Bayern:Auf der Toilette mit Söder und Seehofer

Was erlebt man, wenn man im Freistaat als Reporter unterwegs ist? Fünf SZ-Redakteure teilen prägende Erinnerungen.

Von Sebastian Beck, Maximilian Gerl, Andreas Glas, Hans Kratzer und Olaf Przybilla

Die Schönheit Niederbayerns

Niederbayern, wie sich das schon anhört. In einer Reportage habe ich mal geschrieben, dass Niederbayern nach einem Landstrich klingt, in dem die Leute geduckt gehen, um sich nicht den Kopf zu stoßen am brettharten Selbstbewusstsein der Oberbayern. "Eine Verunglimpfung der hiesigen Leute", fand ein Leser, was zu den freundlicheren Zuschriften gehörte. Und ein bisschen hatte der Leser ja recht. Die Formulierung war zugespitzt, pauschal. Falsch war sie trotzdem nicht. Ich kenne Niederbayern, ich war dort fünf Jahre lang Korrespondent.

Einmal bin ich in Taubenbach gewesen, bei den "Red Bulls", die lustigerweise nichts mit diesem Büchsenklub aus Leipzig zu tun haben, der fast genauso heißt. Die "Red Bulls" sind, kein Schmarrn, der größte FC-Bayern-Fanklub in Niederbayern, und ihr Präsident ist der Grabmeier Rudi, der "Präse", wie die Leute zu ihm sagen. Damals, in Taubenbach, habe ich den Grabmeier Rudi gefragt, was er denn eigentlich so von den Oberbayern hält. Da denke er immer an König Ludwig, hat der Grabmeier Rudi geantwortet. Und woran denkt er bei Niederbayern, was gibt es hier Schönes? Mei, sagte er: "Es wird bestimmt was geben, sonst würden wir hier nicht wohnen."

Mei, die Niederbayern, manchmal blind für die Schönheit ihres eigenen Landes, in dem das Bierzeltboxen zum Kulturgut gehört, noch so ein Reportererlebnis, in Simbach am Inn. Da hat Robin Maier, damals 20 Jahre jung, seinen ersten Kampf gewonnen. Kampfgage: 20 Euro, eine Mass, ein halbes Hendl. Bierzeltboxen ist echter Sport, nur eben in einer Bullenhitze, im Dunst aus Bier und Bratfett. Irgendwann habe ich damals den Dunst hinter mir gelassen, bin nach Hause gegangen, irritiert, fasziniert, irgendwie beides. Im Ring gehe es ihm genauso, hat Robin Maier damals gesagt. "Da gibt es schon Momente, wo du dich fragst: warum? Für was?"

Aber, logisch, irgendwas wird ihm das Bierzeltboxen geben. Ihm und den Niederbayern. Sonst würden sie es ja nicht machen.

Andreas Glas

Schwerelos in Houston

Im Dezember 1988 berichtete ich über die Kreisversammlung der FDP im Gasthaus Wenninger in Oberneuching. Die Vize-Landesvorsitzende Inge Bäss hielt eine Rede mit dem Titel "Kommunalpolitik macht Freude". Die Zuhörer bestanden aus drei Mitgliedern der FDP, zehn Stammgästen, der Wirtin und der Kellnerin. "Das Volk, das sind Sie", rief Bäss in die Wirtsstube hinein. Einer der Gäste blätterte in der Fernsehzeitung, der nächste las Kleinanzeigen, ein anderer studierte das Reinheitsgebot, das an der Wand hing. Die Kellnerin strickte.

Mir ist diese absurde Szenerie noch lebhaft in Erinnerung, sie illustriert die vielen Jahre, in denen ich mehrmals in der Woche in irgendwelchen Wirtshäusern am Nebentisch saß und bei Versammlungen zuhörte. Daher kann ich sagen, dass Kommunalpolitik zwar nicht immer Freude macht, aber die ein oder anderen unvergesslichen Momente beschert. Zum Beispiel die Unterhaltung mit dem langjährigen CSU-Chef von Aigen am Inn, Josef Stempfl. Er erzählte mir, dass er 33 Jahre lang CSU-Ortsvorsitzender gewesen sei - "dann hab ich's dem Schwiegersohn übergeben". Das waren noch die Zeiten, als in Bayern eine Art demokratische Erbfolge galt.

Vergleichsweise neu in der persönlichen Hitliste ist die Bemerkung eines Fans, der das Spiel zwischen dem TSV Böbrach und der DJK Rattenberg beobachtete. Der TSV Böbrach war zu dem Zeitpunkt die schlechteste Mannschaft Bayerns und lag klar hinten. Der Fan stand neben dem Tor an der Linie, den Finger in der Bierflasche, und gab der Mannschaft den Rat: "Ihr müssts einfach mehr nach vorne spielen."

Nur ab und zu habe ich den Freistaat beruflich verlassen. Schließlich ist Bayern 70 000 Quadratkilometer groß und bietet genug Raum für Entfaltung. 1999 flog ich mit Ministerpräsident Edmund Stoiber nach Nordamerika. Aus der zehntägigen Reise ragt die eine Episode heraus, als die Delegation in Houston vor einem Spaceshuttle stand. Die Frau eines Konzernchefs wollte von einem Astronauten wissen, ob man in der Halle Schwerelosigkeit erzeugen könne (Antwort: Nein). Ein LKA-Bodyguard rollte mit den Augen und flüsterte, er werde sie jetzt irgendwo in die Pampa rausfahren und dort einfach stehen lassen. Im Bus fragte der Konzernlenker seine Gemahlin - er nannte sie "Mäuschen" -, wo die Sandwiches seien. "Du sitzt drauf", antwortete sie. Den Konzern gibt es inzwischen nicht mehr.

Sebastian Beck

Schnaps als Recherche-Hilfe

Manchmal muss man bei einer Recherche eine schier unüberwindliche Mauer bezwingen, um an die nötigen Informationen zu gelangen. Einen solch schwierigen Fall hatte ich im November 2004 in Hutthurm bei Passau zu bewältigen. Ein Unbekannter hatte wochenlang Umschläge mit Briefbomben an Politiker und Behörden verschickt. Mithilfe eines DNS-Massentests in der örtlichen Turnhalle wollte das Landeskriminalamt den brisanten Fall klären.

Der 22-jährige Täter, der aus der Nähe von Hutthurm stammte, erkannte, dass er in der Falle saß. Am Abend dieses Tages setzte er seinem Leben ein Ende, indem er sich auf einem Feld in die Luft sprengte. Über Hutthurm brach danach eine Invasion herein. Hundertschaften von Journalisten und Kameraleuten durchkämmten am darauffolgenden Samstag den Ort, in dem quasi Belagerungszustand herrschte. Hutthurm wurde in die bundesweiten Schlagzeilen katapultiert.

Der Trubel nahm die Menschen schwer mit, am Samstagabend wirkte der Ort wie ausgestorben, alle Rollläden waren heruntergezogen. Die Pressemeute hatte die Bevölkerung bei ihrer Jagd nach Zeugen und Gesprächspartnern schwer erschreckt und verunsichert. Das war die Situation, als ich an diesem Abend in Hutthurm eintraf, es regnete, es wirkte wie eine Geisterstadt, wie sollte ich hier noch etwas erfahren?

In meiner Not begab ich mich in ein Wirtshaus, aus dem noch Licht drang. Und siehe da, der Stammtisch war dicht besetzt, aber die Gespräche verstummten sofort, als ich die Gaststube betrat. Schon wieder so einer, der uns ausquetschen will, schleich di! Das dachten die Männer, es war an ihren Mienen unschwer abzulesen.

Was tun? Ich nahm allen Mut zusammen und fragte, ob ich mich dazusetzen dürfe. Einer nickte, die anderen ignorierten mich, die Gespräche liefen schleppend weiter. Ich begann mit meinem Sitznachbarn eine zähe Unterhaltung. Langsam wurden die Männer doch neugierig, wer ich sei, und was ich im Schilde führte. "Wir wissen nix mehr, wir hamm alles schon erzählt", sagten sie.

Langsam begrub ich meine Hoffnungen, tat aber stopselnd kund, dass ich sie bewundere, wie gelassen sie den Trubel ertragen. Schon wurden die Männer gesprächiger, einer fragte herausfordernd: "Zahlts ihr da was, wenn wir was sagen?" "Das nicht", entgegnete ich, "aber wennz an Schnaps mögts, dann zahl i a Rundn!" Den Gesichtern war stille Zustimmung zu entnehmen.

Die Wirtin stellte schleunigst 20 Stamperl auf den Tisch, wir stießen fröhlich an, das Eis war gebrochen. Erst recht nach der zweiten Runde. Es wurde teuer für mich, ich konnte die Runden ja schlecht als Spesen einreichen, Schnaps, welche Kostenstelle hätte das für gut geheißen? Die Männer aber hatten mich endlich akzeptiert, sie erzählten stolz und voller Vertrautheit, was sie wussten. Zuletzt führte mich sogar einer aus der Runde über den finsteren Friedhof in das Rathaus, wo wir das Geburtsdatum des Attentäters abglichen.

Die Methode, in schwierigen Recherchefällen einen Schnaps zu spendieren, hatte Glück gebracht und auch später noch einige Male wunderbar funktioniert.

Hans Kratzer

Der Reporter als Versuchsobjekt

Wer als Wirtschaftsreporter durch Bayern reist, kann sich glücklich schätzen. So leicht spaziert es sich als Laie selten durch von gewaltigem Brummen erfüllte Werkshallen, an funkensprühenden Hochöfen vorbei oder an Bildschirmen, auf denen Computerspiele zum grafischen Leben erwachen. Böse Zungen - meine besten Freunde - behaupten daher, dass diese Form der Arbeit hauptsächlich darin bestehe, anderen beim Arbeiten zuzuschauen. Sie liegen natürlich völlig daneben, weil sie das große Risiko dieses Jobs nicht kennen: Ständig muss man als Versuchsobjekt oder Produkttester herhalten.

Bislang - und das ist vielleicht das eigentliche Glück - ging die Testerei gut aus. Zumindest endete sie stets ohne Verletzte. Denn nicht immer sind die Produkte so harmlos wie jenes Paar Socken, das ein Textilfabrikant stolz zu Testzwecken mit nach Hause gab. Bei einem Klebstoffspezialisten im Münchner Umland etwa finden sich Besucher in einem Labor wieder, um dort mit Chemikalien zu experimentieren - wobei die Botschaderen (deutsch: Ungeschickteren) in ernste Gefahr laufen, sich mit dem Interieur für alle Zeiten untrennbar zu verbinden. Und ein Hopfenhändler nötigte an einem Vormittag außerordentliche Robustheit ab, als sich das Interview plötzlich von einem Büro in einen Keller verlagerte, wo die nigelnagelneue Versuchsbrauerei auf ihren ersten Gast wartete. Die verschiedenen Hopfensorten ließen sich mit der Zeit zwar geschmacklich nicht mehr ganz trennscharf erfassen, wurden aber immer besser.

In spezieller Erinnerung geblieben ist allerdings der Hausbesuch bei einem niederbayerischen Erfinder. Weniger, weil das Gebäude ein paar Meter weiter nur noch eine verkohlte Ruine war, seit der Nachbar Experimente mit selbstgebastelten Nagelbomben angestellt hatte. Mehr schon, weil der Erfinder versuchte, Journalist und Fotograf seine neuste Erfindung anzudrehen: ein Sexspielzeug. Nur mit Mühe ließ sich dieser Testauftrag, auch wenn er mit einigem Augenzwinkern vorgetragen wurde, erfolgreich abwenden.

Maximilian Gerl

Zwei CSU-Granden ganz privat

Der CSU-Parteitag in Würzburg 2007 muss ein besonderer gewesen sein. Als Unterfranken-Korrespondent (ja, so was gab's mal) war ich zuständig, und wenn man so liest, was im Blatt stand nach diesem Parteitag, so kann man nur sagen: Oha, muss was los gewesen sein in dieser unansehnlichen Würzburger Halle. CSU-Chef Erwin Huber hatte am Mikrofon einen regelrechten Rappel bekommen, weil der Parteitag "erfolgreichen Kommunalpolitikern" der CSU gewidmet sein sollte - aber im Saal fast keiner mehr da war von den Parteigranden, als es exakt darum ging. Tja.

Erinnerung daran? Null. Dafür werde ich den Gang zur Hallentoilette nicht vergessen. Es war nichts los dort in dem Moment, nur aus dem Augenwinkel war beim Eintreten ein relativ großer Delegierter zu erkennen, den es offenbar ebenfalls drückte: Markus Söder. Also rein in eine der etwa zehn, allesamt verwaisten Kabinen, wer will schon Smalltalk mit Söder am Pissoir halten?

Kurz darauf ist zu hören, wie sich die Tür öffnet, lange Schritte, er ist da. Und ein paar Augenblicke später geht schon wieder die Tür, erneut raumgreifende Schritte. Zu hören ist eine sonore Stimme, die auch 2007 schon ziemlich bekannt war: Horst Seehofer.

Nun könnte man das für eine lachhafte Petitesse halten, gewiss. Mit dem Wissen von einst aber war die Vorstellung, dass da soeben ER auf IHN trifft, Seit an Seit, nicht ganz ohne. Immerhin war ein paar Wochen zuvor bekannt geworden, dass erstens Seehofer, der Bundesagrarminister, erneut Vater geworden ist, ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung.

Und es wurde zweitens wild darüber spekuliert, ob womöglich Söder, aufgrund spezieller Kontakte zur Boulevardpresse, vielleicht doch nicht so komplett unbeteiligt gewesen sein könnte am Bekanntwerden dieser Seehofer-News (was Söder aufs maximal Schärfste bestreitet).

Was sagen Menschen in so einem Moment, wenn sie sich partout nicht aus dem Weg gehen können in einem, nun ja, geschützten Raum? Bleibt hier ein Geheimnis, logisch. Nur das vielleicht: So spektakulär, wie man denken könnte, war der Gedankenaustausch nicht.

Olaf Przybilla

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