Süddeutsche Zeitung

Babynahrung:Jetzt haben wir den Spinat

Die Ernährung im ersten Lebensjahr beeinflusst das Essverhalten im späteren Leben. Doch welche Empfehlungen sind für Eltern die richtigen?

"Mahlzeit!" vom 25./26. Mai:

Eltern ermutigen

Wunderbar, dass der preußische Pfad, den wir "angeblich" den Eltern bei der Ernährung unserer Kinder vorgeben, endlich hinterfragt wird.

Ich bin Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, als Vertragsärztin niedergelassen in Gauting bei München, und bin durchaus so mutig, meinen Patienteneltern den Rücken zu stärken, den "bunten Strauß der vielen Geschmäcker" anzubieten. Denn schließlich schmeckt ja schon die Muttermilch verschieden, je nachdem, was die Mutter gegessen hat.

Dr. Annette Eiden, Gauting

Über den Gläschenrand schauen

Ich empfehle einen Blick in die Babykostregale im Gourmetland Frankreich. Da ist das Angebot so viel bunter. Dort gibt es das unterschiedlichste Gemüse wie Artischocken oder sogar Grüne Bohnen. Fischgläschen heißen dort: Lotte et artichauts oder cabillaud avec petits pois.

Und meine Tochter fand das damals großartig, besonders die Fischgerichte. Das sagt doch wohl schon alles.

Anja Lungwitz, Düsseldorf

Ernährungserziehung

Die Überschrift suggeriert, dass Eltern in Deutschland nicht mehr zeitgemäße Empfehlungen für die Ernährung ihres Kleinkindes bekommen. Die Argumentation basiert auf zwei Fehlern.

Erstens wird im Artikel nicht klar differenziert zwischen den alten Empfehlungen der Hersteller, wie man sie noch auf Tabellen sehen kann, und den offiziellen Empfehlungen von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und dem Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE). Dass hier viel Unsicherheit herrscht, nicht nur bei den Eltern, wundert allerdings nicht, denn wenn man im Internet nach diesen Empfehlungen sucht, stößt man nur auf kostenpflichtige Broschüren, für die man auch noch Versandkosten bezahlen soll.

Im zweiten Absatz werden angeblich die offiziellen Empfehlungen genannt. Hier wundert sich der kundige Leser und auch die Leserin zum ersten Mal, wenn hier steht, ab dem fünften Monat Fleisch-Kartoffel-Gemüsebrei. Und nach viel Kritik an diesen angeblich so strengen Vorgaben liest man dann endlich das, was wirklich die offiziellen Empfehlungen sind, nämlich: die erste Beikost zwischen dem fünften und siebten Monat. Also angepasst an die Entwicklung des Kindes und nicht nach einem festen Plan.

Auch das ausschließliche Stillen im ersten Lebenshalbjahr und darüber hinaus als Ergänzung steht in den Empfehlungen des FKE. Wie im Artikel erwähnt, hat die DGE keine Bedenken bei vegetarischer Ernährung. Von veganer Ernährung bei Kleinkindern wird abgeraten, aber es gibt Empfehlungen, was Eltern beachten müssen, wenn sie diese unbedingt wollen.

Auch das Selbstherstellen von Breien wird empfohlen, wenn man nicht nur auf die Tabellen schaut. Die Bemerkung, "so hieß es lange, die Babys sollen schon ab dem fünften Monat mit der Beikost beginnen", scheint mehr von den Empfehlungen der Hersteller zu stammen, denn schon Mitte der Achtzigerjahre galten die jetzigen Empfehlungen des FKE. Einzige Änderung, wie im Artikel richtig erwähnt, ist die größere Vielfalt. Im Sinne der Allergieprävention war man früher der Meinung, bestimmte Produkte sollten im ersten Lebensjahr gemieden werden. Die Änderung dieser Empfehlung zeigt, dass neue Erkenntnisse eingearbeitet werden.

Der zweite Fehler ist, das falsche Ernährungsverhalten und häufige Übergewicht älterer Kinder auf falsche Beikostempfehlungen für das erste Lebensjahr zurückzuführen. Natürlich ist es vollkommen richtig, dass die Ernährung im ersten Lebensjahr ganz entscheidend ist, und vermutlich auch schon die der werdenden Mutter. Und Baby-Led-Weaning als Ergänzung zum Brei ist ja bei Müttern, die selbst kochen, ganz normal. Das Kind isst am Familientisch mit und darf auch probieren. Und auch das steht ausdrücklich in den Empfehlungen ab dem zehnten Monat. Auch die zitierten Experten widerlegen diese Empfehlungen nicht, sondern ergänzen sie mit weiteren Aspekten.

Was aber ausgeblendet wird, dass das Essen der Kinder nur so gut sein kann wie das der Familie, denn spätestens im zweiten Lebensjahr isst das Kind mit. Und wenn in vielen Familien das gemeinsame Essen weder den Empfehlungen entspricht, noch in angenehmer Atmosphäre eingenommen wird, ist es vermutlich besser, das Kind bekommt ein Gläschen serviert statt fettiger Pommes.

Was kaum Erwähnung findet, ist der so wichtige Aspekt der Ernährungserziehung, der aus Babys genussvolle Esser machen könnte. Es geht nicht nur darum, was gegessen wird, sondern vor allem wie. Wenn das Kind vor dem Fernseher oder mit dem Handy in der Hand gefüttert wird, hilft die beste Ernährung nichts. Auch gemeinsames Kochen und Ausprobieren immer wieder neuer Zubereitungsarten ist Ernährungserziehung. Hier sollte die Kritik ansetzen. Gerade Eltern, die Unterstützung brauchen, werden kaum erreicht durch die staatlichen Einrichtungen. Wenn offizielle Angebote nur schwer und kostenpflichtig erhältlich sind, muss sich niemand wundern, dass sie nicht dort ankommen, wo sie am nötigsten wären. Die Werbung füllt dann diese Lücke und bewirbt auch ganz gezielt Kinder. Eine gesetzliche Beschränkung hierzu gibt es nach wie vor nicht. Es sind also nicht die falschen Beikostempfehlungen, sondern entweder das nicht vorhandene Wissen darüber oder die falsche Umsetzung, die dazu führen, dass aus Säuglingen dicke Kinder werden.

Maria Maak, Winterhausen Diplom-Ökotrophologin

Keine Krankheit

In der Säuglingsernährung ist das Wesentliche die schrittweise Einführung neuer Lebensmittel in den Speiseplan. Schneller lassen sich Lebensmittelunverträglichkeiten nicht erkennen. Säuglingsernährung ist keine Krankheit, die Bestandteil des Medizinstudiums werden soll. Es gibt Ernährungswissenschaftler, die die erforderlichen Kompetenzen haben.

Lydia Wallerer, München Diplom-Ökotrophologin

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Quelle:
SZ vom 24.06.2022
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