Süddeutsche Zeitung

Betriebsrenten:Gerechtigkeit sieht anders aus

SPD-Kandidat Martin Schulz will die Agenda-2010-Gesetzgebung auf den Prüfstand stellen. Leser meinen, auch beim Thema Betriebsrenten müsse ein Fehler aus der Schröder-Ära korrigiert werden.

Zu "Betriebsrentner müssen weiter zahlen" vom 24. Februar:

Riesiger Vertrauensbruch

Es stimmt, fast alle Rentner mit Betriebsrenten sind sehr erbost. Leider weist aber der Artikel nicht auf die eigentliche Ursache der Verärgerung hin. Bei Einführung der Beitragspflicht zu den Krankenkassen im Jahre 2004 geschah dies rückwirkend seit Abschluss der jeweiligen Lebensversicherungen. Dies führt dazu, dass Rentner, die jahrzehntelang unter anderen Voraussetzungen eingezahlt haben, teilweise enteignet werden und sich von der Politik betrogen fühlen. Die rückwirkend eingeführte Beitragspflicht ist eine in der Bundesrepublik einmalige Verletzung des Vertrauensschutzes. Dass das Bundesverfassungsgericht dies mit einer geradezu lächerlichen Begründung legitimiert hat, macht den Zorn der Betroffenen nicht kleiner. Wer solche Gesetze macht und nicht in der Lage oder willens ist, sie zu korrigieren, sollte sich über Vertrauensverlust und Politikverdrossenheit nicht wundern.

Franz Pfeifroth, Ebersberg

Nichts als Sprechblasen

Da mag SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch so viel über soziale Gerechtigkeit schwadronieren - das Thema Betriebsrenten zeigt deutlich die Realität auf, also wie die SPD in Sachen Sozialpolitik tatsächlich tickt. Nicht nur Betriebsrenten, auch alle Kapitalleistungen aus berufsständischen Versorgungswerken unterliegen seit 2004 dank der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) der vollen Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung, wobei die Kapitalleistung in 120 Monatsraten umgerechnet wird. Ergebnis in meinem Fall: Obwohl mein (Zwangs)-Versicherungsvertrag mit meinem berufsständischen Versorgungswerk schon von 1970 datierte und sowohl meine Eigenbeiträge als auch die Arbeitgeberzuschüsse zu dieser Versorgungskasse immer vom Nettolohn abgingen, also bereits der Sozialversicherungspflicht unterlagen, muss ich seit Renteneintritt im Oktober 2009 zusätzlich zu den rund 240 Euro, die mir die Deutsche Rentenversicherung monatlich gleich von der Rente abzieht, zusätzlich noch weitere rund 320 Euro direkt an die AOK bezahlen. Als alleinversichertes AOK-Mitglied mit rund 2200 Euro monatlicher Bruttorente beläuft sich mein monatlicher AOK-Eigenbeitrag also auf 560 Euro - selbst Höchstverdiener mit mitversicherten Familienangehörigen müssen aktuell maximal nicht mehr als rund 400 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Zur Klarstellung: Ich jammere keineswegs über die Höhe meiner in immerhin mehr als 49 Beitragsjahren erworbenen Rente - ich klage die nachträgliche kalte Enteignung samt Ungerechtigkeit an, die die SPD ganz entscheidend zu verantworten hat. Mir war zwar schon klar, dass sich, wie aus dem oben genannten Bericht hervorgeht, an dieser Ungerechtigkeit nichts ändern wird, zumal das Bundessozialgericht schon vor Jahren den vollen Beitragssatz für legitim erklärt hatte, weil dieser wegen der Generationensolidarität geboten sei - so die hochbezahlten Richter, die als pensions- und beihilfeberechtigte Beamte zu der von ihnen beschworenen Solidarität innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung selbst nichts beitragen müssen. Mich ärgert aber das Geschwafel über soziale Gerechtigkeit von Martin Schulz. Hatte SPD-Ministerin Ulla Schmidt, als sie ihr Gesetz zur "Modernisierung" der Krankenkassenfinanzierung auf den Weg brachte, nicht großsprecherisch angekündigt, in weiteren Schritten würden aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zur Beitragsbemessung auch Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung herangezogen? Nichts als Sprechblasen!

Werner Müller, Waiblingen

Österreich macht's besser

Thomas Öchsner berichtet sehr neutral über den Sachstand und darüber, weshalb an der "Verbeitragung" von Rentnereinkommen nichts geändert werden müsse. Hier tut sich ein weites Feld auf für Martin Schulz oder die AfD. Am Satz, "diese sei ein unverzichtbarer Bestandteil für eine solidarische und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung" (gemeint ist die Verbeitragung) ist praktisch alles falsch. Die gesetzliche Krankenversicherung ist weder solidarisch noch nachhaltig. Die erste zentrale Frage muss doch sein, weshalb ein Rentner grundsätzlich mehr Abgaben leisten muss im Verhältnis zu seinem Einkommen. Die zweite zentrale Frage muss dann sein, weshalb das Gesundheitswesen in Deutschland mit den enormen Einnahmen nicht zurechtkommt, dass es sich sogar bei den Betriebsrentnern bedienen muss. Da lohnt sich mal ein Blick über die Grenze nach Österreich. Das dortige Verbeitragungsmodell beruht auf einer Bürgerversicherung. Es gibt nur eine gesetzliche Krankenkasse, die Gebietskrankenkasse, vergleichbar mit der AOK. Private Krankenkassen sind verboten (per Gesetz), man kann aber bei Versicherungen eine private Zusatzversicherung abschließen (Chefarzt, Einzelzimmer, andere Essensauswahl). Es gilt Versicherungspflicht. Dann gibt's noch einige wenige "Betriebskrankenkassen" und noch vier oder fünf andere. Der solidarische Beitrag (also für alle) beträgt 5,1 Prozent der Bruttoeinnahmen. Da erhebt sich nun die Frage: Wer macht da was falsch? Ich lebe jetzt in Österreich und kann nicht erkennen, dass die Gesundheitsvorsorge hier nicht absolut vergleichbar wie in Deutschland ist. Die demografischen Probleme sind hier wie dort dieselben. Wenn ich Martin Schulz wäre, wüsste ich, was zu tun ist, wenn die aktuelle Regierung diese Themen immer nur zerredet. Und Rentner gibt's ja viele.

Dr. Friedrich Wörndle, Telfs/Österreich

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3410000
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.