Historischer Theaterskandal:Die teuflische Lust

Historischer Theaterskandal: In dieser Szene geht es noch gesittet zu bei der Uraufführung des Balletts "Abraxas" von Werner Egk. Stattgefunden hat sie im Münchner Prinzregententheater, am 6. Juni 1948.

In dieser Szene geht es noch gesittet zu bei der Uraufführung des Balletts "Abraxas" von Werner Egk. Stattgefunden hat sie im Münchner Prinzregententheater, am 6. Juni 1948.

(Foto: Rudolf Betz/SZ Photo)

Der Skandal um das ebenso erotisch wie politisch aufgeladene Ballett "Abraxas" aus den frühen Zeiten des Freistaats erklärt Bayern. Ein Blick in die Geschichte.

Von Susanne Hermanski

Ein echter Theaterskandal! So was gab es damals noch, in den Anfangszeiten des Freistaats. Und er bot, was dazugehört: ekstatisch getanzte Liebesakte zwischen Faust und dem weiblichen (!) Teufel, die moralische Empörung des CSU-Kultusministers über derlei gotteslästerliches Treiben, ein launiges "Streiflicht" über dessen mögliches Wahlkampf-Kalkül, hitzige Landtagsdebatten über die Freiheit der Kunst - und ein juristisches Nachspiel. Denn der Komponist, dessen Ballett fortan in München nicht mehr aufgeführt werden durfte, klagte dagegen: Er wäre bereit gewesen, die anstößigsten Szenen zu entschärfen, hätte er nur an weiteren Aufführungen verdienen dürfen. Ging es doch in jenen Tagen eher weniger um halbnackte Wahrheiten, denn ums nackte Überleben.

Was genau verbarg sich also wirklich hinter dem "Abraxas"-Skandal, der sich 1948 in Bayerns Geschichte einschrieb? Und der dank Alois Hundhammer, dem Legende gewordenen Minister, das Image vom erzkonservativen, tiefschwarzen, kirchenhörigen Land im Süden der damals noch zu gründenden Republik mitprägte?

Die Uraufführung des Balletts "Abraxas" von Werner Egk genießt schon vor der Premiere Aufmerksamkeit. Im Feuilleton "Unterm Strich", in der jungen Süddeutschen Zeitung (dort bündelte man die Kulturberichte), schreibt Artur Kutscher einen Vorbericht. Kutscher, heute kennen die Münchner nur den nach ihm benannten Platz und die Artur-Kutscher-Realschule, war Freund und Biograf von Frühlingserwecker Frank Wedekind. Als Universitätsdozent begründete er die Theaterwissenschaft in München. Zu seinen Studenten gehörten Bertolt Brecht, Ödön von Horvath, Erwin Piscator und Ernst Toller, zu seinem Schwabinger "Kutscher-Kreis" kamen Gäste wie Ludwig Ganghofer, Stefan Zweig, Erich Mühsam, die Mann-Brüder und ein gewisser Johannes R. Becher, von dem damals niemand ahnte, dass er der erste Kulturminister der DDR und der Texter von deren Nationalhymne werden sollte.

Als Antipoden treten an der CSU-Minister Hundhammer und der Komponist Egk

Kutscher, der Textfassung und Noten des "Abraxas" bereits kennt, schreibt am 5. Juni 1948, dem Vortag der Premiere, Werner Egk ließe mit seinem "Abraxas" Heinrich Heines Vorlage, ein Faust-Gedicht, "verjüngt und bereichert" auferstehen, nur sei dabei leider dessen "außerordentliche Komik, Groteske und Parodie weniger ausgeprägt". Egks Werk diene "mit dem ganzen Reichtum seines tänzerischen Darstellungsstils nur der unmittelbaren magisch-sinnlichen Beeindruckung".

Der Kultusminister Alois Hundhammer - seiner Frömmigkeit wegen von seinen politischen Gegnern später auch "der Schwarze Schatten" genannt - findet jedenfalls nicht zum Lachen, was tags darauf über die Bühne geht. Im Prinzregententheater, weil das Nationaltheater, eigentlicher Sitz der Staatsoper, noch in Trümmern liegt. Die Choreographie hat Marcel Luipart erdacht, damals Chef des Staatsballetts. SZ-Kritiker Otto F. Regner beschreibt die Sache blumig ("die Erzbuhlin ist ganz Gewinnerin der Wonne als auch deren Spenderin"), aber begeistert ("von dämonisch berückender Intensität"). Das Publikum reagiert hysterisiert. Viele im Saal wissen, beim 38. Vorhang wird der bis dahin gehaltene Applaus-Rekord der Münchner Oper gebrochen. Danach jubelt es das Trio der Haupttänzer und den Komponisten zehn weitere Male vor den Vorhang.

"Erschöpft im wüstesten Selbstgenuss"

Hundhammer kommt erst zur dritten Aufführung ins Haus, zielsicher zum dritten Aufzug. Offenbar ist er aus seinem Ministerium bestens informiert. Denn, das weiß die Öffentlichkeit nicht, schon vier Tage vor der Premiere hatte der Generaldirektor der Bayerischen Staatstheater, Wilhelm Diess, das Libretto auf dem üblichen Dienstweg erhalten. Am darauffolgenden Tag schon untersagte das Kultusministerium dessen Verkauf. Zu viele anstößige Formulierungen. An den tänzerischen Passagen werden kleinere Entschärfungen verlangt. Als obszön empfunden wird angeblich eine Tanzszene, bei der das Höschen der Tänzerin zu sehen ist, als sie Räder schlägt.

Historischer Theaterskandal: Alois Hundhammer im Jahr 1950. Der Mitbegründer der CSU war zu dieser Zeit Kultusminister in Bayern, später leitete er viele Jahre das Landwirtschaftsministerium.

Alois Hundhammer im Jahr 1950. Der Mitbegründer der CSU war zu dieser Zeit Kultusminister in Bayern, später leitete er viele Jahre das Landwirtschaftsministerium.

(Foto: Ruth Schramm/SZ Photo)

Alois Hundhammer (1900 - 1974), ältester Sohn einer Bauernfamilie aus dem winzigen Dorf Moos bei Forstinnig, erzkatholisch erzogen, Mitverfasser der Bayerischen Verfassung und Mitbegründer der Christlich-Sozialen Union, sieht, was Egk im Libretto sonst noch so beschrieben hat: Faust und Archisposa sind auf dem Höhepunkt einer Liebesraserei, "die keine Empfindung für den Partner mehr kennt, sondern sich im wüstesten Selbstgenuss erschöpft". Als sie sich erholt hat und mit neuem Elan auf Faust stürzt, "um ihn von neuem zu entflammen", stößt Faust sie angewidert zurück. Just da erhebt sich Satanas. "Auf sein Zeichen wird ihm die widerstrebende Archisposa, von mehreren Buhlen getragen, mit Gewalt dargebracht, damit sie ihre Pflicht als auserwählte Erzbuhlin erfülle".

Angewidert ist da auch Hundhammer. Die beiden Vorstellungen bis zum Saisonende wird es noch geben. Eine Wiederaufnahme in der neuen Spielzeit untersagt der Minister. Ein derartiger Angriff auf die Katholische Kirche sei "mit einem Doktor Hundhammer nicht zu machen", sagt er später der Presse, besonders nicht finanziert vom Volk in diesen Zeiten. Der Hamburger Spiegel, der Hundhammer für ein Gespräch in München besucht, zeigt sich überrascht vom "bajuwarisch herzlichen" Ton, in dem Hundhammer seine Position vertritt.

Der eine stand auf Goebbels Gottbegnadeten-Liste. Der andere saß im KZ

In den kommenden Wochen wird viel gestritten über die Details, in denen der Teufel steckt in der Causa Abraxas. Etwa, ob die hohen Kosten der Aufführungen für das Aus auch eine Rolle gespielt hätten. Egk hatte Solange Schwarz engagiert, um eine weibliche Hauptrolle tanzen zu lassen, sie ist die Prima Ballerina der großen Oper Paris und der erste ausländische Gast, der sich wieder an die Münchner Oper wagt. Egk ist erbost. Die zarte Frau Schwarz habe noch nicht mal ein Zimmer zugewiesen erhalten in diesem Trümmerfeld, das da München hieß. Zur Probenzeit schlief sie auf Sofas und Notbetten bei wechselnden Kolleginnen. Zudem soll es nicht mal die dringend benötigten Essensmarken für den Star gegeben haben. Auch die hätten sich andere vom Munde abgespart.

Die Währungsreform folgt in Deutschland erst zwei Wochen nach der Uraufführung. In einem Aufsatz beklagt Egk: "Die ausverkauften Häuser fielen noch in die D-Mark-lose, die schreckliche Zeit. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass jeder Produzent von Rasierklingen, Untertassen und Klosettbürsten einen gesünderen wirtschaftlichen Instinkt hat als wir Produzenten von Notenköpfen". Egk klagt später gegen die Rechtmäßigkeit von Hundhammers Eingreifen. Man einigt sich auf einen Vergleich, der Komponist erhält neue Aufträge.

Historischer Theaterskandal: Der Komponist und Dirigent Werner Egk in jungen Jahren. 1944 setzte ihn Joseph Goebbels auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste.

Der Komponist und Dirigent Werner Egk in jungen Jahren. 1944 setzte ihn Joseph Goebbels auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Zu Ende ist die Geschichte damit noch lange nicht. In München wird bald ein anderer Aspekt der Causa "Abraxas" diskutiert. Nicht alle haben vergessen, was vor 1945 war und wer in diesem überaus speziellen Ringen von Gut und Böse zur NS-Zeit auf welcher Seite stand. Werner Egk (1901 - 1983), von 1941 bis 1945 Leiter der "Fachschaft Komponisten" in der Reichsmusikkammer, war der Komponist der Musik für die Olympischen Spiele 1936. Und er stand auf der "Gottbegnadeten-Liste" des Propagandaministers Joseph Goebbels. Alois Hundhammer dagegen gehörte zu jenen entschlossenen Katholiken, die schon vor 1933 in ihren Reden vehement gegen die Kommunisten, aber eben auch gegen Hitler Position bezogen hatten.

Hundhammer saß als jüngstes Mitglied für die Bayerische Volkspartei im Landtag. Nach der Machtübernahme brachte ihn die Gestapo im Juni 1933 ins KZ-Dachau. Als er wieder freikam, bekam er Berufs- und Redeverbot. Seine Familie hielt der Doktor der Nationalökonomie fortan mit einer Schuhreparaturwerkstatt über Wasser. 1939 wurde er einberufen.

Die Mutmaßungen, Hundhammer könne Ressentiments gegen Egk gehabt haben, finden im März 1949 in einer Landtagsanfrage Ausdruck. Doch Hundhammer wehrt ab. Allein seine moralischen Bedenken hätten gezählt. Sein Ruf als der "Schwarze Schatten", der später sogar Franz Josef Strauß zu schaffen macht, ist damit manifestiert. Deutschlands Bild vom kirchenhörigen Freistaat Bayern ebenso. Dass dieses heute längst bröckelt, hat unterdessen nichts mit der CSU zu tun. Das besorgt die Kirche schon selbst.

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