"Symbol der Unterdrückung" vom 7. Juni
Religiöse Weltformel
Es ist für mich abwegig, in der geplanten Anbringung eines Kreuzes über der Kuppel des künftigen Humboldt-Forums anstelle des früheren Berliner Stadtschlosses eine einseitige Dominanz des Christentums unter den Weltreligionen zu sehen. So weit geht übrigens auch die Neutralitätsverpflichtung unseres Staates nicht. Da könnten sich die Kritiker eher an der wieder hergestellten barocken Fassade als vermeintlich abendländischem Herrschaftsgebaren stören. Eindeutig abwegig ist die Sicht von Kia Vahland im zitierten Kommentar, das Kreuz sei ein Symbol der Unterdrückung. Vielmehr geht das Kreuz als Kultgegenstand bis auf die vorchristliche Steinzeit zurück. Als religiöse Weltformel symbolisiert es die gleichmäßige Verbindung von Himmel und Erde. Im Christentum steht das Kreuz für die Beziehung zwischen Gott und den Menschen einerseits, wie der Menschen untereinander. Es ist Symbol für Frieden und Erlösung. Hierzu zählt auch das Toleranzgebot der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert, wie durch die Bibel gelehrte Nächstenliebe. Damit steht das Kreuz für mich über jeder modernen Ideologie. Es verkörpert unsere christlich-abendländische Identität nicht nur bezogen auf die Vergangenheit, sondern lädt ein zum weltumfassenden Konzept des neuen Humboldt Forums an geschichtsträchtigem Ort im Herzen Berlins.
Jochen Freihold, Berlin
Gott und Teufel
Die Kommentatorin will also, dass das Disneyschloss in Berlin ohne das historische Kreuz auf der Kuppel errichtet wird. Ich bin kein Christ, ich bin noch nicht einmal Atheist. Trotzdem schreckt mich das christliche Symbol nicht. Wenn ich etwas schlecht fände, dann das panische Weglassen. Ich würde mich zum Beispiel freuen, wenn man in einem Berliner Park einen Buddha aufstellte. Einfach nur so; für die Minderheit, die damit etwas anfangen kann. Ausgleich durch Hinzufügen. Berlin hat viele Gesichter. Ich verbinde Berlin mit dem Gott der preußischen Koppelschlösser ("Gott mit uns") und dem Teufel (Fritz) von der "Spaßgerilja". Warum kann man das nicht alles vermischen? Wer die christlich-preußische Tradition nicht verherrlichen möchte, hat genug Möglichkeiten, seine eigenen Symbole zu zeigen. Eine Kultur des Weglassens ist eine Kultur der Intoleranz. Freiheit ist meistens die Freiheit des schlechten Geschmacks. Und wenn ich einmal träumen darf: Das Schloss wird originalgetreu errichtet, und ein Geistesverwandter von Fritz Teufel baut ein Katapult und beschießt das Kreuz mit Puddingbomben. Das wäre gleich zweimal Berliner Tradition.
Ernst Horst Particulier, München
Eskalierende Irrationalität
Mir leuchtet nicht ein, dass auf das Stadtschloss "heutzutage kein Kreuz mehr" gehören soll. Ist es denn nicht absurd, dass ausgerechnet diejenigen, die zu maximaler Toleranz und größtmöglicher Konzilianz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Gebräuchen aufrufen, zugleich fordern, dass Symbole der eigenen kulturellen Grundlagen verdrängt oder getilgt werden? Die nächste Eskalationsstufe der Irrationalität wäre dann erreicht, wenn Embleme wie das Rote Kreuz oder das Grüne Kreuz und Begriffe wie Drehkreuz oder Kreuzworträtsel eliminiert werden sollen, weil doch letztlich auch sie an die Kreuzzüge und das Gottesgnadentum erinnern.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann, Berlin
Zweite Bestrafung
Wenn man schon das Berliner Stadtschloss aus ideologischen Gründen in der Nachkriegszeit sprengen zu müssen glaubte, um damit zu demonstrieren, dass eine neue Klasse die Macht übernommen hatte, und die unselige Allianz von Thron und Altar tatsächlich ein Ende hatte, so hatte man nach der Wende den Berlinern ein zweifelhaftes (und teures) Geschenk machen wollen, dieses historische Denkmal wieder so aufzubauen, wie es nun einmal war, denn die Arbeiter- und Bauernmacht war ja nicht mehr da...
Aber anscheinend konnte ihre Ideologie überleben: Die Autorin würde sicher nicht mit der Wimper zucken, wenn auf der Wiese vor dem Reichstag eine repräsentative Moschee hochgezogen werden sollte, aber sie kann das Kreuz auf der Kuppel nicht leiden. Es ist doch nur ein irreführendes Scheinargument, auf ein Museum passe kein Kreuz! Es geht hier in Wirklichkeit um eine zweite Bestrafung von Thron und Altar: Diesmal soll allein der Thron prachtvoll wiederauferstehen, das geht in diesen Zeiten noch eher als ein christliches Symbol, das noch nicht einmal kosten würde. Vielleicht ein klitzekleines Kreuzchen?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich als aufgeklärter Christ leide natürlich auch an diesem unseligen "Thron-Altar-Bündnis", aber mit dem großen Theodor W. Adorno glaube ich, dass Aufklärung nicht bei Christenhass stehen bleiben sollte, das wäre provinziell.
Dr. Michael Stegherr, Nürnberg