Bayern:Bildungspolitik für Dumme

Die CSU unter Ministerpräsident Horst Seehofer will nun eine Rolle rückwärts machen und an Bayerns Gymnasien das G 9 wieder einführen. Für Leser ist das nichts anderes als die Fortsetzung der stümperhaften Einführung des G 8 unter Edmund Stoiber.

"Mangelhaft" vom 6. März:

Guerillakrieg der Lehrer

Bayerns Schüler sind nun mal dümmer - und deshalb brauchen sie eben länger. Anders lässt sich die G8/G9-Diskussion schon lange nicht mehr nachvollziehbar erklären. Nachdem den G-8-Hassern seit geraumer Zeit die rationalen Argumente ausgegangen sind, wird eben Bauchpolitik mit Argumenten auf AfD-Niveau gemacht, und die SZ lässt sich auch noch vor diesen Karren spannen. Wer nur ein ganz klein wenig über den Tellerrand schauen kann, wird mühelos feststellen, dass fast überall auf dieser Welt Schüler mit einem zwölfjährigen Curriculum der Hochschulreife zugeführt werden können, und dies häufig mit deutlich besseren Ergebnissen als hierzulande.

Leider haben wir in Bayern einen bildungsfernen Ministerpräsidenten, der erst alles an sich reißt, dann aber keine Lust hat, sich mit den mühseligen Details zu befassen und sich also lieber auf Volkes Stimme verlässt. Wenn das Volk mit vielen Stimmen zu einer wahren Kakofonie anhebt, und Horst Seehofer immer noch darauf hört, dann nennt man das bayerische Bildungspolitik. Unsere Lehrerschaft und unsere Bildungspolitiker ergehen sich trotz Pisa lieber in dauerhafter Nabelschau und tun so, als sei Bayern schon immer das Maß der Dinge in Sachen Bildung, so dass sie quasi im Auftrag zur Rettung des Abendlandes handelten.

In Wahrheit geht es doch um den durchaus eigennützigen Guerillakrieg der Lehrerschaft gegen das G8 mit seinem regelmäßigen Nachmittagsunterricht. Wenn ihnen dann die Lehrerin erklärt, dass sie sich nachmittags gerne zu Hause um ihre Kinder kümmert, wäre es ja nur allzu angemessen gewesen, wenn sie auch andere Eltern gefragt hätten, die in der richtigen Welt arbeiten müssen oder wollen. Diese Eltern (vornehmlich Mütter) haben den ganzen Hausaufgaben- und Betreuungsstress, hetzen aus der Arbeit nach Hause, füttern den Nachwuchs und sind dann der Reparaturbetrieb für die Defizite unseres Schulsystems. Natürlich will die Lehrerschaft auf das Reserveheer der kostenlosen Hilfslehrer nicht verzichten, weil es ihnen ja den freien Nachmittag sichert. In den OECD- und EU-Vergleichen zum Thema Chancengleichheit ist Deutschland mit schöner Regelmäßigkeit am Ende der Skala, dank der immer noch nicht vorhandenen Kinderbetreuung. Warum jedoch die schweigende Mehrheit bei diesem bösen Spiel zuschaut, wird mir ein Rätsel bleiben.

Wie kann es sich ein Land mit einem solch eklatanten Fachkräftemangel leisten, exzellent ausgebildete Menschen im leistungsfähigsten Alter in die Hausaufgabenbetreuerrolle abzudrängen?

Die Wahrheit ist natürlich so banal wie immer: Mit guten und engagierten Lehrern macht die Schule Spaß, mit lustlosen und unfähigen Lehrern eben nicht. Zweifellos muss der Lehrplan auf die zur Verfügung stehende Zeit abgestimmt werden, aber gerade da haben wir, als Eltern eines G-9- und eines G-8-Kindes, das G8 als moderner und zeitgemäßer erlebt.

Ein Punkt, der in der Diskussion bisher sträflich vernachlässigt wurde: Wer bezahlt denn das eigentlich? Den Sozialversicherungen entgehen in Zeiten des demografischen Engpasses die Einzahler für Rentenversicherung und Krankenversicherung. Wer das Thema logisch und rational zu Ende denkt, kommt schnell darauf, dass die G-9-Diskussion zwingend mit einer weiteren Verschiebung des Renteneintrittsalters oder einer weiteren Kürzung der Renten verbunden werden muss. Wie wird Seehofer das wohl erklären?

Claus Graf Stauffenberg, Erlangen

Es fehlen detaillierte Studien

Es gibt eine Reihe von Indizien, die zeigen, dass es heute am G-8-Gymnasium deutlich weniger Leistungsdruck gibt als noch vor wenigen Jahren, zumindest sehe ich das in Nordrhein-Westfalen so: Heute werden weniger Klassenarbeiten geschrieben, es wiederholen deutlich weniger Schülerinnen und Schüler ein Schuljahr, die sogenannte Abschulquote ist in den vergangenen Jahren mehr als halbiert worden und die Übergangsquote zum Gymnasium wächst ähnlich stark weiter wie der Anteil der Abiturienten an einem Jahrgang.

Bayern: Vermutlich wird es bald so weit sein, dann gehen Bayerns Gymnasiasten wieder länger zur Schule.

Vermutlich wird es bald so weit sein, dann gehen Bayerns Gymnasiasten wieder länger zur Schule.

(Foto: dpa)

Ärgerlich an der G-9-Kampagne ist, dass sie wenig mit Fakten argumentiert. In der Regel werden Einzelfälle verallgemeinert. Valide Untersuchungen fehlen. Krankenkassen haben die Stressbelastung Jugendlicher untersucht und ein erhöhtes Stressempfinden nachgewiesen, allerdings für alle Jugendlichen. Einen Unterschied bei G-8- und anderen Jugendlichen konnte nicht gezeigt werden. (Übrigens beklagen auch Erwachsene heute eher negativen Stress bei besseren Lebensbedingungen als früher.)

Dass sich Lehrer und bildungsbewusste Schüler mehr Zeit und Muße für interessante Unterrichtsvorhaben wünschen, ist nicht ungewöhnlich, aber nicht G-8-spezifisch. Ich würde mir seriöse Informationen über die Situation an G-8-Gymnasien wünschen. Wie bekommen sie den Nachmittagsunterricht in den Griff? Gibt es eine neue Aufgabenkultur? Wie wurden die Lehrpläne verändert? Welche Konsequenzen zeigt die Umorientierung auf Kompetenzen?

Dass Reportagen den Einzelfall entfalten und die individuelle Perspektive zeigen, dass Gefühle und Eindrücke ihren Raum bekommen - ok. Aber es nervt inzwischen, wieder einmal die alten, immer gleichen Neuigkeiten, die man "hinter vorgehaltener Hand" erfahren hat, serviert zu bekommen: Aufputschmittel, Klausuren, Burn-out bei Zwölfjährigen. "Im Vertrauen" können sie das auch bei G-9-Schülern und ihren Eltern hören, wenn sie es hören wollen.

Josef Scheele-von Alven, Bielefeld, Schulleiter eines G-8-Gymnasiums

Empathie und Ordnung halten

Ungern gebe ich der ehemaligen bayerischen Kultusministerin Monika Hohlmeier recht, aber das Problem ist nicht die Entscheidung zum G8, sondern was daraus gemacht wurde. Ich wünsche mir als Vater von drei Töchtern, die alle derzeit Münchner Gymnasien besuchen, anstatt einer Rückkehr zum G9, lieber einen Lehrplan, der sich von meinem vor 35 Jahren deutlich unterscheidet. Die Lehrpläne entfernen sich zunehmend von den Anforderungen und Interessen unserer Kinder. Eine Überarbeitung und Entschlackung könnte die Rettung des G8 sein.

Ich wünsche mir, dass eine (vorher gut überlegte) getroffenen Entscheidung verteidigt und beibehalten wird. Eines der Hauptprobleme unserer Politik und unserer Gesellschaft ist, dass nichts mehr Bestand hat. Nun habe ich meiner jüngsten Tochter erklären müssen, dass sie trotz guter Noten, viel Freizeit, Klavier und Sport (freiwillig) ein Jahr länger in die Schule gehen muss, als ihre beiden Schwestern. Verstanden haben wir beide das nicht. Das Geld, das nun offensichtlich für die Rückkehr zum G9 vorhanden ist, könnte man ja trotzdem nutzen, um den Kindern Wahlfächer anzubieten, die sie wirklich aufs Leben in unserer Wunschgesellschaft vorbereiten. Meine Vorschläge wären die Fächer Achtsamkeit, Empathie, Philosophie, Steuerrecht, Ordnung halten.

Michael Biedermann, München

Von wegen

Die Idee von Edmund Stoibers Abschaffung des G 9 war mitnichten, den Schülern einen schnelleren Berufseinstieg zu ermöglichen. Das war bestenfalls die nach außen vorgetragene Rechtfertigung. In Wirklichkeit war die dahinter stehende Stoiber'sche Absicht ein weiteres "Bavaria first": Bayern sollte als erstes Bundesland einen schuldenfreien Haushalt vorlegen können, und die Einführung des G 8 dazu durch Stellenabbau einen nicht unbeträchtlichen Beitrag liefern. Für die Umsetzung brauchte es im Kultusministerium eine Person, die auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrung mitbrachte und daher für Vorgaben eher dankbar war. Sie wurde in Monika Hohlmeier gefunden.

Dr. Norbert Franßen, Erfurt

Zehn statt acht

Es ist vermutlich nur eine mittlere Charakterschwäche, aber es erheitert mich seit 13 Jahren noch immer, dass es einem Mann wie Edmund Stoiber, der selbst zehn Gymnasialjahre bis zum Abitur gebraucht hat, gelungen ist, in Bayern ein achtjähriges Gymnasium durchzudrücken.

Klaus Neumann, Oberscheinfeld

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