GenerationengerechtigkeitBoom, boom, Boomerang

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(Foto: Illustration: Claudia Klein)

Eskalierende Klimakrise, kaputte Rente, marode Infrastruktur – und schuld sind die Boomer? Zwei Meinungsstücke in der SZ stemmen sich gegen die These, die geburtenstarken Jahrgänge hätten auf Kosten der Jungen gelebt. Die Leser stimmen zu und widersprechen – jeweils durchaus heftig.

Essay „Wir Halunken“ vom 6./7. September und Kommentar „Schluss mit dem Boomer-Bashing“ vom 3. September:

Boomerin mit Gewissensbissen

Natürlich hat Gerhard Matzig recht, wenn er pauschale Zuschreibungen „doof findet“, weil Klischees wenig zur Lösung echter Probleme beitragen. Auch ich gehöre zu den Boomern (Jahrgang 1953), bin pensionierte Lehrerin (Studiendirektorin) und damit finanziell auf der Seite der gut situierten Bezügeempfänger/innen. Aber ich bin nicht „auf den Bäumen“, sondern unterstütze die Forderung, dass Leute wie ich der Gerechtigkeit halber mit einem moderaten Verzicht auf einen Teil ihres Einkommens (vier Prozent wären nun wirklich leicht zu verschmerzen) einen Beitrag dazu leisten sollten, dass Renten an der unteren Grenze angehoben werden können, ohne die Sozialausgaben damit weiter in die Höhe zu treiben.

Denn ich kämpfe schon länger mit einem schlechten Gewissen angesichts der Privilegien, die ich genieße, obwohl meine Generation zweifelsohne einen Großteil der Verantwortung für die Probleme trägt, die die heutige Jugend auf lange Sicht belasten werden. Da wäre ein Zeichen der Solidarität meines Erachtens mehr als angebracht. Dieser Aspekt kommt bei Ihrem Autor zu kurz.

Renate Brosseder, Schliersee

Faire Lastenverteilung

Meiner Meinung nach gibt es sehr viele Gründe für die heutigen Miseren, wo kann man da dann eigentlich aufhören mit Schuldzuweisungen: Wer hat sich den Generationenvertrag ausgedacht? Wer hat nicht genug Kinder in die Welt gesetzt? Wer hat Zuwanderung verhindert? Wer hat aus Gier oder aus Sorglosigkeit die Natur unerträglich ausgebeutet? Wer hat den Wehr- und Ersatzdienst abgeschafft? Aber eine pauschale Schuldzuschreibung ist immer zu einfach, höchstens Populisten und Extremisten versuchen diese einfache Lösung.

Wir brauchen Lösungen, um wieder wehrhafter zu werden und um dem Pflegenotstand zu begegnen. Beides ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, also sind nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten angesprochen. Zudem ist heute manch 60-Jähriger fitter als ein 20-Jähriger.

Nach dem Wehrdienst-Modernisierungsgesetz sollen ja alle 18-Jährigen vom Staat erfasst werden und zu deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Ableistung des Wehrdienstes befragt werden. Warum nicht auch eine Abfrage zu deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Ableistung eines Zivildienstes? Warum nicht auch alle 60-Jährigen erfassen und befragen?

Und wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, gibt es zwei Pflichtjahre für einen Bürgerdienst, einmal beim Übergang von der Schule ins Arbeitsleben und dann noch einmal beim Übergang vom Arbeits- ins Rentnerleben. Die anstehenden Lasten sollte auf jeden Fall gerecht auf alle verteilt werden.

Stefan Baron, Rückersdorf

Das Land aufgebaut

Ich bin Jahrgang 1964 und aus der Generation, die meistens mit der nichtssagenden Worthülse „Boomer“ bezeichnet wird. Hannah Arendt hat einmal formuliert, Sprache habe die Aufgabe, Wirklichkeit so genau wie möglich abzubilden. Wir, also die „Nachkriegsgeneration“, haben zusammen mit unseren Eltern dieses Land aufgebaut.

Selbstverständlich haben wir nicht alles perfekt gemacht, denn nichts ist perfekt. Aber wir haben es mit einer gut funktionierenden parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, einem Bildungs-, Gesundheits-, Rechts- sowie Sozialsystem und einer Infrastruktur ausgestattet, die lange Zeit Vorbild für weite Teile dieser Welt war.

Unser Erfolg spiegelt sich zum Beispiel in den exorbitant hohen Zahlen von Studenten aus Nicht-EU-Ländern (allen voran China, die Türkei und Indien), die kommen, um hier ein sehr gutes, fast kostenfreies Hochschulstudium zu absolvieren, oder (vor der Verschärfung des Asylrechts) in der exorbitant hohen Zahl an Flüchtlingen wider, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, da hier die Sozialleistungen höher und leichter zu erhalten sind als anderswo auf dieser Welt. Im Umweltschutz haben wir die Partei Die Grünen quasi aus der Taufe gehoben (Sie erinnern sich: 1983, wir 64er waren soeben 18 geworden, trat diese Partei erstmals zur Bundestagswahl an), den Bioanbau vorangetrieben und das Ruhrgebiet wieder bewohnbar gemacht.

Nun schreiben Sie, dass Sie die negativen Zuschreibungen für unsere Nachkriegsgeneration „einfach nur doof“ finden. Das ist beliebiger, sich anbiedernder, aber nichtssagender Pseudo-Jugendsprech. Dieser erreicht diese Zielgruppe jedoch nicht (mein Sohn, im Abiturjahrgang, meine Tochter, Hebamme, lesen die SZ nicht). Ich lese die SZ seit der 5. Klasse, das ist jetzt circa 50 Jahre her. Ich muss jedoch in den letzten fünf bis sieben Jahren einen ausgeprägten inhaltlichen und sprachlichen Niveauverlust dieser Zeitung feststellen.

Dr. Thomas Lukowski, München

Belastete Boomer

Die Überlegungen des Wirtschaftswissenschaftlers Marcel Fratzscher zu einem Boomer-Soli fasse ich als grundsätzlich legitimen Debattenbeitrag auf. Einer wissenschaftlich fundierten Analyse der Lasten, die die Generation der sogenannten Boomer im Vergleich zu jüngeren Generationen angeblich zu wenig getragen haben soll, dürften seine Vorschläge nicht standhalten.

Hier drei Beispiele für Sonderlasten der sogenannten Boomer-Generation, jedenfalls des Teils, der nicht selbständig beschäftigt war/ist und dem ich angehöre (Jahrgang 1960).

1) Angestellte meines Jahrgangs zahlen seit 1991 durchgehend den sogenannten Solidaritätszuschlag, um die dauerhaften Lasten aus der Wiedervereinigung mitzutragen (Anmerkung: Das Wording „Boomer-Soli“ von Herrn Fratzscher ist wirklich schlau gewählt, es zielt ab auf den Gewöhnungseffekt der älteren Generation). Rhetorische Frage: Wie viel Soli zahlt ein junger Arbeitnehmer, der 2021 in das Erwerbsleben eingestiegen ist?

2) Nach Auffassung vieler Experten wurde die deutsche Wiedervereinigung ganz wesentlich über die gesetzliche Rentenversicherung finanziert. Viele ostdeutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger bekamen und bekommen – aus meiner Sicht völlig richtig – seit 1991 gesetzliche Renten, ohne sich jemals mit eigenen Beiträgen am bekannten Umlagesystem beteiligt zu haben. Finanziert haben dies die damaligen Beitragszahler, also Angestellte und deren Arbeitgeber. Ach ja, andere Berufsgruppen haben sich auch daran beteiligt, allerdings nur über den jährlichen Bundeszuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung – wobei: Den Bundeszuschuss haben auch die Angestellten und deren Arbeitgeber ebenfalls getragen, nun in ihrer Rolle als Steuerzahler.

3) Viele männliche Angehörige der sogenannten Boomer-Generation sind – wie der Absender – zur Bundeswehr eingezogen worden und haben dort 15 Monate (oder länger) gedient. Gefragt wurden wir damals nicht, ob wir diesen Akt der Solidarität gegenüber der deutschen Gesellschaft erbringen wollen und ob wir es gut finden, 15 Monate später in die Berufsausbildung einzusteigen. Zum Vergleich: Die aktuelle junge Generation will – wenn man den jüngsten Umfragen glauben darf – nicht so gerne zum Militärdienst, auch nicht angesichts der mit Händen zu greifenden Bedrohung durch Putin. Nach der Initiative Demokratische Stimme der Jugend sei die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht vollends ungerecht, weil sie allein die jüngere Generation betreffe, und es dürfe ohne die Beteiligung der Jugend keine Entscheidung über eine neue Wehrpflicht geben.

Jede Generation hatte und hat ihre eigenen Rucksäcke zu schultern. Pauschalierungen wie die des Herrn Fratzscher finde ich schwierig, man sollte sich schon die Mühe machen, sich die Leistungsfähigkeit einzelner Gruppen anzuschauen, zum Beispiel derjenigen, denen große Vermögen früherer Generationen leistungslos und bei verhältnismäßig geringer Steuerlast (oder gleich ganz steuerfrei, siehe große Unternehmensbeteiligungen) zugewachsen sind. Generationengerechtigkeit ist ein wichtiges Ziel in der politischen Diskussion und Entscheidungsfindung. Voraussetzung dafür ist, dass alle Fakten auf den Tisch kommen und dass die Partikularinteressen einzelner Lobbygruppen als solche eingeordnet werden.

Georg Niederreiter, München

Undankbare Kinder!

Auch ich gehöre zu den Boomern. Und unsere Generation ist auch daran schuld, Kinder und indirekt auch Enkelkinder in die Welt gesetzt zu haben, die uns nun für alles Mögliche verantwortlich machen. Nicht verantwortlich sind wir natürlich dafür, den Kindern durch unsere Arbeitsleistung eine auskömmliche Kindheit ermöglicht und sie an einen hohen Lebensstandard gewöhnt zu haben. Und der muss natürlich auch bei ausgebauter Work-Life-Balance gehalten werden. Steigende finanzielle Belastungen wären dabei natürlich kontraproduktiv.

Josef Feuerstein, Markt Schwaben

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