Brexit:Auf dem Weg ins Nirgendwo

Der Brexit-Vertrag ist im britischen Unterhaus genauso gescheitert wie das Misstrauensvotum gegen die britische Premierministerin Theresa May. Wie soll es nun weitergehen? Das fragen sich auch diese Leser.

Brexit: SZ-Zeichnung: Fares Garabet

SZ-Zeichnung: Fares Garabet

"Flying Circus" vom 19./20. Januar, "Schamlos" vom 18. Januar und "Bewegt euch" vom 17. Januar:

Wir brauchen mehr Zeit

Es ist offensichtlich, dass nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch EU-Europa nicht wirklich auf den Ausstieg eines der großen Mitgliedsländer vorbereitet ist. Es kommen vielfältige neue Probleme auf Europa zu wie Klima, Verteidigung, Digitalisierung, Steuergerechtigkeit, Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Erziehung, Wissenschaft, Demokratie in Europa ... Zu jedem dieser Punkte wird man mit dem Vereinigten Königreich mehr oder weniger intensiv zusammenarbeiten müssen, egal ob als Mitglied oder Nichtmitglied.

Wir brauchen daher für alle Mitgliedsländer mehr Zeit, zum Beispiel ein weiteres Jahr Mitgliedschaft und dann den Brexit. Das hieße auch, dass das Vereinigte Königreich noch einmal Abgeordnete für das Europäische Parlament wählen lässt. Mit den neugewählten Abgeordneten und dem Rat der Regierungen könnte jetzt ein intensiver Dialog geführt werden, im Parlament und im Rat. Auch die Wahl der Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreich wäre sehr aufschlussreich für die eigene Regierung und für alle anderen Mitgliedsländer.

Noch ist Zeit, und Europa, nach einem solchen Jahr des Dialogs, wäre ein anderes, vielleicht attraktiveres für alle Bürger Europas.

Hans F. Hoffmann, Bernex/Schweiz

Umgekehrte Logik

Wenn zwei Personen oder Gruppen gemeinsam ein Ziel erreichen wollen, so ist es seit Jahrhunderten der Brauch, erst das gemeinsame Ziel zu formulieren, dann gemeinsam den Weg dorthin zu beschreiben einschließlich aller Aktivitäten und Pflichten etc. Ist man sich einig, wird der Vertrag von beiden Seiten endgültig unterschrieben, und dann beginnt die Ausführung. Kann man sich nicht einigen, lässt man das Ganze, es kommt kein Vertrag zustande. Ganz einfach.

Es ist mir ein Rätsel, warum man beim Plan für einen Brexit diese so logische Prozedur umgekehrt hat. In Unkenntnis der Modalitäten und ohne ein Ergebnis der Verhandlungen wurde der ganze Prozess durch eine Volksabstimmung unumkehrbar gemacht. Und das alles in Kenntnis des in den EU-Verträgen festgelegten Zeitrahmens.

Fritz Linck, Stadtbergen

Selbstsüchtiges Verhalten

Es ist offensichtlich, dass die britische Regierung nach der Maxime "Alle Vorteile der EU, ohne dafür zahlen zu müssen" handelt. Diese Maxime erklärt erstens die Ablehnung des ausgehandelten Abkommens und zweitens die Aufforderung an die Premierministerin weiterzumachen. Die britische Regierung hatte ja auch schon vorher die Bevölkerung nie darüber aufgeklärt, dass die Vergünstigungen der EU nicht umsonst sind. Den Leuten wurde stattdessen vorgemacht, dass sie ja ein Recht (Kolonialdenken) auf die Vergünstigungen haben. Alle anderen Begründungen für den Brexit sind leider mehr oder weniger heuchlerisch. Die britische Regierung geht sogar so weit, dass sie sich beschwert, wie sie jetzt von der EU behandelt wird, und leugnet im Nachhinein das eigene selbstsüchtige, ablehnende Verhalten als Mitglied, als ehemalige und andere Nichtmitglieder nach den Vorteilen fragten.

Theodor Schlickmann, Heidelberg

Garantien für die Bürger

Oberste Priorität der britischen Regierung seit Beginn des Brexit-Verhandlungsprozesses war - und bleibt - die Gewährleistung der Rechte der britischen Bürger in Deutschland sowie der EU-Bürger in Großbritannien. In diesem Geiste wandte sich Premierministerin Theresa May im Oktober 2017 in einem Brief direkt an die EU-Bürger in Großbritannien (Letter to citizens): "Zu Anfang dieses Prozesses wurden wir beschuldigt, EU-Bürger als Verhandlungsmasse zu betrachten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die EU-Bürger, die ihr Leben hier aufgebaut haben, haben einen großen Beitrag zu unserem Land geleistet. Und wir wollen, dass sie mit ihren Familien hierbleiben. Ich will es ganz klar ausdrücken: EU-Bürger, die heute rechtmäßig in Großbritannien leben, dürfen bleiben." Das Ziel der britischen Regierung bleibt weiterhin die Ratifizierung des Austrittsabkommens, das die Rechte der EU-Bürger schützen wird. Wir erwarten und wünschen uns keinen "No Deal Brexit", aber wir müssen uns auf beide Szenarien vorbereiten. Deshalb hat das Vereinigte Königreich am 6. Dezember 2018 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem es einseitig garantiert, die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien auch im Falle eines ungeregelten Austritts zu schützen. Die konsularische Betreuung und die Wahrung der Bürgerrechte der über 116 000 in Deutschland lebenden Briten sind die Priorität der britischen Botschaft in Berlin und der Generalkonsulate in Düsseldorf und München. Dabei stehen aktuell die Vorbereitungen auf den Brexit im Vordergrund, und so haben wir seit 2017 deutschlandweit mehr als 30 Informations-veranstaltungen für hier ansässige britische Bürgerinnen und Bürger durchgeführt.

Sir Sebastian Wood, Britischer Botschafter in Deutschland

Täuschen und lügen

Beim bisherigen Brexit-Votum hat man jeglichen Kommentar außerhalb des Vereinigten Königreichs unterlassen und erst im Nachhinein die Wertung "Votum mit Lug und Trug" (Manfred Weber) nachgeschoben. Premierministerin May warnte vor dem Votum zum Brexit-Vertrag bei Ablehnung vor einem "katastrophalen und nicht zu entschuldigenden Bruch des Vertrauens in unsere Demokratie". In der Zeit vom 11. bis 13. April 2016 versandte die Cameron-Regierung eine 16-seitige Infobroschüre an alle Haushalte in England, ohne die bekannten ökonomischen Informationen zum Brexit zu vermerken. Die wurden am 18. April vom Finanzminister laut Website als Pressetext nachgeschoben: Gefahr von Einkommensrückgängen pro Haushalt von 6,2 Prozent über 15 Jahre. Mit dieser Unprofessionalität des Vergessens oder Täuschens der Cameron-Regierung zusammen mit der Johnson-Lüge der Einsparung von 350 Millionen Euro pro Jahr ist das Brexit-Votum als demokratisch fragwürdig einzuordnen. Professor Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Wuppertal, hat herausgearbeitet, dass bei Vorliegen der wahren Informationen statt eines Austritt-Votums von 51,9 Prozent sich ein Verbleib-Votum von 52,1 Prozent ergeben hätte. Einem wahrlich demokratischen zweiten Votum sollte nichts im Wege stehen!

Dr. Siegfried Richter, Ebenhausen

Neues Referendum

Theresa May beruft sich auf den Willen des Volkes, den sie umzusetzen habe. Ja, was denn? Jeder, der sich die Zahlen anschaut, erkennt unschwer, dass von den Wahlberechtigten nur wenig mehr als ein Drittel für den EU-Austritt gestimmt hat. Manche von ihnen haben sich durch falsche Versprechungen der Befürworter und durch Stimmungsmache von Teilen der Printmedien lenken lassen (womöglich auch durch digitale Nachrichten ausländischer Kräfte). Angemessen ist jetzt, nachdem die Probleme für jeden sichtbar zutage getreten sind, ein neues Referendum, verbunden mit einem Quorum, wie es hierzulande bei vielen Bürgerentscheiden der Fall ist.

Heinz G. Vill, Augsburg

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