Desaströses Bild

Das "traditionsreiche" britische Parlament bietet bei seinen zuweilen geradezu absonderlichen Ritualen gegenwärtig ein desaströses Bild - Parlamentarismus als chaotisches System, die politische Klasse als arrogante, in ihre glorreiche Historie verliebte Kaste, die noch vom alten britischen Weltreich träumt und dann vor Frau Merkels Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015/16 in Panik geriet. Selbst die sogenannte Labour-Party will sich mehrheitlich dem in Brüssel und Berlin propagierten "sozialen" Europa entziehen. Mit seinen zahlreichen Sonder- und Vorzugsregelungen war das Vereinigte Königreich ohnehin nie ein "richtiges" Mitglied der Europäischen Union.

Die Politik erzählt uns hierzulande immer: "Deutschland braucht Europa." Die Umkehrung "Europa braucht Deutschland" wäre ehrlicher und realistischer, denn Resteuropa ohne die BRD, mit seinen zahlreichen Visegrád- und Mittelmeeranliegerländern ist, nicht nur wirtschaftlich, ein reichlich schwächliches Gebilde, das niemals mit China oder den USA mithalten könnte. Macht- und verteidigungspolitisch ist die EU nahezu ein Nichts.

Friedrich Herzer, Mainz

Es reicht

Wann sagt denn endlich jemand "Basta!"? Es reicht. Britanniens Herrscher führen uns doch an der Nase herum. Es gibt ein Volksvotum: Brexit. Sie wollen gehen, und nun sollen sie gehen. Mit Deal oder ohne - das ist mir inzwischen völlig egal. Die EU-Spitze lässt sich von Theresa May, den Tories und Labour vorführen, von einer wählerfernen Elite, die aus Selbstüberschätzung und Hybris ihr eigenes Land in diese Situation gebracht hat.

Wer stoppte denn damals Prime Minister Cameron und Boris Johnson? Niemand. Und auch jetzt stoppt niemand die Fantasten auf der Insel, die wie Trump in den USA und die Neonationalisten auf dem Kontinent das Heil in nationalen Alleingängen suchen. Ja, das auf der Insel ist der Wille des Volkes. Aber wollte das Volk dieses Chaos? Oder hatte es schlicht keine Ahnung, welche Konsequenzen es haben würde, mit Yes für den Brexit zu votieren? Da bin ich ganz sicher, und das ist das Gefährliche an populistischen Volksbefragungen. Kaum einer bedenkt das Ende. Und in Britannien gehört auch die Machtelite in diese Kategorie. Ihr muss man jetzt von dieser Seite des Kanals endlich die Rote Karte zeigen. Und nicht nach immer - kurzen oder langen - neuen Wegen suchen, dass sie ihr Gesicht wahren kann und so das Elend auf der Insel verlängert.

Bertram Münzer, Gütersloh

Ohne Rücksicht

Es ist haarsträubend, chaotisch und wird jeden Tag schlimmer. Mehr als zwei Jahre hatte das Vereinigte Königreich eigentlich Zeit, einen geordneten, klug durchdachten Rückzug aus der ungeliebten Europäischen Union zu vollziehen. Doch stattdessen jetzt ein Murks mit üblen, haltlosen Tricksereien ohne Ende und die Unfähigkeit des britischen Staates, mit sich selbst einig zu werden. Daher kann es jetzt nur eine Lösung geben: Austritt. Und zwar jetzt und sofort. Egal, was es kostet und ohne Rücksicht. Das mag zwar radikal erscheinen, doch eine Verschiebung des Brexit wäre nur eine Fortsetzung der endlosen Chaospolitik.

Dietmar Helmers, Westerheim

Zwist der Konservativen

Wenn es um den Brexit geht, wird fast immer übersehen, dass es für keine der zur Verfügung stehenden Optionen ein Mandat gibt. So seltsam es auf den ersten Blick erscheint: Das Referendum hat nur eine Mehrheit für den Verbleib in der EU gebracht; jene, die sich dagegen entschieden haben, taten dies für ganz unterschiedliche, einander ausschließende Formen des EU-Austritts. Wer für eine Zollunion mit der EU eintritt, wird einen harten Brexit mit Vertrag und erst recht den sogenannten No-Deal entschieden ablehnen - und umgekehrt. Eine Mehrheit gab und gibt es nur für die EU-Mitgliedschaft. Kurios ist, dass das Referendum ohnehin nicht nur das Verhältnis Großbritanniens zur EU zum Gegenstand hatte, sondern auch den inneren Zwist der Konservativen, unspezifische Ohnmachtsgefühle und politischen Hader in der Bevölkerung sowie parteipolitischen Irrwitz. Die Ironie der Geschichte ist, dass der Befreiungsschlag David Camerons zu einer grotesken Selbstfesselung nahezu der gesamten politischen Klasse geführt hat; Großbritannien dampft mit aller Kraft voraus auf einen Brexit mit gewaltigem Selbstzerstörungspotenzial zu.

Alexander Preuße, Göttingen

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

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