Süddeutsche Zeitung

Bahn:Der Fahrgast müsste streiken

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Warnstreiks wie jener der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft vom Montag, 10. Dezember, schaden nach Meinung vieler Leser mehr als sie nützen. Einer verweist zur Lösung solcher Tarifstreitigkeiten auf alte Zeiten.

" Ein paar Stunden im Rampenlicht" und " Neben der Spur" vom 11. Dezember:

Zugunsten der Lkws ausgebremst

Henrike Rossbach schreibt in "Neben der Spur", dass alle wissen - auch die Verkehrspolitiker und der Verkehrsminister - dass es so nicht weitergehen kann. Natürlich, aber insbesondere die Verkehrsminister der letzten zehn Jahre, allesamt von der CSU gestellt, gerieren sich eher als Autolobbyisten, denn als Befürworter einer soliden Bahnpolitik. Es fehlt am Bewusstsein dieser Herren. Georg Leber war so ziemlich der letzte Verkehrsminister, der mit dem Slogan "Güter gehören auf die Bahn" ein richtiges Signal gesetzt hat. Gerade heute, angesichts meist völlig überlasteter Autobahnen, gesundheitsschädlicher Luftwerte und gestresster Reisender, zeigt sich die Richtigkeit damaliger Verkehrspolitik.

Die Bahn wurde spätestens von den Herren Ramsauer, Dobrindt und aktuell Scheuer systematisch insbesondere zugunsten des Straßengüterverkehrs ausgebremst. Wartungsintervalle an Fahrzeugen wurden verdoppelt, Personal eingespart, Gleisanschlüsse geschlossen und erfahrenes Bahnpersonal durch smarte Betriebswirte ersetzt, um aktuell zu lamentieren, dass der Betrieb nicht mehr annähernd zuverlässig läuft. Simple Dinge, von der Platzreservierung über die Kaffeemaschine im Bistro bis zur Türsteuerung und funktionierenden Weichen sind viel zu oft nicht verfügbar und treiben Mensch und Güter auf die Straßen.

Mich wundert, warum die EVG streikt und nicht mal die Bürger, indem sie auf die Straße gehen, um der Politik klarzumachen, dass die Bahn das Rückgrat einer effizienten, Ressourcen schonenden und menschenfreundlichen Verkehrsinfrastruktur werden muss. Am Beispiel Schweiz und weiterer Länder, in denen die Bahn in der Verkehrspolitik einen höheren Stellenwert hat, zeigt sich, dass es nur am Willen und an der Prioritätensetzung liegt.

Herbert Miehle, Augsburg

Zwangsschlichtung einführen

In ihrem Kommentar "Neben der Spur" zum Streik bei der Deutschen Bahn empfindet Henrike Rossbach diesen Streik zwar als unangemessen, möchte am Streikrecht der Bahnbediensteten jedoch grundsätzlich festhalten, da sonst Tarifverhandlungen zu "Kaffeekränzchen" verkommen würden. Diese Polarisierung der Alternativen teile ich nicht und denke, dass es auch andere Wege der Tariffindung gibt.

Ganz grundsätzlich sehe ich das Streikrecht im öffentlichen Dienst bzw. in öffentlichen Unternehmen sehr kritisch, jedenfalls in jenen Sparten, in denen das allgemeine Publikum betroffen ist. Das Grundproblem dabei ist: Wer ist eigentlich der Gegner? Betroffen sind im öffentlichen Dienst am Ende die Steuerzahler, bei Unternehmen wie der Bahn aktuell vorrangig die Kunden, die von den Streikenden als Geiseln genommen werden. Dies alles ist im allgemeinen Diskurs - spätestens seit dem Wirken des talentierten Mr. Weselsky vor einigen Jahren - sehr geläufig und muss hier nicht ausgebreitet werden. Schlüsse daraus zu ziehen scheuen jedoch die politisch Verantwortlichen.

Hierzu ein paar historische Reminiszenzen: wenn die Bahnbediensteten seit dem Kaiserreich bis weit in die Zeit der Bundesrepublik hinein den Beamtenstatus (mit seinem Streikverbot) erhielten, dann ursprünglich weniger aus Kundenfreundlichkeit, sondern aus Sicherheitserwägungen: im Kriegsfall oder beim "Kleinen Belagerungszustand" musste die Bahn funktionieren.

Gegenwärtig ist die Verbeamtung aus Kostengründen ein Auslaufmodell. Deshalb wäre eine andere Variante interessant: In der Weimarer Republik gab es das Instrument der staatlichen Zwangsschlichtung mit Bindewirkung ihres Ergebnisses. Es wurde sehr häufig angewendet, vorrangig bei Tarifkonflikten in der Industrie. Dort ist es in der Tat fehl am Platz, und so wurde es unter der Ägide des Grundgesetzes auch nicht wieder eingeführt.

Nun hat sich seit Längerem die Streikbereitschaft von der Industrie eher wegverlagert und konzentriert sich gern auf den Dienstleistungssektor, in diesem Rahmen vorrangig auf den öffentlichen Dienst und öffentliche Unternehmen, weil hier der Effekt dank des Prinzips der Geiselnahme besonders groß ist. In diesem Bereich wäre bei einer Streikandrohung die Kombination von Zwangsschlichtung und Friedenspflicht sehr geeignet, um die grotesken öffentlichen "Risiken und Nebenwirkungen" in den Griff zu bekommen.

Harm-Hinrich Brandt, Würzburg-Reichenberg

18 Jahre Rückschritt

Im Jahr 2000, vor 18 Jahren (!), habe ich die "Initiative Bahn-HOF" gegründet. Der Grund dafür waren Verspätungen, Anschluss-Verluste und die fehlende Elektrifizierung der Strecken Hof-Regensburg und Hof-Nürnberg im Bahnverkehr. In diesen 18 Jahren hatte die Bahn sieben Verkehrsminister, davon vier (!) aus Bayern, und aus Hof kam dazu noch ein ehemaliger Bundesinnenminister. Zu den Bahnchefs Mehdorn und Grube, den Bundes- und Landes-Verkehrsministern bestanden immer gute persönliche Kontakte. Inzwischen haben wir ICE-, IC-Verbindungen und den Fernverkehr verloren. Sichere Verbindungen sind mit den Diesel-Regionalzügen nicht gewährleistet. Durchgehende Verbindungen nach Berlin, Würzburg, Karlsruhe, Leipzig, Dresden usw. - Fehlanzeige. Von Sonderangeboten der Bahn sind wir, wegen des fehlenden Fernverkehrs, ausgeschlossen. Und die Elektrifizierung, die schon einmal ganz nah schien, ist in weite Ferne gerückt.

Vor der Grenzöffnung fuhr die Bahn noch mit durchgehenden Verbindungen. Seit 1848 war Hof eine Eisenbahnerstadt mit den besten Verbindungen in alle Welt. Unser Bahnverkehr hat sich in den letzten 18 Jahren, in denen ein Kind erwachsen wird, nicht zurück-, sondern zum Kleinen hin entwickelt. Ob die 18 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel etwas mit dem Bahnverkehr zu tun haben?

Gerlinde Bittner, Hof

Starken Max markiert

Schon am Streiktag selbst bekannte ein EVG-Geschäftsstellenleiter in einer Radiosendung offenherzig: "Die Bahn hat uns das nicht zugetraut." Im Artikel "Ein paar Stunden im Rampenlicht" wird dann ein Schlüsselsatz aus Gesprächen zitiert: "Wir mussten beweisen, dass wir's können." Beides zeigt überdeutlich, dass der eigentliche Anlass für diesen Streik mit massiven bundesweiten Folgen genauso wenig mit den eigentlichen Arbeits- und Entgeltbedingungen zu tun hat wie vor einigen Jahren der Streik der "anderen Bahngewerkschaft" GDL: beide kämpfen in erster Linie offensichtlich nicht für ihre Mitglieder, sondern um ihre eigene Existenz-Rechtfertigung als Gewerkschaft. Und dafür dann Hunderttausende bundesweit zu verprellen und einen gesamten Tag lang außer Takt geratene Fahrpläne anzuzetteln, ist eine ungeheure Anmaßung.

Das sollte keiner Gewerkschaft erlaubt sein, die legitimen Streikgründe nur noch als Vorwand zu nehmen, um den starken Max zu markieren und sich als Organisation bei Mitarbeitern attraktiv zu machen. Bei allem Verständnis dafür, dass viele Mitarbeiter der Bahn bei hoher Arbeitsbelastung und oft hoher Verantwortung für Menschen vergleichsweise geringes Gehalt bekommen und sich mehr erstreiten wollen: die Größenordnung zeitlich und räumlich jedes Streiks, der nicht - wie in der Fertigungsindustrie - direkt nur den Arbeitgeber betrifft, sondern wie alles im öffentlichen Dienst vor allem unmittelbare Auswirkung auf die gesamte Öffentlichkeit hat, muss unbedingt besonders mit Bedacht dimensioniert werden. Und muss ausschließlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel haben.

Wenn das nicht mehr der wirkliche Grund für einen Arbeitskampf ist, wenn dann noch ein erster "Warn"-Streik in laufenden Tarifverhandlungen derartige Ausmaße und Folgen annimmt, die die Gewerkschaft natürlich nicht mehr selbst trägt, sondern die ausschließlich bei der Öffentlichkeit abgeladen werden, dann ist das völlig unverhältnismäßig. Kraftmeierei als Auslöser von großräumigem und lang anhaltendem Verkehrschaos pervertiert völlig das legitime Instrument Streik.

Friedrich-Karl Bruhns, München

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Quelle:
SZ vom 18.12.2018
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