Parlamentsberichterstattung:"Herr Habeck, das muss da weg!"

Parlamentsberichterstattung: Robert Habeck von den Grünen, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, weiß, wie man auch aus der Distanz Nähe herstellen kann.

Robert Habeck von den Grünen, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, weiß, wie man auch aus der Distanz Nähe herstellen kann.

(Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Beobachtet man für die SZ in Berlin die Bundespolitik, ist man stets in Eile, erfährt viel und wägt ab zwischen Nähe und Distanz zu Politikern. Mancher schreckt seinerseits nicht davor zurück, sein Fahrrad mit dem der Korrespondentin zusammenzuschließen.

Von Constanze von Bullion

Das Leben einer Hauptstadtkorrespondentin in Berlin ist ungefähr so glamourös wie das einer Heuschrecke. Sie ist eigentlich pausenlos in Eile, kratzt hier, zirpt dort, löst gelegentlich Katastrophenalarm aus bei Parteien oder Abgeordneten, die sie aus nächster Nähe begleiten soll, ohne ihnen dabei zu nahe zu kommen. Denn nichts ist gefährlicher als fehlende Distanz in diesem Beruf, der so beglückend wie absurd sein kann. Seit der Erfindung digitaler Geräte kommt er dem Reich des Wahnsinns jedenfalls täglich näher.

Wer für eine Zeitung wie die SZ die Bundespolitik beobachtet in Berlin und darüber schreibt, hat oft eine Partei zu beobachten und dazu das eine oder andere Ministerium. Natürlich beobachten die Kolleginnen und Kollegen anderer Medien die gleichen Parteien und Ministerien. Ziel ist es also, mehr und früher zu erfahren, was los ist in den Stuben der Politik, in denen sehr viele Menschen dafür bezahlt werden, für schmeichelhafte Presseberichte zu sorgen - also immer nur einen Teil der Dinge zu offenbaren, die drinnen ausgehandelt werden.

Der Hauptstadtkorrespondentin obliegt es dann, die Dichtung von der Wahrheit zu trennen und Selbstbeweihräucherung politischer Akteure von Lügen. Was dabei rauskommt, der Artikel, wird dann verfüttert an Kanäle, die jeden Monat mehr zu werden scheinen. Zeitung, das ist bekanntlich nicht mehr nur bedrucktes Papier, das bis zum Redaktionsschluss am Nachmittag vollzuschreiben ist.

Auch digitale Formate wollen bedient werden, gern sofort. Die Website hat Tag und Nacht Hunger auf Texte aus Berlin, dazu kommt der Audio-Podcast. Und dann - "aber nur wenn's wirklich passt, tausend Dank im Voraus" - wäre es gut, wenn das Parlamentsbüro beim digitalen Nachrichtenticker helfen könnte, also im Minutentakt aus dem Bundestag berichten, wer gerade was sagt und wie.

Manchmal entsteht Vertrauen zwischen den Schreibern und den Beschriebenen

Damit es keine Missverständnisse gibt: Der Job ist toll. Es ist ein Privileg, zu erleben, wie Horst Seehofer sich hinter den Kulissen über die Flüchtlingsfrage aufregt und über die Gesellen in der Unionsfraktion. Oder bei Annalena Baerbock im Wahlkampfbus zu sitzen, während das halbe Land sich über ihre Pannen im Bundestagswahlkampf aufregt. Und ja, es gibt Momente, in denen Politikerinnen und Politiker sich öffnen und zu erkennen geben, was sie umtreibt: der Druck, die Wut, auch eigene Fehler. Im Glücksfall kann aus solchen Situationen so etwas wie Vertrauen entstehen zwischen den Schreibern und den Beschriebenen, jedenfalls ein bisschen.

Die Kunst der Berichterstattung allerdings besteht darin, sich davon nicht einwickeln zu lassen - und rechtzeitig wie die Heuschrecke das Weite zu suchen. Denn Vertraulichkeit schafft innere Verpflichtung. Sie entwaffnet. Politiker wissen das sehr genau, manche haben es zur Meisterschaft darin gebracht, Nähe herzustellen, wo sonst eher professionelle Distanz herrscht. Robert Habeck zum Beispiel.

Zum ersten Treffen des Grünen-Politikers mit der Grünen-Korrespondentin der SZ im Jahr 2017 erschien Habeck gut gelaunt auf dem Fahrrad - und kettete sein Rad gleich mal als Erstes an das Rad der Berichterstatterin. So nach dem Motto: Wir gehören doch zusammen. "Herr Habeck, das muss da weg", gab sie zu verstehen. "Wieso? Zu viel Verbrüderung?", fragte er. So als wüsste Habeck nicht sehr genau, wie das geht: andocken. Auf Augenhöhe gehen. Um gemocht zu werden.

Dichtzuhalten ist der neue "Stil"

Ähnlich schnell, wie Nähe gespendet wird im politischen Berlin, kann sie auch wieder entzogen werden. 2021 war das so, als die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zusammenfand. Bis dahin hatten die Grünen in der Opposition gesessen und ihre Tage damit zugebracht, Anträge für den Bundestag zu schreiben, die sowieso keine Mehrheit finden würden. Das Parlamentsbüro der SZ möge doch bitteschön mehr über solche Anträge berichten, fanden etliche Abgeordnete. Es gab auch dauernd Hintergrundrunden, jede Menge Gesprächsbedarf mit der Presse.

Mit der Regierungsbildung hat die grüne Geschwätzigkeit ein jähes Ende gefunden. Baerbock und Habeck sind jetzt Ministerin und Minister, also abgeschirmt durch große Apparate, die nur nach außen dringen lassen wollen, was den Ruhm der Regierenden mehrt. Auch in der grünen Parteizentrale und der Bundestagsfraktion wird jetzt eine Form der Kommunikation geübt, die als neuer "Stil" gepriesen wird: dichtzuhalten.

Vertraulichkeit ist da jetzt oberstes Gebot, es gilt für alle wichtigen Verhandlungen von Regierung und Koalitionsparteien. Die Methode funktioniert. Wo der Presse früher emsig Informationen durchgesteckt wurden, werden Nachfragen jetzt gern mit immer gleichen, hinhaltenden Sätzen abgewehrt. "Wir warten erst einmal den Stresstest ab." Oder: "Das werden die Gespräche zeigen." Aber nicht nur Journalisten werden da ferngehalten. Auch Kollege Christian Lindner von der FDP soll nicht vorab erfahren, was die Grünen so alles planen. Weshalb sie manches politische Konzept erst gar nicht zu Papier bringen, sicher ist sicher. Schlechte Zeiten also für die Hauptstadtberichterstatterin? Es hat schon schlechtere gegeben.

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